Drachenreiter, so nannte man jene Menschen, die eine tiefe Verbindung zu den Drachen pflegten. Wurde ein Drachenreiter geboren, so wurde ebenfalls ein Drache geboren, der dessen Gegenstück werden sollte. Die Herzen der Drachen und ihrer Drachenreiter waren von Geburt an miteinander verbunden. Leider gab es nicht nur gute, sondern auch böse Drachenreiter, die ihre Drachen ausnutzten und so Kriege und Chaos über die Welt brachten So kam es dann, dass die Drachen verschwanden und nicht mehr mit den Menschen in Verbindung stehen wollten. Die Drachenreiter starben dadurch aus, bis sich niemand mehr daran erinnerte, dass es sie gab.
Doch nach vielen Jahrhunderten, wurde wieder ein Drachenreiter geboren, genauso wie sein Gegenstück. Doch trotz das sie zusammengehörten, sich verbunden fühlten, wuchsen sie ohne einander auf. Das Drachenbaby wuchs weit über den Wolken an einem geheimen Ort auf, den nur die Drachen kannten. Der Drachenreiter hingegen wuchs auf der Erde, im Schoß seiner Familie auf.
Es war ein kleines quirliges Mädchen, dass von jedem gemocht wurde, ihr Name war Roseenja.
Sie wuchs zu einem lieben und beharrlichen Mädchen heran. Doch trotz das sie nichts von Drachen oder Drachenreitern wusste, hatte sie immer das Gefühl, es würde etwas fehlen. Als wäre ihr Leben nicht komplett und dieses leere Gefühl, brachte sie oft zum grübeln. Als Roseenja 16 Jahre alt wurde, beschloss sie von Zuhause wegzugehen. Sie wollte dieser Leere in ihr auf den Grund gehen und das bedeutete, sie musste ihre Heimat verlassen.
So ging Roseenja auf Reisen, ohne ihr Ziel zu kennen.
Zur selben Zeit ging es dem kleinen Drachen, der nun auch herangewachsen war, ebenso. Auch er kam zu dem Entschluss, seine Heimat zu verlassen. Denn genauso wie Roseenja sich instinktiv nach ihrem Drachen sehnte, so sehnte sich ihr Drache auch nach ihr.
Natürlich wurde ihm erzählt, wie gefährlich die Menschen waren und das es besser wäre, er würde in seiner Heimat bleiben, doch das interessierte den Drachen nicht. Er wollte seinen eigenen Weg gehen und so flog er los. Hinaus in die Welt, weit weg von seiner Heimat. Natürlich hatte auch er kein Ziel und so folgte er einfach dem Gefühl der Leere, der Einsamkeit, was ihn sein ganzes Leben verfolgt hatte.
Keiner der Beiden ahnte, dass sie sich einander näherten, dass der unsichtbare Faden, der Beide verband, immer kürzer wurde, je näher sie sich kamen.
Doch eines Tages geriet der Drache in die Fänge eines großen Lords. Er holte den Drachen vom Himmel und sperrte ihn ein. Schließlich war es der erste Drache seid tausenden Jahren und somit hatte der Lord einen Vorteil gegenüber seinen Nachbarländern. Er wollte den Drachen zähmen und ihn dazu benutzen, um seine Feinde zu töten und ihr Land zu erobern.
Der Drache hatte noch nicht viel Erfahrung und konnte sich gegenüber der Macht der Menschen nicht wehren. Er wurde in einen großen Kerker gesperrt und jeden Tag gezüchtigt, doch der Wille des Drachen war zu stark. Eines Nachts, sah der kleine Drache aus dem einzigen Fenster, was sich in dem Kerker befand. Es war mit großen Metallstäben bestückt, aber die frische Luft tat gut. Er sah in den Himmel und erblickte die Sterne, die wie Diamanten am Himmel leuchteten.
Im selben Moment sah auch Roseenja in den Sternenhimmel und fragte sich, wo ihre Reise sie wohl hinführen würde.
Plötzlich wurde ihr dabei jedoch schwindelig und sie taumelte nach hinten, als ein gleißend helles Licht vor ihrem inneren Auge aufleuchtete. Bilder flammten urplötzlich auf und waren genauso schnell wieder verschwunden.
Roseenja atmete hastig ein und aus, versuchte sich zu erinnern, was gerade passiert war. Ein Meer aus Farben hatte sich urplötzlich in ihr breit gemacht gehabt und sie versuchte sich die Bilder, die sie eben gesehen hatte ins Gedächtnis zu rufen. Sie hatte einen blau schimmernden Drachen gesehen, der durch die Luft geflogen ist. Das Bild wurde in der Mitte zerrissen und ein Meer aus Feuer breitete sich über eine Stadt aus. Sie hatte die Schreie gehört, dann ein lautes grelles Lachen. Sie sah einen dunklen Raum und hörte das Zischen einer Peitsche, dann sah sie Blut, das zu Boden tropfte. Zum Schluss überkam sie das Gefühl, sie wäre eingesperrt, sie hatte Schmerzen, sie war traurig und wusste nicht wohin sie sollte.
Was war das nur gewesen? Ihr war schwindelig und ihre Hände zitterten. Roseenja setzte sich ins kühle Gras, da sie das Gefühl hatte, sie würde gleich umkippen.
So etwas war ihr bis jetzt noch nie passiert, sie sah erneut in den Himmel und hatte das Gefühl nun zu wissen, wohin sie gehen musste.
Diese Stadt, die sie gesehen hatte, die vom Feuer verschluckt wurde, das war ihr Ziel. Aber wie sollte sie nur diese Stadt finden? Roseenja versuchte sich nochmal jedes Detail aufzurufen, an das sie sich erinnern konnte, sie musste diese Stadt finden.

Es vergingen viele Tage, an denen Roseenja herumlief, Fragen stellte und einige sonderbare Leute traf.
Doch nach langer Suche fand sie einen Barden, der ihr weiterhelfen konnte, denn er kannte die Stadt die sie suchte. Sie befand sich einige Tagesmärsche weit weg und war die Hauptstadt des riesigen Königreiches Trompes. Dort würde sie wohl fündig werden, auch wenn Roseenja nicht einmal wusste, nach was sie suchte.
Der Barde begleitete sie einige Tage und unterhielt sie mit einigen Liedern, bis sich ihre Wege trennten. Roseenja ging ihren Weg ab da an alleine weiter und hoffte endlich Antworten zu finden. Immer wieder hatte sie seltsame Träume gehabt. In diesen Träumen war sie eingesperrt, fast verhungert. Immer wieder schlugen Peitschen auf sie ein, einmal traf sie sogar ein Pfeil. Der Boden war mit Blut getränkt, doch sie verspürte keinen Hass, sondern nur Angst und Trauer.
Jedes mal erwachte sie schweißgebadet und zitterte am ganzen Leib.
Als sie endlich die Stadt aus ihrer Vision erreicht hatte, spürte sie Angst in sich aufkommen, was würde sie erwarten?
Doch als sie die Stadt betrat, war die Angst auf einmal wie weggeblasen. Es war, als würde eine riesige Kraft in ihr erwachen, ein Feuer, was bis jetzt geschlummert hatte.
Mit einem Mal hatte sie so viel Energie in sich, dass die letzten Tage der Wanderschaft wie weggeblasen waren.
Sie atmete tief durch und überlegte sich, was sie als nächstes machen würde.
„Roseenja“ rief eine Stimme.
Sie drehte sich um, sah aber niemanden. Die Stadt war belebt, überall liefen Leute herum, manche langsam, andere schnell, als seien sie in Eile.
„Roseenja.“
Wieder diese Stimme, aber woher kam sie nur?
„Hilf mir!“
Plötzlich blitze es wieder vor ihrem geistigen Auge auf und ein Bild von der Stadt erschien. Sie sah sich selber von hinten, doch dann wurde das Bild lebendig und huschte die Straße vor ihr entlang. Dann eine Gasse nach rechts, dann wieder gerade aus und 2 mal nach links, bis wieder eine kleine Abzweigung rechts kam und es schließlich wieder gerade aus ging. Dann sah sie ein großes Schloss, inmitten der Stadt. Das Bild hielt kurz an, dann ging die Reise weiter in das Schloss hinein. Ein langer Gang führte zu eine Treppe, die nach unten führte und an einer großen Eisentür endete. Dann war die Reise zu ende und sie kehrte in Eiltempo zurück zu dem ersten Bild, dann war die Vision verschwunden.
Nun wusste Roseenja, wohin sie gehen musste und hoffentlich endlich Antworten finden würde.

Es dauerte nicht lange, bis sie am Schloss ankam, aber was sollte sie nun machen, wie kam sie hinein?
„Endlich bist du da. Ich habe so lange auf dich gewartet.“
Wieder sah sich Roseenja um und hörte ein merkwürdiges Summen, als würde irgendetwas vibrieren.
Sie erblickt ein kleines vergittertes Fenster an der unteren Schlossmauer weiter rechts von ihr. Etwas versteckt durch einen großen Busch. Sie ging hinüber und blickte in das Fenster hinein.
Ihr Atem stockte, als sie in das Gesicht einen Drachen sah. Er besaß blau schimmernde Schuppen, wie aus ihrer Vision und sein Schwanz schlug kräftig auf dem Boden auf. Noch nie im Leben hatte sie einen Drachen gesehen, es war faszinierend.
Sie sah in seine Augen, die so unendlich grün wirkten, dass man darin hätte versinken können. Sie erinnerten das das Meer, dessen Oberfläche grün in der Sonne glänzte , so ruhig, als gäbe es nichts anderes auf der Welt.
„Hast du mich gerufen?“
„Ja.“
Die Stimme war zweifelsohne die des Drachen, aber wie konnte ein Drache sprechen?
„Wir haben eine spirituelle Verbindung, die es mir erlaubt, gedanklich Kontakt zu dir aufzunehmen. Ich habe lange Zeit nach dir gesucht und nun treffen wir uns endlich.“
„Du hast nach mir gesucht?“
„Hast du es nicht verspürt, diese Leere? Als würde etwas in deinem Leben fehlen? Als hättest du einen Teil von dir verloren?“
„Aber woher ...“
„Du bist ein Drachenreiter. Der erste seid vielen Generationen. Meine Vorfahren haben uns dieses Wissen weitergegeben. Ein Mensch und ein Drache, 2 Körper, ein Herz, eine Seele. Kannst du es spüren?“
Roseenja nickte, es war absurd, aber es stimmte, sie konnte diese Verbindung wirklich spüren.
„Was ist passiert?“
„Ich war auf der Suche nach dir, aber dieser böse Mensch hat mich gefangen genommen, aber du kannst mich befreien.“
„Aber wie? Das Schloss wird bewacht.“
„Berühre mich, damit wird unsere Verbindung besiegelt und eine große Kraft wird freigegeben.“
Der Drache drehte sich um und zeigte seinen schuppigen Rücken, der übersät war mit Wunden. Schnitte, Blutergüsse und Narben, Roseenja erinnerte sich an ihre Träume. Das musste wohl die Verbindung sein, von der der Drache gesprochen hatte.
Sie zögerte kurz, doch dann fasste sie durch das Gitter hindurch den Drachen an. Eine kurze Weile verharrten sie so, doch dann hörte sie den Drachen brüllen. Es war ein schriller Schrei, der aus der Kehle des Drachen kam. Die Erde erzitterte darunter und das Mauerwerk fing an zu bersten.
Roseenja zog ihre Hand wieder zurück und ging einige Schritte rückwärts, als plötzlich die Mauer einstürzte und ein riesiges Loch frei gab. Der Drache kletterte heraus, schüttelte kurz den Kopf und schrie erneut. Wieder erbebte die Erde und sie hörte Schreie und sah Wachen, die auf sie zukamen. Ein Pfeil saust durch die Luft und prallte an dem Schuppenpanzer des Drachen ab. Die ganzen Verletzungen waren auf einmal verschwunden und der Drache schimmert tief blau in der Sonne.
Sie verlor keine Zeit, sprang auf den Rücken des Drachen und dieser erhob sich mit einem weiteren Schrei in die Lüfte.
Roseenja traute ihren Augen nicht, als die Straße, das Schloss und selbst die Stadt immer kleiner wurden. Sie hielt sich fest, doch hatte das Gefühl, sie würde alleine fliegen, es war atemberaubend.
Dann flogen sie durch den Himmel und ließen alles hinter sich. Roseenja lachte, sie war noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen. Endlich hatte sie das Gefühl, vollkommen zu sein, die Leere in ihrem Inneren war verschwunden.
„Das ist unglaublich. Wie heißt du eigentlich?“
„Du weist wie ich heiße, du kennst mich, genauso wie ich dich.“
Der Drache hatte recht, es kam ihr vor, als würde sie einen längst vergessenen Freund wiedersehen.
Sie lächelte vor Freude und schrie den Namen des Drachen so laut sie konnte, damit er überall zu hören war.
„Leticia!!“
 

Ende


© Lysann Blackmoon


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