Und Watson sagte zu Sherlock:
"Bevor ich nur im Zimmer hock’,
will ich nicht länger lamentieren
und mich politisch engagieren.
Ich lass’ mich aufstell’n – bin so frei –
als Kandidat uns’rer Partei.*
Ja, zieh’n Sie nur die Stirne kraus,
vielleicht komm' ich ins Unterhaus."

"Da geb’ ich Ihnen einen Rat:
Sei’n Sie ein guter Diplomat.
Wir Briten wissen ja, auf Dauer
hilft uns die „Balance of the Power."**

Und Watson glotzt nur ganz verstört:
"Das habe ich noch nie gehört.
Ach, lieber Holmes, ich bitte Sie,
wie funktioniert Diplomatie?"

Und Sherlock Holmes, voll in Aktion,
erteilt dem Watson 'ne Lektion:
"Erst sucht man – ich beginne schon –
in England einen Bauernsohn.
Wir brauchen einen armen Hund,
doch sei er kräftig und gesund.
Den fragen wir, ob er ganz still
des Rockefellers Tochter will."

"Der wird die Lady gar nicht kennen
und nicht auf eine Hochzeit brennen."

"Es wird sich für den Burschen lohnen,
die Tochter erbt doch die Millionen,
drum wird er einverstanden sein.
Diplomatie ist oft gemein.

Als nächstes kommt ein großer Fang,
der Vorstandschef von Englands Bank.
Wir bieten diesem Mann sodann
unseren Bauernburschen an,
als seinen Vizepräsident,
den sicherlich bald jeder kennt."

"Ach, Holmes, ich glaub’ nicht, dass das geht,
wer von Finanzen nichts versteht,
der kann doch nicht auf Gottes Erden
so mir-nichts, dir-nichts Banker werden."

"Watson, das weiß doch jedes Kind,
dass Banker größte Nieten sind.
Der Bauernbursche wird bald schon
des Rockefellers Schwiegersohn.
Dann sagt der Bankenboss nicht nein
und wird wohl einverstanden sein.

Diplomaten handeln schneller,
jetzt geht’s zu John D. Rockefeller.
Wir fahren mit dem Schiff sogleich
nach New York City über’n Teich,
erzählen dort mit Engelszungen
von unser’m armen Bauernjungen,
der wäre, wenn’s der Sir gestatte,
ein idealer Ehegatte."

"Ach, Holmes, der fragt uns: „Gott im Himmel,
was soll ich mit dem Bauernlümmel?"

"Der Bauernbub wird – Sie verzeih’n –
bald Chef der Bank von England sein.
Wenn Rockefeller dies vernimmt,
dann sagt auch der zu, ganz bestimmt.

Zuletzt muss man die Wahrheit beugen
und noch die Tochter überzeugen."

"Ach, Holmes, die merkt gleich den Betrug,
denn Geld hat sie ja selbst genug.
Ein Banker langweilt die doch nur,
die fällt nicht rein auf Ihre Tour."

"Watson, der Tochter tun wir kund,
er sei jung, kräftig und gesund
und auch als Liebhaber 1a,
ich wette drauf, dann sagt sie ja."

Doch Watson murmelt reserviert:
"Diplomatie hab’ ich kapiert.
Doch sagen Sie mir bitte gleich,
was hat davon das Königreich,
wenn diplomatisch ist gelungen,
diesen armen Bauernjungen
zu integrieren ganz nach Plan
in den Rockefeller-Klan?"

"Es dreht sich alles doch um’s Geld.
Er gilt als reichster Mann der Welt,
dieser John D. Rockefeller,
doch dieses Mal ist England heller.
Britanniens Einfluss wird vermehrt,
und dieses ist doch nie verkehrt.
Wir sollten uns auch gut vernetzen,
denn wir sind arm an Bodenschätzen.
Den Amis wäre es ein Gräuel:
Ein Brite Chef von Standard Oil."***

"Ach, Holmes, eins hab’ ich registriert:
Diplomatie ist kompliziert.
Dem Parlament, bin ich entbehrlich,
für Politik bin ich zu ehrlich."


* Siehe „Sherlock Holmes stinkt’s gewaltig"

** "The Balance of Power" bezeichnete ein Grundprinzip der britischen Außenpolitik. Dabei suchte Großbritannien stets die Vorherrschaft nur einer Macht in Europa durch Bündnisse zu verhindern.

*** John D. Rockefeller schuf mit der Standard Oil Company den größten Konzern des 19. Jahrhunderts.


© Pedda/gog 12.07.2015


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Kommentare zu "Krimigedicht Nr. 90: Sherlock Holmes erklärt Diplomatie"

Re: Krimigedicht Nr. 90: Sherlock Holmes erklärt Diplomatie

Autor: A.F.K.   Datum: 25.07.2015 16:19 Uhr

Kommentar: Schoen, die vielen passenden Anspielungen und auch wie Sie die Holmes-Watson-Thematik dauerhaft produktiv nutzen!

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