In der dritten Klasse hatten wir öfter mal Frollein Schäfer, die Aushilfslehrerin für ein Stündchen – immer wenn Frau Schrecklich unsere reguläre Klassleiterin weg musste, zu einer Besprechung oder so…

In der Ersten hieß unser Lehrer „Knarre“. Das war ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg, aber der war harmlos. Die Schäfer hatte ein Hinkebein. In der ersten Vergangenheit heißt das glaube ich, sie honk – oder sie hinkte? Sie sah viel eher wie ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg aus als der Knarre, während der aussah als könne er ab und zu ein Schäferstündchen gebrauchen, denn Frollein Schäfer war sehr froh und gebildet. Sicher hätte sie was gewusst von dem der Knarre länger nichts gehört hatte. Französisch zum Beispiel. Aber ich glaube der war mehr in Italien.

Dann waren da noch der Glatz, der Loi und der Haier. Denen hätte Frollein Schäfer bestimmt nichts mehr zu erklären brauchen. Der Haier war mit einer viel zu großen Frau verheiratet – von Augenhöhe also keine Spur – die ihm sicher schon alles erklärt hatte. Loi hatte von Tuten und Blasen sowieso keine Ahnung und Glatz konnte sich im Urlaub immer kaum zwischen Frankreich und Schweden entscheiden. Diese Länder galten damals als sehr modern.

Kurioserweise unterrichtete der Loi eine Mädchenklasse. Die Sexjährigen sahen für uns durch die Bank bereits nett und gebildet ohne „ein“ aus. Wir Buben aus der Dritten freuten uns damals schon darauf mit ihnen zusammen erwachsen zu werden.

Dann übernahm uns der Trahn und der erzählte uns langweilige Geschichten über einen gedichteschreibenden Theodor, der es mit Schiffen hatte. Er war immer besonders sauber gekleidet, also der Trahn, nicht der Theodor und wir hofften er soll doch demnächst Bundespräsident werden, damit wir vielleicht ganz zu Frollein Schäfer kämen. Aber dafür war es noch viel zu früh. Und außerdem hinkt ja auch der Vergleich…

Zwischen den Schuljahren, in den Großen Ferien vergaßen wir dann, außer den zwischendurch auftretenden Gedanken an vielversprechende Mädchen, alles. Zumindest die Ungezogenen unter uns, wie ich z.B. Wir holten vieles nach! Das war dann so aus’m Bauch raus. Unsere Interessen blühten auf, zumindest bei den Ungezogenen, und wir versuchten Erfahrungen zu machen mit denen man etwas anfangen kann. Das ganze Jahr über hatten wir ja kaum Zeit dazu. Wir stellten uns vor – ich stellte mir vor (der Ungezogenste überhaupt) - die Erwachsenen, sowie ihre Kollaborateure (dieses Wort habe ich kürzlich im Radio gehört) wären längst out und sie hätten absolut keine Ahnung. Auf sie zu hören war reine Zeitverschwendung. Sie lebten ihr Ding, das für uns keines war und wir lebten in unseren Fantasien aus, was niemals enden sollte. Aber Ferien gehen leider auch irgendwann vorbei.

Dann befanden wir uns wieder zwischen den Fronten aus Langeweile und komischen Käuzen, die wahrscheinlich selber nicht wussten was sie mit uns anfangen sollten. Es stand ja schließlich nicht im Lehrplan, daß sie mit uns befreundet sind und auf uns eingehen müssen, sondern nur daß wir halt alle, Lehrer wie Schüler, da zu sein haben um Noten zu erreichen, die irgendwas über uns aussagen sollen.

Aus heutiger Sicht, der Sicht eines abgeklärten Zwölfjährigen, muss ich zugeben: wir haben insgesamt viel gemacht, aber kaum was gelernt, was wir im „späteren Leben“ – keine Ahnung was das sein soll – gebrauchen können. Wir wären viel lieber nach Amerika gegangen, zu den Schoschonen, oder Schamanen, oder wie die heißen und hätten uns dort in den Jagdgründen geübt.

Wir hätten dann mit Feuerwasser Lagerfeuer entfacht und Bärentatzen gebraten und uns beim Grillen Horrorgeschichten vorgelesen. Geschichten von Erwachsenen die sich so schlecht in Deutsch und Mathematik auskennen, daß sie sich die Chancen für uns nicht nur nicht ausrechnen, sondern auch nichtmal fehlerfrei aufsagen können was uns wirklich erwartet.

Wer weiß, vielleicht würden wir in Amerika auch manchmal zur Kirche gehen und nicht nur rein doof zur Kanzel hinauf gucken wie hier, wo sie uns immer erzählen warum es so gut ist qualvoll zu sterben. Keiner von uns ist schließlich so schön wie Jesus, das möchte ich zu bedenken geben. Die meisten von uns sähen am Kreuz eher jämmerlich aus.

Nein, wir spielen lieber Fußball oder Monopoly, aber das tun die Erwachsenen ebenfalls. Nun gut, dann gehen wir halt wieder zu sowas wie Frau Schrecklich in die Klasse, unterhalten uns über die jährlich neuen Sexjährigen von Loi und haben ab und zu mal Frollein Schäfer zu Gast. Das ist bestimmt angenehmer als Autos oder Babys am Fließband zu machen.

Ich glaube wenn das kommt, steige ich aus und gehe zu den Maoris in Seeland. Dort fange ich neu an und strecke allen die Zunge raus!


© Sur_real


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