Die milesischen Jungfrauen wurden einst von einem schrecklichen und sonderbaren Übel befallen, ohne dass man irgendeinen Grund davon auffinden konnte; man vermutete zunächst, dass die vergiftete und verpestete Luft diese Veränderung und Verrücktheit des Verstandes in ihnen hervorgebracht. Bei allen nämlich zeigte sich plötzlich ein Verlangen zu sterben, und eine unsinnige Neigung sich zu erhängen; Viele erhingen sich auch im Stillen, allen Bitten und Tränen der Eltern fruchteten eben so wenig als Vorstellungen der Freunde, sie täuschten sogar bei ihrem Selbstmord alle Aufmerksamkeit und Schlauheit ihrer Wächter. So hielt man das Übel für eine göttliche Strafe, wogegen menschliche Hülfe nichts auszurichten vermöge; endlich aber kam auf den Rat eines klugen Mannes ein Antrag zu Stande, wonach die, welche sich erhängten, nackt über den Markt zur Begräbnisstätte gebracht werden sollten. Der Antrag wurde genehmigt und tat nicht bloß dem Übel Einhalt, sondern benahm auch den Jungfrauen ganz das Verlangen nach dem Tod. Es ist diese Furcht vor Schande wirklich ein großer Beweis ihres edlen Charakters und ihrer Tugend; da sie furchtlos gegenüber von den schrecklichen Dingen von Tod und Schmerz, doch die Vorstellung der Schande unerträglich fanden und nicht der nach dem Tode sie treffenden Schmach sich aussetzten wollten.


© Plutarch


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Quelle: Von den Tugenden der Weiber

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