Bigott zu Gott

Zur christlichen Totenbegräbnisparade
bewegt sich ein Tross
stocksteif zum Grabe.
Auf Mulch, aus angeschredderter Rinde
verteilt, liegen prächtige Blumengebinde.

Dort ernst und stumm dann angekommen,
hat jeder des Pastors Worte vernommen,
der Verstorbene sei ein guter Christ gewesen,
der die Bibel von hinten bis vorne gelesen.
Und da er Kirche, Ehe und Kinder erlebt,
war zeitlebens er besonders bestrebt,
die lieben Mitmenschen hoch zu achten
und nicht nach Selbstnutz eitel zu trachten

Und für den Frieden seiner Seele
man ihn dem Gottesacker empfehle.

Es folgt kurz trocken ein Trauergebet,
als Hinweis, dass die Feier zu Ende geht,
damit der Habe-Ihn-Selig -Ehemann
tief innergrabs jetzt ruhen kann.

Nihil nisi bene* über die Toten.
Nachzutreten strengstens verboten.

Doch neulich noch hörte man ihn lallen,
nachdem er mal wieder in ein Fremdbett gefallen,
und nach seiner sündigen Schmusesause
besoffen torkelt zurück nach Hause.

Er kam von Rita aus Haus Nr. sieben,
die Gott- Sei-Dank schamhaft zuhause geblieben
Vorbei dann an Plaudertasche Beye,
die steht da vorne in erster Reihe.
Daneben sein Saufkumpane Willy,
nach dem besprang er neulich die Zilly.
Mit Heinrich von der Dorfapotheke
besuchte er sonntags die Kneipentheke,
sobald der Pastor die Predigt begann.
Man gönnte sich derweil Schnaps -(kurz) Bier-(lang).

Das ganze Dorf wusste immer Bescheid,
doch Niemand hat Sie jemals eingeweiht.
Die Trauergemeinde vor seinem Sarg
verhöhnte sie fast jeden Tag
mit heimlich grinsendem Plappervergnügen
und sehen ihn heute „leider“ da liegen.
Bereit für die Kneipe zum Leichenschmaus
klingt dann die Totenfeier aus.

Die Peinlichkeit der Erinnerung
verbreitet verteufelt würzigen Dung.
Da platzt ihr plötzlich der berühmte Kragen,
Bigotterie posthum nicht mehr zu ertragen.

Spontan erwacht die brillante Idee,
dass sie zum Leichenschmaus halt nicht geh.

Moralisch gefestigt fährt sie nach Hause.
Kondolenzbefreit nimmt sie ne kalte Brause
und betet still für sein Seelenheil,
sei er nun Säufer oder geil.



*De mortuis nihil nisi bene: Über die Toten nur Gutes


10.10.2015


© Wolfgang Karwatzki


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Kommentare zu "Bigott zu Gott"

Re: Bigott zu Gott

Autor: agnes29   Datum: 28.10.2015 19:30 Uhr

Kommentar: Ja das war wirklich ein Gedicht zum schmunzeln, wirklich toll geschrieben, so kann jemand nur schreiben der mit dabei war.
LG Agnes

Re: Bigott zu Gott

Autor: Uwe   Datum: 31.10.2015 0:09 Uhr

Kommentar: Auch die Hoffnung ist sicherlich zu begraben, dass es nur ein (witziges) Gedicht und keine Realität ist.
LG U.

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