Es beginnt, als er mit schnellen, zackigen Schritten auf sie zukommt. Er nimmt ihre rechte Hand, ihre Finger liegen federleicht in den seinen. Ihre Linke streicht zärtlich über seinen Nacken, bevor sie sich auf seine Schulter legt.
Darf ich bitten?
Oh ja, ja, ich bin bereit!
Sie sprechen dabei kein Wort, aber ihr Dialog benötigt auch keines.
Seine hochgezogenen Augenbrauen und der erwartungsvolle Blick fordern sie eindeutig auf. Und ihr leichtes Beugen des Kopfes, ein kleines Zucken ihrer Lippen und der demütige Augenaufschlag signalisieren ihm ihre Bereitschaft.
Er zieht ihren Körper dicht an seinen heran und legt besitzergreifend den Arm um sie. Dann hält er einen Augenblick inne. Für 1,2,3 Sekunden, in denen er sich sammelt. Sekunden, in denen sie sich befreit von eigenem Willen, bis sie willig ist. Sie lässt sich fallen in seine Umarmung und löst sich vom Rest der Welt. Mit den ersten Schritten schiebt er sie rückwärts. Er hält inne. Sein linker Fuß zeichnet einen kleinen Kreis auf den Boden, ihrer folgt seiner Bewegung. Er zieht sie seitlich an seinem Körper vorbei. Eine kleine Drehung der Hüfte, sein Oberkörper ist ihr zugewandt, ihr Gesicht dicht an seinem. Ein Moment, in dem sich ihre Lippen treffen könnten. Ein winziges Streifen, ein Hauch nur. Ein Augenblick, in dem die Zuschauer jedes Mal kurz den Atem anhalten und gebannt ihren Bewegungen folgen.
Aber sie sind kein Liebespaar. Und so treffen sich ihre Lippen nicht. Stattdessen reckt sie ein klein wenig ihr Kinn empor und wendet ihr Gesicht, nur Millimeter von seinem entfernt, ab.
Nein, ihre Lippen treffen sich nicht, gleichwohl aber ihre Augen. Es lodert ein Feuer in ihnen von einer Leidenschaft, die sie beide mit sich reißt.
Er stößt sie von sich, sie wirbelt herum bis ans Ende ihrer ausgestreckten Arme. Aber seine Hand lässt sie nicht los. Nun zieht er sie wieder zu sich heran, presst seinen Körper an den ihren. Seine Schritte gehen außen an ihr vorbei. In vollkommenem Gleichklang drehen sich ihre Körper um den anderen herum. Sein Bein umschlingt ihres, zieht es zu sich. Sie gibt nach, bis er sich tief über sie beugt, dann windet sie sich geschmeidig aus seiner Umklammerung, macht ein paar Schritte um ihn herum. Aber sie entkommt ihm nicht, schon ist er wieder bei ihr, presst sie an sich. Sie bewegen sich im Rhythmus vor und zurück, ihre Hüften berühren sich, zucken zurück, berühren sich erneut. Wie Wellen fließen ihre Bewegungen im Spiel miteinander.
Die Luft knistert vor Spannung.
Er führt sie und sie folgt ihm willig. Begierig fast nach dieser Einheit, demütig ob seiner Herrschaft, aber nie unterwürfig.
Sie gleiten über den Boden, werden eins, trennen sich wieder, nur um im nächsten Moment wieder miteinander zu verschmelzen. Ihre Körper wiegen sich im gleichen Takt, fordernd, schmachtend, voller Hingabe. Es gibt nur sie beide und diese Musik. Sie könnten sich nicht näher sein.
Sie wiegen und drehen sich im geschmeidigen Miteinander, bis sie mit dem finalen Ton verharren, die Körper unter Spannung, in perfekter Haltung.

Dann ist es vorbei.

Tango Argentino.

Darf ich bitten?

© Maler: Peter Hall


© Verdichter


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Beschreibung des Autors zu "Darf ich bitten?"

Ich bediene dieses Genre nur selten, aber hier gab es keine andere Wahl.
Ich kenne nichts erotischeres als eine Milonga.
Erotik muss nichts mit Sex zu tun haben und könnte von Pornografie nicht weiter entfernt sein.

Den Titel habe ich einem meiner Lieblingsfilme entliehen. Es ist die Aufforderung des Mannes an die Frau zum Tanz. Und der Moment, an dem der Funke überspringt.
Darf ich bitten?

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Kommentare zu "Darf ich bitten?"

Re: Darf ich bitten?

Autor: Jens Lucka   Datum: 06.02.2024 19:09 Uhr

Kommentar: Oh Ja, der Tango ist eines der Tänze, bei dem es zum Knistern kommt, wenn man sich absolut mit großem Gefühl aufeinander einlässt. Ich bewundere immer jene Perfektion, wie dieser Tanz gemeistert wird.
Das hast du hier wunderbar beschrieben, liebe Verdichterin ;-))

Liebe Grüße von Jens

Re: Darf ich bitten?

Autor: Sonja Soller   Datum: 06.02.2024 20:28 Uhr

Kommentar: Sehr schööön, liebe Verdichter,
ganz wundervoll beschrieben, man hört die Spannung förmlich sanft knistern!!

Herzliche Abendgrüße aus dem Norden, Sonja

Re: Darf ich bitten?

Autor: Alf Glocker   Datum: 07.02.2024 7:52 Uhr

Kommentar: wundervoll - ja!

Liebe Grüße
Alf

Re: Darf ich bitten?

Autor: Kathleen   Datum: 20.02.2024 16:48 Uhr

Kommentar: Liebe Verdichterin,

das hast du gekonnt beschrieben, man kann sich fallen lassen in deine Zeilen und und das Knistern genießen. Mehr brauch es nicht. Das Bild passt sehr schön dazu.

Liebe Grüße Kathleen

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