An den Kummerkasten der Zeitschrift
BRAVO*


Lieber Dr. Sommer,

wir haben ein riesiges Problem.

Wir finden es erregend und schön,
uns gegenseitig morgens zu wecken
und kuschelwarm im Halbschlaf zu necken.

Doch das Dilemma ist fürchterlich.
Sie schläft bei sich
und ich halt für mich.

Ihre Freundin nennt das:
Ambulantes Leben.
Zusammensein, aber getrennt doch eben.
„Wer sich intim noch nicht so kennt,
der pennt zunächst erst mal getrennt“.

Doch aufreizend morgens geweckt zu werden,
wo prickelt Erotik mehr auf Erden,
als im Tiefschlaf der Liebsten Stimme zu hören?
Das muss jeden feuchten Lusttraum betören.

Per Telefon weckt sie mich dann
und flüstert, ich sei ihr Supermann.
So halten wir es schon seit wir uns liebenkennen,
weil wir ja stationär nicht zusammen pennen.

Aber
morgen übernachten wir auswärts gemeinsam
und da wäre es schon fürchterlich peinsam,
wenn ich nicht weiß, wer wen wecken kann.

Ist es jetzt Sie
oder
bin ich wieder dran?

Oder
renne ich da gegen offene Türen
und sollte sie einfach
bettwarm verführen?


7.12.2013


© Wolfgang Karwatzki


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Beschreibung des Autors zu "An den Kummerkasten der Zeitschrift Bravo"

*
"Dr. Sommer" Martin Goldstein ist im Alter von 85 Jahre verstorben.
15 Jahre lang klärte Martin Goldstein die Leserschaft der deutschen Jugendzeitschrift auf
Düsseldorf - Der als "Dr. Sommer" bekannte deutsche Sexualaufklärer Martin Goldstein ist tot.
Der Psychotherapeut, Autor und Sexualaufklärer starb in der Nacht zum Freitag im Alter von 85 Jahren im Beisein seiner drei Kinder und seiner Lebensgefährtin in einem Hospiz.

15 Jahre lang, von 1969 bis 1984, beriet er in Deutschlands größter Jugendzeitschrift "Bravo" die junge Leserschaft in Fragen zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit.

Dort hatte Goldstein die Möglichkeit, Jugendliche direkt zu erreichen. Tausende Briefe gingen wöchentlich in der Redaktion ein, ein Team half mit, sie zu beantworten.
1972 stand die "Bravo" in Deutschland zweimal auf dem Index. Goldstein enttabuisierte die Selbstbefriedigung, den Jugendschützern ging das zu weit:
"Die Geschlechtsreife allein berechtigt noch nicht zur Inbetriebnahme der Geschlechtsorgane."
Goldstein wurde 1927 in Bielefeld geboren.
Sein jüdischer Vater wurde von den Nationalsozialisten ins KZ Theresienstadt verschleppt. Von der evangelischen Mutter aus einem Zwangsarbeiterlager in Sachsen geholt, versteckte er sich in einem Wald vor den Nazis. Später sagte er: "Ich hatte Angst vor der Gestapo, nicht vor dem Geschlechtsverkehr."

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