Mein Vater war Bestatter. Also hatte ich bereits in jungen Jahren Erfahrung mit toten Menschen gesammelt. Als ich noch klein war, hatte mein Vater keine andere Wahl gehabt als mich mit zur Arbeit zu nehmen. Meine Mutter war nämlich bei meiner Geburt verstorben. Und es ließ sich eben nicht immer ein Babysitter auftreiben oder überhaupt bezahlen. Also setzte mein Vater mich oft zu seinem Kollegen an die Rezeption vorne, so konnte er mich zumindest etwas vor dem Anblick im hinteren Bereich schützen. Aber an manchen Tagen arbeitete nur mein Vater hinten im Laden an den Verstorbenen und da konnte er mich nicht wirklich woanders lassen. Also führte er mich vorsichtig an das Thema heran.

Er hatte extra gewartet, bis wieder ein natürlicher Todesfall eintraf um mir meine erste Leiche zu zeigen.
Die Unfallopfer waren oft entstellt, das wollte er mir nicht gleich zumuten.
Er zeigte mir eine Dame mittleren Alters. Sie war an einem Herzinfarkt verstorben und sah dementsprechend aus als würde sie friedlich schlafen. Ich fand das damals nicht einmal gruselig. Für mich war das eben ein Mensch, den man nicht wecken konnte. Ein Mensch der sehr, sehr fest schlief.

Je älter ich wurde, desto mehr traute er mir zu. Ich begriff dann auch was es hieß tot zu sein. Dass es eben nicht nur ein fester Schlaf war, sondern dass der Mensch nicht mehr wieder kommen würde. Irgendwann wurde es für mich Alltag und schon bald half ich meinem Vater freiwillig nach der Schule. Mir machte es schon bald Spaß auszuhelfen und irgendwann fragte mein Vater mich, ob ich mit 18 das Geschäft übernehmen wollen würde.
Ich sagte natürlich ja.

Ich war dort quasi aufgewachsen. Auch wenn ich früher gedacht hatte, dass ich etwas ganz anderes werden würde. Aber ich war begeistert von der Idee den Betrieb zu übernehmen. Irgendwie wollte ich gar nichts anderes mehr machen. Ich konnte mir gar nicht vorstellen woanders zu arbeiten. Man half damit so vielen Menschen durch so schwere Zeiten. Das tat einfach gut.

Und so trat ich dann in die Fußstapfen meines Vater.


© Menschenblind


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