43. Schritt


„Vogelkäfige, grooße, praktischee Voogelkäfige“, ruft der Mann mit der Laterne, der Menschen sucht – und ich muss lachen. Er trägt eine unsichtbare Narrenkappe, auf der „Philosoph“ oder “Dichter“ steht – ich kann’s nicht genau erkennen, weil er es so klein geschrieben hat - , aber ich glaube, die Kappe habe überhaupt nur ich als stofflich bemerkt.

Zuerst beachtet keiner den Mann, doch als sein Rufen immer eindringlicher wird, antwortet ihm irgendwer aus der Menge: „Ich lasse meinen Vogel ausbrüten, was immer er will!“ Ein anderer meint: „Vögel sind zum Brüten da, fallerie und fallera, das darf man nicht verhüten, das Brüten, das Brüüten“.

Ist Vögel einsperren unmenschlich? Denke ich und gehe noch ein Stückchen weiter: nein, Vögel dürfen so oft sie wollen! Das ist die wahre Toleranz, das ist Vögelrecht! Der mit der unsichtbaren Narrenkappe schüttelt den Kopf… Aber man ist auf ihn merksam geworden.

Die Menge skandiert jetzt im Chor: „Wer Vogelkäfige anpreist, anpreisen lässt, oder deren Anpreisung befördert, ist mit Vögeln über 18 Jahren zu belegen. Das hilft! Pleitegeier, Reichsadler, Heilig-Geist-Tauben, Glücksraben und diebische Elstern, frank und frei inbegriffen.“

Wieder muss ich lachen. Doch der mit der Narrenkappe lässt sich nicht beirren. Er hat einen Katalog dabei. Den schlägt er nun auf und er zeigt ihn aufgeschlagen herum, wobei er behauptet, es seien Vogelkäfige darin zu sehen. Ich erkenne aber nur Gedichte, bzw. Essays.

Ist das nicht närrisch? Das ist närrisch! Während ich noch mit mir um Narretei oder Nichtnarretei ringe ruft der verkappte Narr nun wieder etwas in die Menge hinein und ich bin gespannt was herausschallt, denn ich verstehe – etwas undeutlich - : „Dies ist keine Bibel, sondern meine Bibel, es ist kein Buch der Heiligen, obwohl es mir heilig ist, denn ich habe es selbst erdacht, nicht erdenken lassen, oder darin Gedanken befördert, die nach Erlassen gedacht wurden.

Lange denke ich darüber nach, vor und zurück, die ganzen Register rauf und runter, dann verstehe ich ein wenig davon… Dieses Buch eignet sich sehr wahrscheinlich vorzüglich dafür, Vögel zu ergreifen und sie daran zu hindern Greifvögel zu werden… „Voogelkääfige, große, praktische Vooogelkäääfige,“ ruft der Mann. Sein Buch hält er dabei hoch über den Horizont!

Ein Preis steht nicht darin. Anscheinend kostet es (die Vogelkäfige) nichts – wahrscheinlich kostet es nur die Aufmerksamkeit. Das ist ein hoher Preis! Er scheint viel zu hoch zu sein, denn es kommt Bewegung in die Menge. Sie lacht jetzt auch, nur nicht wie ich, in mich hinein, sondern schallend über sich hinaus.

„Was nichts kostet kann auch nichts sein und nichts kann sein was nicht sein darf, koste es was es wolle. Wer aber nichts verlangt, der darf auch nichts anbieten, denn sonst wäre ja alles was etwas kostet, nicht mehr wert als deine Vogelkäfige!“ Man hatte, wie mir schien, die Aufmerksamkeit einfach vergessen – das teuerste Gut! Doch ich schwieg – im Gegensatz zu den Papageien. Zu den Papageien? Ja!

Die schien man jetzt freigelassen zu haben. Ihre Fittiche rauschten allüberall in der Luft! In Schwärmen kamen sie herbei! Auf allen erdenklichen Mauern und Plätzen ließen sie sich nieder und bald war die Luft von ihrem schnatterhaften Lärm erfüllt. Ich hatte den Eindruck ein jeder von ihnen gibt vor, als Käfig-Abwehr, eine wichtige Botschaft mit sich zu tragen, denn jeder verkündete sein Credo in eine willfährige Welt.

Es schallte aus Rathäusern, aus den Lautsprechern der Polizei und der Wahlpropagandisten, von Kirchtürmen und Minaretten herab, aus den Telefonhörern der Werbestrategen, aus Fernsehern, wo sich die Papageien anscheinend als Nachrichtensprecher verkleidet hatten, aus dem Zoo – in den Zoo, aus den Papageienmündern der unzähligen Don Juans und ihren Angebeteten, aus berufenen und unberufenen sozusagen – alles war papageiisch dominiert und es war: unüberhörbar!

Schließlich hätte ich drauf gewettet, es seien gar keine Papageien mehr, die da sprachen, vielmehr hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt und darauf geschworen, da redeten die Leute, frei von der Leber weg, höchstselbst – wäre da nicht die immer gleiche Aussage gewesen: „Vogelkäfige, große, praktische Vogelkäfige!“ Aber kopiert hatten sie nichts? Neinnein, nein – naain, nei-en! Sie meinten es auch noch ernst!

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: possum   Datum: 10.02.2015 23:33 Uhr

Kommentar: ................Toll...............LG!

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: axel c. englert   Datum: 10.02.2015 23:38 Uhr

Kommentar: Voll Phantasie und Wortgewalt!
Auch Bild ist wieder toll gemalt!

LG Axel

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: Alf Glocker   Datum: 11.02.2015 8:20 Uhr

Kommentar: Vielen Dank!
LG Alf

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: Uwe   Datum: 14.02.2015 1:00 Uhr

Kommentar: 365mal wahnsinnig gut!

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