Die Identitätskrise (neutral, aus der Sicht eines krassen Charakters)

© alf glocker

Meine Identität ist eine einzige Krise! Ich weiß nicht mehr, wie ich mit mir umgehen soll, denn ich bin toll! Nicht im Sinne von „tolldreist“, das vielleicht auch, aber viel eher im Sinne von „sensationell“. Ich kenn' mich aus, ich weiß Bescheid und ich tu mir auch nicht leid, wenn ich Sachen von mir gebe, die unglaublich einleuchtend sind.

Warum sie das sind, kann ich erklären – ich habe sie einfach abgeschaut. Ohne auch nur eine einzige eigene Gehirnzelle zum Denken zu benutzen, habe ich genau den richtigen Weg zur Beurteilung aller wichtigen Fragen des Lebens gefunden...ich lasse für mich denken. Das tut nicht weh und es befriedigt vor allem jederzeit.

Denn mithilfe dieser Methode gehöre ich einer Elite an! Ich habe mich Leuten angeschlossen, die zu wissen glauben was sie anrichten, wenn sie Vorbildfunktionen abgeben, die man nicht kritisieren darf, weil sie selbst von sich sagen, sie seien im Recht. Mir erspart das natürlich einiges. Ich darf immer froh und zufrieden sein und ich kann mich auch selber ganz gut im Spiegel betrachten. Was ich dort sehe ist atemberaubend.

Vor mir steht ein Held! Überall habe ich mich schon bewiesen und die Anerkennung hagelt nur so auf mich ein, denn ich habe viele Menschen(?) an meiner Seite, die sind wie ich bin: supertoll! Wir, die Supertollen und ich, fallen über alle her, die das gerne bezweifeln mögen...nicht, daß wir über sie herfallen, sondern, daß wir supertoll sind. Das ebnet uns jeden Weg. Bei Hexenverbrennungen stehen wir in der ersten Reihe (der Zuschauer natürlich).

Wir küssen unser Kreuz und wir kriechen zu Kreuze, wir beten zu allen Propheten, wir treten auf der Stelle, wir treten mit Füßen, wir büßen, wo man Buße von uns verlangt und wir sind treu. Mit uns ist ein Staat zu machen – mit wem sonst?! Wir bekleiden führende Positionen, wir sind anerkannt klug und wir verbreiten Lug und Trug? Niemals! Das ist völlig unmöglich – denn wer anerkannt ist, der kann kein Lügner sein, da er sonst nicht anerkannt wäre!

Wehe wenn ich losgelassen! Dann kläre ich euch auf, dann rede ich euch drein, dann schwätze ich euch rund und dann bezeichne ich jeden, der es wagt mir zu widersprechen als unterbelichtet, ungebildet und oder eben als unwürdig. Dieses Pack soll sich gefälligst fügen wenn wir es sagen, die Supertollen und ich. Damit wir nicht in eine Identitätskrise steuern, setzen wir uns durch und über alles hinweg, was Leute sagen, die wir schon aus dem Grund verachten müssen, weil wir eine einzige Identitätskrise SIND.

Damit ist eigentlich alles gesagt: „Ich gut, du böse!“ Darauf habe ich den Stempel der Weisen, die eine Lizenz zum Abstempeln haben. Wer sonst noch Stempeln geht ist mir und den Supertollen wurscht. Daran können die andern eh nichts ändern. Die sollen doch bleiben wo sie wollen – wir kümmern uns inzwischen um unsere Kompetenz. Na, wenn das nicht wundervoll ist – ich würde sogar soweit gehen und sagen: Meine Identität steckt in der Krise des übertriebenen Glücks!

*

Methodik


Identiät
kommt nie zu spät -
sie macht uns aus,
ist Herr im Haus!

Wer sich versteht
weiß worum's geht
und das Problem
löst sich bequem.

„Ich bin ok!“
Und dazu steh
ich eben jederzeit!
Ich bin soweit -

Wer auf sich zählt
hat gut gewählt!
Er kommt schon klar.
Na, wunderbar!


© Alf Glocker


3 Lesern gefällt dieser Text.



Unregistrierter Besucher

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Die Identitätskrise (neutral, aus der Sicht eines krassen Charakters)"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Die Identitätskrise (neutral, aus der Sicht eines krassen Charakters)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.