Sitzt man in einem Zug, gibt es nichts, das man nicht sieht. Der Action hat keine Grenzen. Junge Menschen hören meistens Musik. Alte erwachsene Menschen fragen andere nach ihrem Leben aus. Die meisten schauen auf ihr Handy. Im Gegensatz zu früher - was ich allerdings nicht klar veräussern kann, da ich nicht dabei war - war es einfach mit anderen, vor allem fremden Menschen, ein Gespräch anzufangen. Die Reisen dauerten länger, die Geräusche im Zug waren lauter und der Mensch offener. Nichts stand ihm im Weg, einen anderen Menschen mit einem freundlichen "Guten Tag" oder einem fröhlichen "Hallo" anzusprechen. Man wurde schon schief angesehen, wenn man still und leise ins Tram einstieg und sich ohne Frage und Aufregung irgendwo hinzusetzen wagte. Das waren noch Zeiten. Der Zug brachte höchstens 20 km/h auf die Tube und doch wurde es den Insassen bereits bei 10 km/h schlecht. Der Zugführer konnte sogar ohne die Bremse zu ziehen kurz frische Luft schnappen -obwohl die frische Luft durch die nicht vorhandenen Fenster bereits schon vorhanden war - und einen Kaffee beim Kiosk nehmen, diesen gleich bezahlen und mit auf den Zug nehmen, wenn diesen nicht sogar auszutrinken und wieder auf den Zug zu hopsen. Eines Tages hatte der Kiosk eine neue Verkäuferin und der Kaffee brauchte länger, da sie ja neu war. Der Zugführer war dadurch etwas zu langsam und verpasste seinen eigenen, bereits weiterfahrenden Zug. Heute könnte man sich das niemals erlauben, mal ausser Acht gelassen den Arbeitsplatz bei einer Geschwindigkeit von mindestens 200 km/h zu verlassen. Keine Chance, wohl eher Naivität und Lebensmüdigkeit. Käme das heute vor, müsste man den Zugführer nicht mehr feuern, da dies bei einem Todesfall durch versuchten Austeigens aus dem Berufsfahrzeug automatisch erfolgen würde. Leider aber auch ein paar hundert Passagiere mit in den Tod reissen. Was für eine Tragödie. Die einzigen, die das heute noch tun sind Filmstar bzw. Stuntmen in Actionfilmen oder Todessehnsüchtige sowie Selbstmordattentäter. Zurück in die Vergangenheit: Man stelle sich vor, das Tram hat keine Fenster und fährt mit 20 km/h durch die Schweizer Schneelandschaft bei ungefähr -10 Grad Celsius. Alle mit Winterjacken so dick wie eine Mauer und eingepackt mit Wolle wie die Eskimos. Da fragt man sich, ob die sich überhaupt noch unterhalten oder ob dann mehr so ein "Kakakakalt heute wawawawawas?". Zurück kam dann vermutlich nur noch ein stiller eisiger Wind und das Tosen des Zuges. Heute geht das auch nicht mehr. Stahlverstärke Züge mit dicken und doppelten Glasfenstern und einer Innenheizung, die auf mindestens 20 Grad Celsius aufheizt. Draussen ist die Landschaft voller Eis und Schnee, die Lichterketten leuchten, erbringen die Kontur der Häuser und Bäume und die Autos überholen den Zug oder kommen wie der Blitz entgegen. Sitzt man direkt am Fenster und lehnt den Kopf an die Scheibe, fühlt es sich an wie der Boden der Eiskunstanlage. Hält man das eine Bein näher an die Wand, fühlt man die feurige Heizung des Zuges. Bildschirme überall, leuchtende Sterne aus kleinen Lampen und Schwarze Wälder ganz tief in der Landschaft. Nimmt man die Kopfhörer ab, hört man nur ein paar wenige Zeitungen herumblättern, das feine fast unhörbare Tippen der Geschäftsfrau auf 10 Uhr mit ihren fünf Zentimeter langen aufgeklebten Fingernägeln und die fernöstliche Jodelmusik des Mannes im Abteil hinter mir. Schwebebahnen, Raumschiffe und Hologramme sind die Zukunft. Erde Nummer zwei ist immer noch nicht gefunden und die grosse Frau mit schwarzem Anzug, roter Krawatte und wehenden Fahnen, im Hintergrund auf diesem grossen Riesenbildschirm am scheinbar grössten Wolkenkratzer der Welt mit sagenhaften 10'000 Metern spricht wirres Zeug über Politik und Fehlern aus der Vergangenheit. Wo sind wir gelandet? Wo bringt uns die Zeitmaschine jetzt schon wieder hin. "Ach nein, der Zeitflektorator ist beschädigt. Wir sind verloren in dieser möglichen Zukunft und kommen nicht mehr zurück in die Vergangenheit." "Naja. Könnte schlimmer sein. Besser als das Mittelalter. Pest! Oh nein, ohne mich."


© Daniel Stricker


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Beschreibung des Autors zu "Wie praktisch"

Kurze gedankliche Geschichte über Zukunft und Vergangenheit.




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