Es dämmert, der Abend naht. Im schäbigen Wohnzimmer eines Mietshauses sitzt ein älterer Fettsack auf dem Sofa und schaut fern. Es ist stickig und stinkt, die Luft ist schlecht. Billige Soaps und Dauerwerbung. Er schiebt sich ununterbrochen Chips in den Mund. Neben der Tüte stehen ein paar Bierflaschen auf dem mit Müll überladenen Tisch. Keine davon ist mehr eisgekühlt. Nur die Vorderste ist voll. Der alte Sack ist müde, guckt nur durch die Schlitze seiner zusammengekniffenen Augen. Zwei Wohnungen weiter hört man die Geräusche einer anderen Glotze. Der Ton ist fast bis zum Anschlag aufgedreht. Er rülpst. Von der Nachbarwohnung auf der anderen Seite hört er die lauten Stimmen einer Saufrunde. Betrunkene Scheißkerle, denkt er sich, sonst ist er zufrieden. Wenn es bei den Nachbarn nur etwas leiser wäre. Das sein eigener Fernseher auch ziemlich laut eingestellt ist, merkt er gar nicht.
Die Stunden vergehen, doch der Lärm hält an. Er will sich gerade überlegen ob er aufstehen sollte und sich nebenan beschweren geht, als die 10 Uhr Nachrichten kommen. Wieder nur so´n scheiß. Die Aktien irgendeiner Firma steigen wieder im Wert. Bei der DB wird wieder gestreikt. Ein prominentes Pärchen hat sich getrennt. Ein Politiker hat Steuern hinterzogen. Diese Affen, grunzt der Mann, tanzen vor der Kamera rum, labern von Kohle, ist doch eh alles nur Show. Die haben doch keine Ahnung vom Leben hier. Vom Scheiß Leben. Er stellt den Ton leise. Nimmt die Bierflasche vom Tisch und trinkt sie in einem Zug leer. Noch langweiliger. Er dreht den Ton wieder hoch und langt neben das eingesunkene, schmuddelige Sofa auf dem er sitzt und nimmt noch eine Flasche aus dem Kasten.
Dann sieht er wieder zum Bildschirm, "...der mutmaßliche Täter des Raubüberfalls wurde gefasst, man ist sich jedoch noch nicht über die Identität des ca. 22 Jährigen Weißen im Klaren... konnte nicht eindeutig festgestellt werden, ob es noch Mittäter gab..." sagt der Nachrichtensprecher gerade. Uff, macht der Mann, als er sich nach vorne beugt, um die Fernbedienung vom Tisch zu greifen.
Er sieht noch das Bild des Verdächtigen, eines tätowierten Jungen mit dunklem Haar, bevor er auf einen lausigen Krimi umschaltet, in dem es nur um Gewalt,
Blut und Sex geht.
Während er mit trübem Blick einem Gangsterboss beim Rauchen zusieht, wandern seine Gedanken zu seinem Neffen. Einem missratenem kleinen Mistkerl, den seine bescheuerte Schwester mit ihrem verlogenen Freund großgezogen hatte. Ihr erster brutaler Mann war abgehauen, kaum das der Junge vier Jahre alt war. Kein Wunder. Eigentlich wäre ihm das ja scheißegal, wenn er nicht auf den Bengel hätte aufpassen müssen, während die Schlampe in Urlaub fuhr. Um es in Ruhe mit ihrem Freund zu treiben, wie er vermutete. Er hatte dieses nervige kleine Arschloch drei Jahre hintereinander für den Sommer auf der Pelle gehabt. Und jedesmal war es lästiger geworden. Es wird ihm übel, wenn er nur daran denkt. Genau so eine verlogene Dreckssau wie sein Stiefvater, regt er sich auf. Genauso ein brutales Stück Scheiße wie der Typ in den Nachrichten.
Nicht weiter verwunderlich, hatte es ja in der Wiege. Perverser. Das ist aus ihm geworden. Eklig. Seine Laune ist dahin. Hoffentlich drückt sie ihm den dieses Jahr nicht schon wieder auf. Entnervt reibt er sich die Schläfen. Wie anstrengend es doch ist, schon nur über sowas nachzudenken. Ein Stockwerk drunter hört man eine Wohnungsklingel.
Er wendet sich wieder dem Krimi zu. Die Zeit vergeht. Ein Uhr. Zwanzig nach eins.
Unten auf der Straße fährt ein Auto vorbei. Er wird immer schläfriger. Ein weiteres Motorgeräusch ist zu hören. Noch während es verklingt, nimmt noch der Gedanke in seinem Kopf Gestalt an, das er vielleicht ins Bett gehen sollte.
Auf einmal hört er seltsame Geräusche vor dem Haus. Das Fenster quietscht. In der Ferne heult eine Sirene. Sein übermüdetes Hirn bringt Bilder durcheinander. Ein Raubüberfall letzten Monat in einer Bar im Ostviertel der Stadt. Versuchter Mord eines brutalen Schlägers an seiner Frau. Bild eines Opfers einer Straßenschlägerei in der Zeitung.
Ein leises Klicken hallt durch das Treppenhaus. Er hört nichts. Schritte auf der Treppe, dumpf und bedrohlich. Er schreckt aus seinem Halbschlaf. Macht den Ton leiser. Nein, er hat das nicht geträumt. Da sind Schritte auf der Treppe. Langsam, leise, schleichend wie eine Schlange über dem Boden. Er lauscht angestrengt. Ein paar Minuten vergehen. Er hört nichts mehr.
Wieder ein leises Klicken. Er schreckt zusammen. Schritte direkt vor seiner Tür. Wieder Stille. Ihm bricht der Schweiß aus. Sein eigener Atem kommt ihm unnatürlich laut vor. Die Lampe im Nebenzimmer flakert.
Ein Knirschen in der Glühbirne über ihm. Die Haustür öffnet sich mit einem Knarren. Stocksteif vor Angst sitzt er da. Wagt es nicht sich zu rühren.
Ein Schatten neben der Tür. Huscht durch den Flur.
Plötzlich erlöscht das Licht. Hallo?, fragt der Dicke mit zittriger Stimme. Da sieht er eine Gestalt im Türrahmen, schwärzer als die Nacht. Spitze weiße Zähne. Der Einbrecher grinst. Seine Augen scheinen im Dunkeln zu glühen.
Der beunruhigende Blick der unheimlichen Augen ruht für einen Moment auf seinem Opfer. Der Dicke setzt zu einem Hilfeschrei an, als der Angreifer den Arm hebt.
Das Blickfeld des dicken Mannes zieht sich zusammen, er sieht nur noch den Lauf der Pistole mit Schalldämpferaufsatz. Hilfe!, will er rufen, doch er bringt keinen Ton heraus. Dann sieht er nichts mehr.

Lautlos macht sich die Gestalt an den leblosen Körper des Dicken. Klaut ihm seine goldene Armbanduhr, das einzige Wertvolle das er je besessen hat. Dann rammt er die Klinge eines Dolches in seine Brust. Fettiges Blut quilt heraus, tropft auf den Boden. Ein leises Kichern in die Nacht.
Der Fernseher läuft weiter.


© Robert Lier.scripts


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