Ein Barbier in Rom, der seine Bude vor dem Heiligthum, der Griechenmarkt genannt, hatte, hielt eine bewundernswürdig tonreiche und geschwätzige Elster, die ohne allen Zwang nur durch eigene Uebung menschliche Worte, Thierstimmen und Töne der Instrumente wiedergab und sich eifrig bemühte keinen Laut ohne Nachahmung vorbei zu lassen. Nun kam es vor daß in der Nähe ein reicher Mann unter lärmendem Trompetenschall beerdigt wurde, und da der Zug wie gewöhnlich an jenem Platze still hielt, mußten die Trompeter, welche sehr gefielen, längere Zeit aufspielen. Von diesem Tage an wurde die Elster sprachlos und stumm und ließ nicht einmal mehr die bei ihren nothwendigsten Bedürfnissen gewöhnlichen Töne hören. Die früheren Bewunderer ihrer Stimme wunderten sich nun noch viel mehr über ihr Stillschweigen, wie einen verstummten Ohrenschmaus für Alle die gewöhnlich an dem Orte vorbeigiengen. Man schöpfte Verdacht wegen Vergiftung durch die Kunstgenossen des Barbiers; die Meisten aber vermutheten daß die Trompeten ihr das Gehör betäubt haben und mit ihm auch die Stimme erloschen sei. Es war aber keines von beiden der Fall, sondern es war eine Uebung, wie es scheint, eine Zurückziehung des Nachahmungstriebes auf sich selbst, während sie die Stimme wie ein Instrument stimmte und zurichtete. Denn auf einmal kam sie wieder in vollem Glanz hervor, brachte aber keine von den alten und gewohnten Nachahmungen mehr, sondern ließ die Trompeterstückchen mit allen ihren Läufen, mit allen Tonveränderungen und dem genauesten Takte hören; ein Beweis daß, wie gesagt, das Selbstlernen der Thiere noch mehr Vernunft voraussetzt als die Gelehrigkeit.


© Plutarch


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Quelle: Ueber den Verstand der Land- und Wasserthiere

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Kommentare zu "Plutarch über eine schweigsame Elster"

Re: Plutarch über eine schweigsame Elster

Autor: Uwe   Datum: 15.11.2014 13:52 Uhr

Kommentar: Schon diese Sprache...

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