Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)

© Eleonore Görges

Er war nicht mehr jung, der Leuchtturmwärter von „Le Four“,
Jean-Pierre hieß er, stand kurz vor‘m Ablauf seiner Erdenuhr,
hätt er’s gewusst, hätt’s Freudentränen ihm entlockt,
Herz und Seele hätten im gemeinsamen Taumel frohlockt.
Seit Marie verstorben, seine Frau, die alles ihm war,
fehlte ihre Liebe, mit seinem Leben kam er nicht mehr klar,
in seinem leeren Haus am Strand konnt‘ er nicht mehr sein,
auf dem Festland, ohne Marie, fühlt‘ er sich einsam und allein,
lieber war er auf seinem Leuchtturm, „Le Four“ genannt,
zwei Seemeilen vor der Küste, im Atlantik, vor bretonischem Land.
Auf dieser kleinen Granitinsel fühlte er sich unendlich frei,
stets war ihm, als sei seine geliebte Marie ganz nahe ihm bei,
im Lebenslauf der Gezeiten, in des Meeres speiender Kraft,
war sie bei ihm, um ihn, in ihm, wenn auch nur feenhaft,
oft hörte er ihre Stimme in den Wellen, im lauten Rauschen,
zart klang sie hindurch, stundenlang konnte er ihr lauschen.
Wenn seinen Namen sie rief und flüsterte, dass sie ihn liebe,
dann wünschte er von Herzen sich, dass die Zeit stehen bliebe,
in manchen Bildern, die wild schäumende Gischt ihm gebar,
sah er Maries’ wunderschönes Antlitz, sie lächelte fürwahr,
auch des Nachts, am himmlischen Firmament sah er sie,
zwischen all des Himmels Sternen war sie schön wie noch nie.
Selbst ihre Wärme spürte er, es war die Sonne, die sie ihm schenkte,
Marie sang ihre Lieder ihm, bis eine stürmische Welle sie versenkte,
oft war er allein hier, jedoch war niemals er einsam,
nur hier noch lebte er Tage und Nächte mit seiner Frau gemeinsam.
Wenn er schlaflos im Bett lag und aus des Leuchtturms Fenster sah,
durch diese kleinen Scheiben, auch dann war sie ihm ganz nah,
manch Traumes Gnade gar legte Marie in seine wartenden Arme,
er roch ihren Duft, fühlte ihr Haar, spürte seine Frau, die Warme.
Dann fühlte er stark sich, war glücklich und trotzte dem Leben,
wie „Le Four“, sein Leuchtturm, in seinem Himmelhochstreben,
an dem oft die größten Wellen sich brechen, ihn ganz verdecken,
er trotzt beständig, lässt Wellenzungen wund sich an ihm lecken.
Im vorletzten Jahrhundert aus bretonischem Steine gebaut,
vor Gefahren die Schiffe warnt, weit übers Meer hinaus schaut,
den sicheren Heimweg blitzt beständig er jedem Fischer,
ein tiefer Ton seines Horns durchdringt die Nebelwand sicher.
So schenkt „Le Four“ auch Jean-Pierre ab und zu Stunden,
die beinahe er glücklich, trotz seiner tiefen Herzenswunden,
drum weilt er hier, mag aufs Festland längst nicht mehr gehen,
hier nur kann seine Marie er hören, kann sie fühlen und sehen.

Und so geschah es in einer stürmischen Nacht,
Jean-Pierre und sein Leuchtturm hielten eisern die Wacht,
das Meer tobte wild, hoch trieb der Sturm dessen Wellen,
schlug sie gegen „Le Four“, dass es klang wie donnern und bellen.
Ein alter Fensterladen, der noch nicht ward verschlossen,
schlug immer wieder auf und zu, brüllte in die Nacht unverdrossen,
laut schrie das Meer nach ihm, Jean-Pierre hörte es nicht,
schlug immer wieder gegen die Eingangstür, löschte aus das Licht.
Es kratzte an „Le Four“, wollte Steine und Leben ihm rauben,
die Wellen überschlugen sich, ließen ächzen seine alten Schrauben,
die Gischt spie beständig weiße Schaumkronen in sein Licht,
der Leuchtturm jedoch lachte mitten in des Teufels Gesicht.
„Mich holst du nicht, bin stärker und warne weiter vor dir,
all die kleinen Fischer, die großen Schiffe weit unter mir,
du kannst bäumen dich, kannst schreien, speien und toben,
all meine Kraft und Stärke sind lang schon sagenumwoben.“

Wer in dieser Nacht „Le Four“ hat gesehen,
der weiß, dass er verhindern wollte, was dann ist geschehen,
tief in die Hüften stemmte er seine Arme, stand breit und schwer,
wollte schützen Jean-Pierre, der jedoch spürt‘ ihn nicht mehr,
denn es rief Marie mit leiser Stimme ihn beim Namen.
Durch die Wellen, die er sah, die schreiend und speiend herankamen,
sah er ihr geliebtes Antlitz, das stets näher ihm kam,
dass sein Herz, seine Seele erneut gefangen nahm.
„Oh komm, mein Geliebter, lang schon wart‘ ich auf dich,
diese wilde Nacht ward geboren nur für dich und für mich,
leg‘ dich behutsam in die weichen Arme der Wellen,
die verzweifelt dich suchen, ständig sich zu dir gesellen,
ich warte auf dich in der Endlosigkeit aller Gezeiten,
komm zu mir, du musst nur die hohen Wellen begleiten.“

Das Herz von Jean-Pierre fing wild an zu pochen,
vergessen ganz schnell hundert einsame Wochen,
„zum Leuchtfeuer muss ich, ganz oben hinauf“,
einhundert achtundzwanzig Stufen im schnellen Lauf.
Die schwere Tür nach außen, er schaffte sie kaum,
denn Wellen schlugen dagegen, er jedoch war im Traum,
wollt‘ zu seiner Frau, wollt‘ mit ihr wieder leben,
nahm alle Kraft, die der Herrgott ihm je hat gegeben,
warf sich dagegen, sie sprang auf, da sah er Marie,
sie winkte ihm zu, Jean-Pierre war glücklich wie nie.
Da nahm schon die Welle ihn fest in den Arm,
riss ihn in die Tiefe, ihm wurd‘ gar ganz warm,
im Falle noch sah er den Leuchtturm ihm blinken,
mit einer Träne im Auge schien er ihm nachzuwinken.
„Bleib standhaft „Le Four“ – du mein treuer Freund,
so viele Jahre hast du es gut mit mir gemeint,
doch heute will frohen Herzens ich dich verlassen,
musst auf einen neuen Leuchtturmwärter aufpassen.“

Und seit dieser Nacht, noch immer ist’s unbelobt,
weint „Le Four“ eine Träne, wenn das Meer wild und der Sturm wieder tobt.


© Eleonore Görges


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Beschreibung des Autors zu "Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)"

Den Leuchtturm "Le Four" gibt es tatsächlich, er steht in der Bretagne/Frankreich, (Phare du Chenal du Four).
Ca. 2 Seemeilen vor der bretonischen Küste steht er auf einer Granitinsel von 25 m Durchmesser.
Ihn müssen Schiffe umrunden, die vom Ärmelkanal in die Iroise (Westen der Bretagne), oder umgekehrt fahren.
1874 nahm der Leuchtturm seinen Dienst auf, seit dieser Zeit ist er dem wilden Atlantik vor der Bretagne ausgesetzt.
Leider habe ich ihn noch nicht real gesehen, obwohl ich schon mehrfach in der Bretagne gewesen. Es gibt aber spektakuläre Fotos von ihm im Internet.

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Kommentare zu "Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)"

Re: Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)

Autor: Sonja Soller   Datum: 24.08.2023 19:31 Uhr

Kommentar: Eine schöne Geschichte, liebe Eleonore!
Gerne gelesen!!

Herzliche Abengrüße aus dem Norden, Sonja

Re: Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 26.08.2023 13:05 Uhr

Kommentar: Liebe Eleonore,
eine packende und auch rührselige Geschichte erzählt dein Gedicht.
Das Bild passt gut dazu.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)

Autor: Verdichter   Datum: 30.08.2023 20:41 Uhr

Kommentar: ein monumentales Werk! Wahrlich eine Ballade.

Gruß, Verdichter

Re: Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)

Autor: Eleonore Görges   Datum: 06.09.2023 11:55 Uhr

Kommentar: Herzlichen Dank für eure Kommentare und Likes! Wie immer, freue ich mich darüber... :-)

Liebe Grüße,
Eleonore

Re: Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)

Autor: Michael Dierl   Datum: 06.09.2023 22:29 Uhr

Kommentar: Wooowwwwwww.....und das ALLLLLLLLEEESSS in Reimform. Ich bin begeistert und eine schöne Geschichte obendrein. Es gibt aber eine ähnliche und auch wahre Geschichte eines Leuchturmwärters der in einer Nacht eine Superwelle überstand nur weil er IN seinen Leuchtturm blieb der ihn sozusagen beschütze. Ich weiß es nicht genau auf welcher Insel das stattfand. Jedenfalls sind seine Frau und Kinder die an dem Tag bei ihm auf dem Turm waren ums Leben gekommen, weil sie dem Turm nicht soviel zutrauten. Es standen zum Schluss nur noch Reste vom Turm aber der Leuchttrumwärter hat am Fuße des Turmes, also im Turm drin, diese Superwelle von ca. 30 Metern Höhe überlebt. Ich glaube der Turm stand irgendwo an Schottlands Küsten.

lg Michael

Re: Der Leuchtturmwärter von Le Four (Ballade)

Autor: Eleonore Görges   Datum: 07.09.2023 20:29 Uhr

Kommentar: Diese Geschichte kenne ich leider nicht, aber sie dürfte im Netz zu finden sein. Sie klingt ebenso dramatisch wie die meines Leuchtturmwärters.
Irgendwie fesseln mich Leuchttürme schon seit ich denken kann - und gerade die, die im wilden Atlantik stehen... ach da könnte ich gleich wieder drüber schreiben.

Herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar!

Grüße sende ich dir!
Eleonore

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