Seit Tagen fühlte ich mich verfolgt. Dabei hatte ich bei jedem dieser paranoiden Gedanken das Gesicht eines mir unbekannten Mannes im Kopf. Doch auch wenn ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte, so hatte er doch auch etwas vertrautes, oder vielmehr etwas Bekanntes an sich. Doch so sehr ich mir auch den Kopf darüber zerbrach, wer er nun sein möge, oder weshalb mein Kopf sich eben genau jenes Gesicht ausgemalt hatte, kam ich auf keine Antworten. Trotz allem verfolgten mich diese unangenehmen Gedanken, widerwillig nicht alleine zu sein und beobachtet zu werden und nahmen mir die Ruhe in meiner stillen Zeit, sowie in Gesellschaft meiner Freunde.

„Was ist los mit dir, Daniel?“, drang es leise an mein Ohr, doch konnte ich mich der Stimme neben mir nicht zuwenden. Dieser Ort hatte mir den Atem geraubt. Etwas Bedrückendes lag in ihm, doch zum selben Zeitpunkt auch etwas Magisches, etwas Freies, wie ich es in dieser Welt noch nie wahrgenommen hatte. Es glich einem riesigen Parkplatz, doch ganz ohne Autos oder Straßen. Lediglich vereinzelt positionierte weiß strahlende Laternen und ebenso scheinbar zufällig aufgestellte Eisenstangen, an denen Schilder mit den unterschiedlichsten Aufschriften angebracht waren oder einfach nur den Weg zu versperren versuchten, was aber völlig sinnlos war, bei der Größe dieses Ortes. So wie ich mich umsah, glich es einer gigantischen Höhle, doch schien sie von Menschenhand erbaut worden zu sein. Denn je genauer ich auch hinsah, umso mehr meinte ich, glatte Kanten durch den dünnen Nebel, der uns in den Weiten umringte, erkennen zu können. Irgendwie schienen sie mich in meiner Unwissenheit, in Form einer hochhaushohen Decke und schwer ersichtlichen, womöglich gar nicht existenten Wänden einzuschließen. Doch nicht nur mich hielt sie passiv davon ab, das Himmelzelt der Sterne zu beobachten, oder war es überhaupt Nacht? Irgendetwas in mir, wusste scheinbar, dass es nicht Tag war, doch wie sollte ich mir dessen sicher sein? Ich hatte immerhin weder eine Uhr noch mein Handy bei mir, um die Zeit zu checken. Doch fragte ich mich, wie diese “Halle“, wie ich sie spontan getauft hatte, so natürlich wirken konnte? Ich vermisste den Himmel nicht einmal, da diese einzigartige Atmosphäre mich in ihren Bann zu ziehen schien. Von der Konstruktion dieses Ortes abgewandt, erkannte ich erstmals, dass ich hier nicht alleine war. Auch wenn auf den ersten Blick, nicht viel zu erkennen war, so waren hier doch überall vereinzelte kleine Gebäude. Einige mit bunten Lichtern, andere eher unscheinbar. Jene, die ich von meinem Standpunkt aus erkennen konnte, waren eine Bar und ein Gasthaus. Eigentlich hätte mich dieser Ort vollkommen aus der Fassung bringen und alles in Frage stellen lassen müssen, doch sowie ich hier und dort kleine Menschengruppen erkannte, die ihrer Wege gingen und sowohl in als auch aus den Gebäuden schlenderten, blieb ich weiterhin ruhig. Aber da war doch etwas, Menschen? „Daniel, heyy! Hörst du mich nicht?“, drang es wieder an mein Ohr und ich bemerkte endlich, wovor ich die ganze Zeit lang, durch den Anblick dieses einzigartig neuen Ortes abgelenkt gewesen war. Domenik stand neben mir. „Sorry!“, sagte ich schnell, „Ich war gerade einfach nicht ganz bei mir.“ „Ich hab´s gemerkt! Als wärst du zum ersten Mal im Untergrund.“, erwiderte Domenik und fing dabei herzhaft an, zu lachen. Der Untergrund? Zum ersten Mal? Komisch, war ich hier schon öfter gewesen? Und was ist das hier eigentlich alles? Alles Gedanken die mir dabei durch den Kopf gingen, als wir begannen, uns unseren Weg über die parkplatzähnelnde Oberfläche des Bodens unter uns zu bahnen. Aus Gewohnheit taste ich jede meiner vielen Taschen an Jacke und Hose ab und tatsächlich fand ich, wonach ich gesucht hatte. – Eine Schachtel Kippen. Wow, ich hatte echt Kippen dabeigehabt aber weder mein Handy, noch eine Uhr, noch sonst irgendetwas. Nicht einmal meinen Geldbeutel. Aber wenigstens war das Feuerzeug wie immer an seinem Platz, in der Kippenschachtel mit dem beige-blauen Logo. Ich zog ein von ihnen heraus und zündete sie mir im Mund an. Sowie ich den Rauch durch den Filter in mich hineinsog, konnte ich ein bisschen entspannen und es fühlte sich mehr nach Normalität an. Auch wenn ich die Realität in diesem Ort weiterhin hinterfragte. Doch bevor ich mir weiter den Kopf zerbrechen konnte, sprach Domenik eine Gruppe Gleichaltriger neben uns an, welche ich nicht einmal bemerkt hatte. Dieser Ort ließ mich einfach nicht mehr ganz aus seinem Bann. Er war wunderschön, friedlich und magisch, doch gleichzeitig auch angsteinflößend, paradoxerweise einengend und auf eine dunkle Weise auch mysteriös. Auch wenn ich immer noch nach dem Himmel suchte, so fühle es sich doch wie an der Oberfläche an, direkt unter dem Firmament der Sterne. Woher kam dieses täuschende Bewusstsein? Domenik quatschte mit den Leuten, die er scheinbar kannte, während ich nur einige wenige Worte aufschnappte. Mit vereinzelten langen Kippenzügen versuchte ich mich an diesen Ort zu gewöhnen, als das Gespenst in meinem Kopf, dass diesen hinterfragte kurz verstummte. „In‘s Comfy“, hatte ich aufgeschnappt, als ich tatsächlich wieder in meinem Umfeld angekommen war. Domenik hatte das gesagt. War das unser Ziel? Ich hatte keine Ahnung, doch wollte ich auch nicht nachfragen, da Domenik ohnehin schon verwirrt schien, aufgrund dessen, wie ich mich verhielt. Als wir so mit der Gruppe redeten, oder besser gesagt, als Domenik mit den Anderen redete, blieb ich zurückhaltend. Es war komisch ihnen dabei zuzusehen, wie sie diesen Ort als so normal empfanden. Doch fuhr hier nicht einmal ein Auto, auch wenn die weißen Markierungen am Boden, die mir erst jetzt auffielen, nur noch weiter an die eines Parkplatzes oder einer Straße erinnerten. „Komm, lass uns was essen. Dann geht’s dir sicher wieder besser.“, sprach Domenik mir zu. Die Gruppe war schon wieder weitergezogen. Erneut war ich in Gedanken versunken und hatte nicht einmal bemerkt, wie sie wieder weiterzogen. „Gute Idee!“, stimmte ich Domenik nur kurz zu. Wie hätte ich auch gesprächig sein sollen, so natürlich wie er in dieser gesamten Situation wirkte, ganz im Vergleich zu mir an diesem Ort, wenn man seinen Worten Glauben schenken durfte. Und das tat ich. Das tat ich immer. Wir kannten uns lange genug. Über sechs Jahre um genau zu sein. So gingen wir weiter, ohne Gehweg oder Straße, an der wir uns hätten orientieren können. Doch Domenik schien auch hierbei weiterhin sicher. Ich warf meine Kippe auf den Boden, zog meinen Fuß kurz darauf über den Boden, so dass die Kippe das glühen aufhörte und der letzte Rest Tabak am Filter aus dem aufgerissenen Papier quoll. Daraufhin holte ich eine weitere aus der Schachtel und zündete auch sie in meinem Mund an. Einfach entspannen dachte ich. Doch konnte ich es einfach nicht. Dieses Gefühl der Unwissenheit und die erneut aufkommende Paranoia mit jedem Schritt, den ich tat hinderten mich daran. Doch bevor ich mir erneut den Kopf hätte zermartern können, hielten wir an und standen schließlich vor einem der vielen kleinen Gebäude. Es war scheinbar ein Lokal. Durch die Fenster erkannte ich einige Leute darin an Tischen und einer Bar, die aßen und tranken und sich laut unterhielten, so dass ihre Gespräche leicht durch die Fenster zu uns nach draußen drangen. „Langsam hab ich aber auch Hunger.“, gab Domenik kund, worauf hin ich die zweite Kippe auf dem hohen Mülleimer mit Aschenbecher, neben dem Eingang, ausdrückte, der mir ebenso komisch zufällig platziert erschien, wie alles andere hier “unten“. Da schoss es mir in den Kopf, gerade als ich den Rest des Kippenstummels schwarz an dem Aschenbescher entlang zog. – Ich kenne diesen Ort! Ich tat einen, zwei, drei, vier Schritte weg von dem Lokal, sah zu der nächsten Laterne und von ihr aus weiter über die flache Landschaft, die mir gerade noch so mysteriös erschien. Ich habe von diesem Ort geträumt bemerkte ich, als sich Tränen den Weg über meine Wangen bahnten. Ich hab von diesem Ort geträumt. Ich dachte er wäre nur ein Konstrukt meiner Fantasie, lediglich lebendig in meinem Kopf. Aber hier stehe ich, auf festen Boden, spüre das Nikotin, dass mein Gehirn erreicht und atme eine andere Luft, als die die ich kenne. Die Szenerie vor mir ließ meinen Körper vor Freude beben. Ich war tatsächlich hier, an dem Ort von dem ich geträumt hatte. Und sowie die Unsicherheit und versteckte Angst über diesen Ort verschwand, erkannte ich erstmals seine unvergleichbare Schönheit. Als hätte ein Künstler eine Szene aus einem Spaziergang bei Nacht genommen, alles womöglich Störende entfernt, sie dupliziert und eingefroren, auf dass das Gefühl dabei eingefangen wäre. Ich war glücklich, ein Traum, den ich im Stillen unbeabsichtigt geträumt hatte, war wahr geworden, als hätte sich eine Prophezeiung erfüllt. Als hätte ich eines Nachts in die Zukunft gesehen und ein leuchtendes Strahlen vorgefunden. „Ich hab das alles schon einmal geträumt! Ich kenne diesen Ort!“, sprach ich laut. Fast schon geschrien hatte ich es. Domenik kam von hinten an mich heran und sprach mir etwas zu: „Dann komm, erkunden wir ihn!“ Er wusste genau, was in mir vorging, ich konnte es fühlen. Das war normal für unsere Freundschaft.

Die Tränen aus meinem Gesicht gewischt, betrat ich mit roten Augen das Lokal. Dort fand ich, aufgrund meines veränderten und neu erlangten Bewusstseins, eine gefühlt neue Welt vor. Eng aber auf eine angenehme kuschelige Weise. Stimmt ja, draußen über der Tür hatte in kleines Schild gehangen. - “Comfy“ Da leuchtete es mir ein. Es war nicht nur, dass der Name passend war, sondern was ich vorhin im Gespräch mit der Gruppe aufgegriffen hatte, war wirklich unser Ziel gewesen. Dies war nicht Teil meines fast vergessenen Traumes, was es noch viel schöner machte. Nicht alles zu wissen, sondern diese Welt, wie Domenik bereits gesagt hatte, erkunden zu können. Das Lokal stand wirklich zu seinem Namen, eine gemütliche Atmosphäre, auch wenn der Tisch, gleich rechts neben dem Eingang aussah, als würde dort ein Haufen Kinder essen. Bequem gepolsterte Stühle und Sitzhocker und vielerlei Holzbalken, die mich an die japanische Bauweise erinnerten. Und auch das Licht war mehr als angenehm, in seinem dunkelorangenen Ton. Wir bahnten uns unseren kurzen Weg durch die Mitte des Raumes, nach hinten und bogen in eine kleine Kurve nach links, wo ein Tisch mit zwei großen Sesseln an zwei kleinen Fenstern stand, wodurch ein wenig das Licht, der Laternen draußen, strahlte. Ein wahres Lichtspiel – Traumhaft schön. Wir setzten uns. Domenik links und ich rechts. Unbeschreiblich bequem, wie ich in diesem Sessel versank. Ich hätte glatt einschlafen und träumen können, da schritt auch schon eine Bedienung auch auf uns zu und fragte, was wir denn gerne zu trinken hätten. Die junge Frau mit einem schwarzen Zopf passte perfekt in dieses Lokal, ebenso ihre freundliche Art, die sogar schon bei dieser einfachen Begrüßung und Frage herausstach. Ich hatte keine Lust jetzt noch lange in die Karte zu schauen, um eventuell etwas Interessantes zu finden und bestellte einfach eine Cola. Ich fühle mich ohnehin besser denn je und wollte gar keinen Alkohol, der mich vielleicht etwas benebeln könnte. Domenik bestellte ein Bier. Wie immer. Daraufhin stand ich langsam auf und erklärte ihm, dass ich nur schnell aufs Klo müsse. Sein Finger zeigte hinter sich. Vielleicht drei Meter weiter, fand ich auch schon die verzierte Holztür. An das Klo erinnere ich mich nicht mehr, was mir darin allerdings auffiel war, dass draußen keinerlei Wind gegangen war und jeder auch nur in einem Hoodie oder Longsleeve herumlief. Vereinzelt auch einmal eine dünne Jacke, aber nichts, was man draußen im Winter anziehen würde. Auch ich hatte nur einen Hoodie an und bestätigte mir erneut die Schönheit dieses Ortes. Kein nerviger Wind, keine Hitze, keine Kälte, lediglich Ruhe und Gelassenheit. Doch egal wie sehr mich diese weiter Erkenntnis auch glückliche stimmte, alles endete als ich wieder vor die Tür zu meinem Platz trat. Dort saß ein Mann auf meinem Platz, gegenüber von Domenik und sah mich an. Mit jedem der drei, vier Schritte auf ihn zu, wuchs die zuvor herrschende Paranoia, als würde sie mich jeden Moment zerreißen. Der Mann sah mich an und ich erkannte, ebenso, wie ich diese Welt vor der Tür erst wiedererkannt hatte. Es war der Mann den sich mein Kopf ausgemalt hatte. Das Gesicht meiner Paranoia, der Indikator für meine immer wieder aufkommende, bis nun unbegründete Angst. Und gerade als ich fragen wollte, wer er sei, warum er hier war und was er wollte, setzte er an. Und so wie er sprach schwappte die Erkenntnis in Form seiner Worte über mich: „Ich bin du!“

Alles hier war nur ein weiterer Traum, indem ich nicht bleiben könnte – Ich wachte auf.
Der unvergleichbaren Schönheit dieses nächtlichen Konstrukts beraubt.


© Feeling Mask


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