Das Morgenlicht ist schon erwacht,
der Hirsch erhebt sein stolzes Haupt
Die Erde ist noch taubenetzt-
schon geht des neuen Tages Lauf

Sein Ruf hallt weit hinaus ins Land,
er rüstet sich für diesen Tag
in Freiheit, Kraft und aller Würde -
Allein zu sein, das macht auch stark

Er läuft die wohlbekannten Pfade,
er steigt hinauf und stiebt hinab
Kaum einer hindert seine Wege -
zum Wasser zieht es ihn mit Macht

Er kommt zum Lauf des kleinen Flusses
und trinkt das herrlich kühle Nass
So kann das Leben weiter fließen -
braucht wenig Sorgen, keinen Hass

Noch and’re sind im nahen Wald
auf Wiesen und in lichten Höh’n
Sie spüren wohl ein inn'res Band -
so kann das Leben weitergeh’n

Ein tiefes Röhr'n manchmal erschallt
im tiefen, dunklen, wilden Wald
Zur Zeit der Brunft ruft er hinein:
"Hier, hier bin ich und hier ist mein"

So stattlich sein hat seinen Preis,
er trägt ja schwer, frisst viel und kämpft
Verliert bisweilen, blutet auch
und lebt auch mal etwas gedämpft

Der Abend senkt sich in die Fluren,
zum Wald hat er sich aufgemacht
Geschützt und still kaut er das wieder,
was dieser Tag ihm dargebracht

Der Hirsch

© shocky - Fotolia.com


© Jürgen Wagner


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Beschreibung des Autors zu "Der Hirsch"

Die Hirsche sind - bis auf die Brunftzeit im Herbst - Einzelgänger, während die Hirschkühe im Verband mit den Jungen leben. Ihr mächtiges und schweres Geweih, das ihre ganze Erscheinung bestimmt, wird jedes Frühjahr abgeworfen und muss erst wieder nachwachsen. Da muss der Hirsch bis zu 20 kg am Tag an Gräsern, Rinde, Pilzen und Beeren zu sich nehmen. Die Wissenschaft rätselt bis heute über diesen riesigen Aufwand. Der jährliche Neuaufbau könnte so etwas wie ein internes Regulativ sein: die gewaltige Kraft, Präsenz und Potenz ruft vielleicht nach einem starken Gegengewicht. Oder man entledigt sich wenigstens für ein paar Monate mal dieser Last, die ungefähr einem mit Wasser gefüllten Eimer entspricht, den wir ständig auf dem Kopf trügen.

Ein 'kapitaler' Hirsch sammelt gerne ein ganzes Rudel von weiblichen Tieren um sich, das er aber gegen Rivalen verteidigen muss. Mit einem 'ausschweifenden Leben' in unserem Sinne hat das wenig zu tun, auch nicht mit Macht und Herrschaft über das andere Geschlecht. Es ist in der Natur nie ein Problem, wenn die (männliche) Lebenskraft vielfach weitergegeben wird - selbst in der Menschheitsgeschichte ging die Weitergabe des Lebens und das Fortbestehen fast immer über persönliche Rücksichtnahmen und Bindungen. Wir mögen in unserer Zeit Bibliotheken füllen mit Beziehungsdramen - in Wirklichkeit folgen wir übergeordneten Kräften, die wir nur selten wirklich beherrschen und führen können - geschweige denn erfassen.

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Kommentare zu "Der Hirsch"

Re: Der Hirsch

Autor: agnes29   Datum: 17.10.2016 20:03 Uhr

Kommentar: Sehr interessant was du wieder geschrieben hast, ein wunderschönes
Gedicht. Ich denke mal das die Tiere es nicht leicht haben.
Schönes Bild, der Hirsch hat so einen stolzen Blick.
LG Agnes

Re: Der Hirsch

Autor: Juergen Wagner   Datum: 18.10.2016 0:33 Uhr

Kommentar: Ich weiß auch nicht, warum ich all diese Dinge nie gesehen habe - plötzlich ist es, als wenn eine Wand zwischen mir und der Welt durchlässig wird ... Danke für Deine unterstützenden Worte! Jürgen.

Re: Der Hirsch

Autor: Evia   Datum: 18.10.2016 21:17 Uhr

Kommentar: Auch dein Kommentar ... das ist ein gutes Zeichen !
Abendgruss
Evia

Re: Der Hirsch

Autor: Juergen Wagner   Datum: 18.10.2016 23:11 Uhr

Kommentar: Danke Dir! Jürgen

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