Mutter Krauses Jahreswende


Mutter Krause besaß ein schmuckes, kleines Häuschen in der Wiesenstr. 7, nahe des Stadtparks, in Schönau.
Sie war klein von Gestalt, und sie hatte ein typisches „Oma-Gesicht.“ Mutter Krause war trotz ihres Alters von vierundachtzig Jahren vital und behände. Sie war auch handwerklich begabt, und an ihrem Häuschen reparierte sie fast alles. Ihre goldene Brille, die sie ständig trug, führte bei ihr zu keiner Benachteiligung.
Das Obergeschoß ihres Häuschens hatte sie schon über Jahre an das Fräulein Fliederbusch vermietet.
Frieda Fliederbusch war eine alte Jungfer von vierundsiebzig Jahren. Sie legte immer großen Wert darauf mit „Fräulein“ angeredet zu werden. Die Fliederbusch war das ganze Gegenstück von Mutter Krause.
Sie war sehr groß und schlank, und sie trug trotz ihres Alters zwei geflochtene Zöpfe. Fräulein Fliederbusch hatte ein blasses Gesicht, und ihr Gang erinnerte an den Gang eines Pinguins. Sie hielt von jeglicher Arbeit nicht viel, dafür war sie eine fleißige Kirchgängerin.
Trotz aller Unterschiede verstanden sich die beiden Frauen sehr gut. Man könnte sagen, besser als zwei Schwestern.
Es war der 30.Dezember und die Vorbereitungen für die Jahresendfeier liefen bei Mutter Krause auf Hochtouren.
Mutter Krause ging in die Waschküche und holte das Paket mit der Ente. Zu Neujahr sollte es bei ihr Entenbraten geben. Sie ging in die Küche und öffnete dasselbige.
Nun was war denn dass? Im Paket befand sich ein Suppenhuhn und ein Ring frischer Blutwurst. Die Frau erschrak des Todes ,und sie schlug beide Hände über ihren Kopf zusammen. Sie sprang verärgert im Kreis herum und rief aus voller Kehle,
Frieda ! Frieda ! Frieda. Frieda erschien ungewaschen und ungekämmt auf der Bildfläche. Sie war nur mit einem Nylonkittel bekleidet und eine faltige Brusthälfte war zu sehen. Schnell war die Jungfer über die bestehende Situation aufgeklärt. Jetzt war „guter Rat“ teuer, und die Geschäfte öffnen erst wieder in vier Tagen. Verdammt, und zum Neujahrsbraten hatte sich Pfarrer Langrock angesagt. Mutter Krause kullerten dicke Tränen über ihre Wangen und Frieda, in ihrer ungeschickten Art, wollte sie trösten.
Frau Krause beschloss vom Suppenhuhn Frikassee zu machen. Gerade in diesem
Moment klingelte es. Der Mann von den Wasserwerken stand vor der Tür. Er wollte die verbrauchte Wassermenge von der Wasseruhr ablesen. Er war klein von Gestalt, und sein geschäftiges Wesen fiel jedem gleich auf. Hinter dieser Charaktereigenschaft verbarg sich seine Faulheit und Bequemlichkeit. Der Wasseruhrableser hieß mit Familiennamen „Brunner.“ Das Ablesen war schnell erledigt, und er verabschiedete sich mit: “Frau Krause rutschen sie ins Neue Jahr gut rein.“
Mutter Krause wollte ihre Arbeiten weiterführen als es erneut klingelte. Zornig ging sie zur Tür, um zu öffnen. Da stand der Pfarrer Langrock und im Nu war ihr Zorn wie weg geblasen. Hochwürden sah aus wie ein gestandener Waldschrat. Seine riesenhafte Größe, seine dunkle Kleidung und sein Gesicht war so eingemummt, dass nur die Augen und die Nase erkennbar waren.
Mutter Krause bat ihn in die Wohnung und gemeinsam entledigten sie die nassen Kleidungsstücke. Langrock bekam nun alle notwendigen Kleidungsstücke von Mutters Krauses verstorbenen Lebensgefährten. Sie hatte noch alles aufgehoben.
Das äußere Aussehen des Pfarrers passte eigentlich zu seinem Amt
Hochwürden Langrock war sehr groß. Seine Größe lag bei zwei Metern. Er hatte üppiges graumeliertes Haar und eine hohe Stirn. Seine stahlblauen Augen, seine fein geformte Nase und seine roten Wangen passten zu seinem Gesicht. Der Pfarrer hielt immer ein sympathisches Lächeln parat und in seinen Mundwinkeln saß der Schalk.
Er war umgänglich und aufgeschlossen, selbst allem Neuen gegenüber. Langrock besaß ein sehr großes Wissen, mit dem er nie auftrumpfe, und es zurück hielt, und somit seinem Gegenüber eine „ gewisse Sicherheit“ gab.
Er konnte auch sehr gut erzählen, und er besaß eine ausgeprägte Kunst des„ Zuhörens.“
Die Dörfler mochten ihn gut leiden, und sein Erscheinen fanden sie nie aufdringlich.
Der Pfarrer hatte in seiner langen Amtszeit das Gespür entwickelt, wo und was,
bei jeder einzelnen Familie gekocht oder gebraten wurde.
Man lud ihn stets zum Essen ein, und oft wurde ihm noch ein großes Wurstpaket mitgegeben. In einem Jahr reichte die mitgegebene Verpflegung bis zum Osterfest.
Als er wieder in trockener Montur war, rief er einige Male, das riecht ja gut, das riecht ja gut!
Mutter Krause bat Hochwürden in das Wohnzimmer. Hochwürden machte es sich im Ohrensessel gemütlich, und sie brachte ihm eine Flasche „Wurzelpeter“ und eine Schale mit Weihnachtsgebäck. Nun fehle Langrock nur noch ein Gesprächspartner, denn Mutter Krause hatte in der Küche, „alle Hände“ voll zutun.
Da erschien Fräulein Fliederbusch wie gerufen. Sie ging zum Pfarrer, kniete vor ihm nieder und küsste seine rechte Hand. Danach überschüttete sie den Geistlichen stapelweise mit allerlei Komplimenten. Hochwürden forderte sie auf zu schweigen, aber sie lies sich von ihrem seltsamen Gehabe nicht abbringen.
Plötzlich ein lautes blechernes Geklapper, und ein Aufschrei aus der Küche. Beide sprangen auf, und rannten in die selbige.
Frau Krause hielt einen hölzernen Pfannenstiel in die Höhe, die Pfanne lag auf dem Fußboden. Die drei Koteletts hatten sich selbständig gemacht, und das Bratenfett klebte überall. Dicke, dicke Tränen kullerten über ihr „Omagesicht.“
Langrock fand als erster die Fassung wieder, und alle beteiligten sich an der Säuberungsaktion.
Nachdem der Schaden behoben war, griff sich Muttchen Krause einige Male an ihren Kopf. Sie schaute die Beiden an und fragte:“ Wo habe ich bloß meine Brille?“ Sie sagte dann weiter : „ Die kann nur hier in der Küche sein.“
Inzwischen trafen ihre beiden Pensionsgäste, die Herren von der „Märklin-Eisenbahn“ ein, und die schlossen sich der gestarteten Suchaktion an. In der kleinen Küche begann ein lustiges Suchen, ja Treiben, aber die Brille war unauffindbar.
Unerwartet ein greller Aufschrei, und Hochwürden sprang von einem Bein auf das Andere, dabei hielt er seinen rechten Arm vom Körper, weit gestreckt. Rumpelstilzchen hätte an der Vorführung der Pfarrers seine größte Freude gehabt. Der Geistliche hatte aus Versehen auf die heiße Herdplatte gefasst.
Jungfer Fliederbusch hatte auf dem Fußboden nach der Brille gesucht. Durch den Aufschrei fuhr sie hoch, und stieß mit ihrem Kopf an die Tischplatte, so dass sie bewusstlos in sich zusammensackte. Die beiden Märklin-Herren bemühten sich rührend um sie.
Der starke Schmerz tat dem Geistlichen sehr zu zusetzen, denn er sprang weiter unvermindert im Kreis herum. Mutter Krause eilte ins Badezimmer und rief laut, Brandsalbe, Brandsalbe! Als sie den Sanitätsschrank öffnete fielen ihr stapelweise Papiertaschentücherpakete entgegen.
Die Brandsalbe wurde gefunden, und Langrock wurde verarztet.
Nachdem sich Fräulein Fliederbusch erholt hatte, fuhr sie Hochwürden mit ihrem Golf nach Hause
Der Tag verging, und Frau Krause hatte aus der Not heraus, ihre Fernsichtbrille aufgesetzt, um wenigstens ein bisschen „Durchblick“ zu haben.
Am Silvestermorgen klingelte es bei der Krause Sturm. Vor der Tür stand der Wasseruhrableser von den Stadtwerken, und er hielt eine Brille in der Hand. Es war zweifelsfrei Mutters Krauses Brille.
Im ersten Moment wollte sie dem Dämlack an die Gurgel fahren, doch dann machte sich bei ihr eine große Freude und Dankbarkeit breit.
Er sagte fast weinerlich : „Wie die in meine Aktentasche gekommen ist, weis der Kuckuck!“
Die Frau bedankte sich und gab ihm noch eine Tüte mit selbst gebackenen Plätzchen. Der Wasseruhrableser blieb staunend stehen, dass war ihm noch nie vorgekommen, dass jemand so reagiert. Er stand noch eine Weile und die Schneeflocken hüllten ihn in ein weißes Gewand.
Mutter Krauses Silvesteressen war nun nicht gefährdet.
Zum Mittagessen erschienen Pfarrer Langrock, Fräulein Fliederbusch und die beiden Herrn, vom Märklin-Versand.
Mutter Krause war eine gute Gastgeberin. Es gab eine Pastinakenvorsuppe mit gerösteten Bröseln, das Hauptgericht Wildschweingulasch mit Klößen und Rotkohl,
und zum Nachtisch Vanilleeis mit Erdbeeren und Sahne.
Zum Trinken gab es einen herben Rotwein. Es schmeckte allen vorzüglich, und das Essen zog sich in die Länge. Dem Pfarrer gefiel das Speisen so gut, dass er über seine Verletzung heftig spottete.
Die Gäste verabschiedeten sich bis auf Fräulein Fliederbusch, und wünschten beiden Frauen noch einen „guten Rutsch.“
Die beiden Frauen machten sich über den Abwasch her.
Danach setzen sie sich ins Wohnzimmer von Mutter Krause, und nahmen sich eine Flasche Eierlikör „zur Brust.“ Gegen 22.00Uhr gingen beide zu Bett.
Frau Krause legte sich nicht ins Schlafzimmer weil die beiden Fenster zur Straße
lagen. Sie war gegen Silvesterknallerei sehr empfindlich, und deshalb lege sie sich auf das Sofa in der Wohnküche. Hier konnte ihr der Lärm nichts anhaben.
Was war denn das? Irgendetwas tropfte auf ihr Gesicht. Sie rieb sich einige Male,
noch im Halbschlaf, über ihr Gesicht,, und es fühlte sich nass an. Die alte Frau sprang vom Sofa auf, und schaute zur Küchendecke. Die Decke glänzte vor Feuchtigkeit und hie und da tropfte das Wasser hernieder.
Mutter Krause warf sich einen Morgenmantel über und hastete die Treppen nach oben. Sie rief lauthals Fliederbusch, Fliederbusch, und rannte, in die Küche derselbigen. Mutter Krause drehte den Wasserhahn von der Spüle zu.
Die Fliederbusch stand im Türrahmen und schaute wie ein „begossener Pudel.“
Beide Frauen schauten sich eine ganze Weile regungslos an. Dann gingen sie aufeinander zu, umarmten sich, und begannen herzhaft zu lachen.
Das war nun der Neujahrstag, wie sollten dann die ganzen anderen Tage der Jahres verlaufen?


© Jürgen


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