Tante Bärbel hatte für mich bei jedem Besuch ein kleines Geschenk. Manchmal war es ein Keks, manchmal war es eine Münze, manchmal ein geknüpftes Armband. Sie hatte viel Kram zuhause angesammelt. Manche hätten sie wohl einen Messi genannt, wenn sie das Haus mal von innen gesehen hätten. Tante Bärbel empfing aber keinen Besuch, also sah auch niemand das Haus in diesem Zustand außer mir. Für mich machte sie eine Ausnahme. Im Gegensatz zu den anderen verurteilte ich sie aber auch nicht dafür. Für mich war dieses Haus das Paradies. Wenn ich etwas fand, was mir gefiel, durfte ich es meist behalten. Sie sagte mir immer sie würde es eh nicht vermissen.

Mein Vater hatte jahrelang versucht seiner Schwester zu helfen und vorsichtig auf sie eingeredet, dass sie ihn doch reinlassen sollte. Er würde nur den Müll zwischen den Dingen entfernen und sauber machen. Aber Tante Bärbel weigerte sich. Er probierte es ewig. So lang, dass er kaum noch wusste, wie es im Inneren wirklich aussah. Das war für ihn unerträglich. Nicht nur war es seine Schwester die er dort im Kram versinken sah, nein, das Haus war das ihrer Eltern. Dort waren er, Tante Bärbel und Onkel Hermann groß geworden.

Je älter ich wurde, desto mehr bat mich mein Vater darum Tante Bärbel zu helfen. Wenn ich zu ihr ging, fing ich also an Müll in meine Taschen zu stecken und wegzuwerfen. Ich hatte auch immer einen Lappen einstecken und wischte mal hier mal dort ein Fleckchen sauber. So wjrde das Haus nach und nach hygienischer und es verschwanden immer mehr Dinge.

Tante Bärbel wurde dann krank. Sie nahm immer mehr ab, was zunächst für ihr Gewicht wirklich gut war, aber es hörte nicht mehr auf. Während das Haus immer weniger wurde, wurde sie es auch. Manchmal fühlte ich mich fast so, als könnte ich etwas dafür, aber Papa versicherte mir, dass es da keinen Zusammenhang geben konnte.

Irgendwann musste Tante Bärbel ins Krankenhaus. Wir besuchten sie regelmäßig, doch die Ärzte gaben ihr nur noch sehr wenig Zeit. Papa bekam das Haus und fing an rigoros auszumisten.
Als wir sie an dem Tag besuchten sagte sie etwas, von dem ich bis jetzt nie verstanden hatte, was sie meinte.

"Ich habe dir vertraut."

Am nächsten Tag kam am Haus ein großer Müll-Container an. Sie verstarb am selben Tag. Mittlerweile glaubte ich, dass sie irgendwie mit diesem ganzen Kram verbunden war. Und als wir das loswurden, da verloren wir sie ebenfalls.
Sie hatte mir vertraut, dass ich sie nicht ändern wollen würde, aber ich hatte sie enttäuscht.


© Menschenblind


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