Der Jungbulle Cäsar


Es war die Zeit auf dem Lande zwischen dem Ende des Winters und dem zeitigen Frühjahrs Beginn.
Man konnte nicht auf die lehmigen Ackerböden. Säen, drillen und pflanzen musste aufgeschoben werden. Teilweise lagen auf der Gemarkung noch Schneereste oder es standen auf manchen Böden große Pfützen. Es war die arbeitsarme Zeit.
Auf dem Rittergut wurden solche Arbeiten wie zum Beispiel, das Reparieren von Koppelzäunen, das Reinigen der Erdsilos oder das Ausbringen von Jauche, durchgeführt.
Der Lange hatte seine Arbeit, das Ausfahren von Schrot an die Schweinemästereien beendet, als er auf den Gutshof auf Göttlich traf. Göttlich war der Stellmachermeister und er hatte immer Neuigkeiten zu berichten.
Der Lange war kein Freund von Göttlich und er ließ den Redeschwall über sich ergehen. Er sagte sich, man weis ja nicht, wann man den Stellmachermeister einmal brauche. Mitten in das einseitig geführte Gespräch platzte Guts - Inspektor Stehfest. Göttlich verstummte schlagartig und er nahm die militärische Grundstellung ein.
Der Guts - Inspektor fragte den Langen: „ Möge er nicht einige Jungbullen zum Anspannen abrichten?“
Der Lange genoss auf dem Gut eine Sonderstellung. Die Ursache für die Sonderstellung lag darin begründet, dass er sämtliche Arbeiten beherrschte und auch eine große Hilfsbereitschaft jedem Tagelöhner angedeihen ließ.
Der Lange brachte eine Menge von Bedenken vor und zögerte. Stehfest drang weiter auf ihn ein und sagte: „ Pfeifer ist schon lange krank und wir brauchen unbedingt einige Jungbullen für die Schleppen.“ Die Jungbullen mussten immer auf Schleppen den Stalldung aus den Kuhställen ziehen.
Mitten auf dem Gutshof war eine Dungplatte, die vier Kammern hatte. In einer dieser Kammern wurde der Stalldung, von der Schleppe, abgeladen.
Die Schleppe ähnelte einem flachen Schlitten, und sie hatte auch zwei mit Eisen beschlagene Kufen.
Der Guts - Inspektor ließ nicht locker und so willigte der Lange schließlich doch ein. Der Stellmachermeister Göttlich wollte irgendwie auf sich aufmerksam machen und er sagte: „Das Bullen anlernen macht doch Spaß.“ Der hatte es gerade nötig so etwas zu sagen, wo er doch schon um jede Kuh einen Bogen machte.
Am nächsten Morgen, gegen 07.00 Uhr, begann die Prozedur.
Zum Anspannen von Cäsar, dem Jungbullen, wurden fünf kräftige Männer gebraucht. Es dauerte sehr lange, ehe man das Stirnjoch an den Hörnern des Bullen befestigt hatte.
Als er links am Tafelwagen angespannt war, begann eine Diskussion unter den fünf Männern. Der Hufschmied, der Stallhofmeister und der Schäfermeister waren der Meinung, der Tafelwagen würde der Zugkraft des Jungbullen entsprechen.
Der Inspektor und der Lange wiesen daraufhin, dass für ein so starkes Tier der leichte Wagen nicht ausreiche, und der Bulle dadurch schwer zu lenken und zu führen sei. Es wird sich noch zeigen, dass die Recht hatten. Das Problem bestand aber darin, das alle schweren Ackerwagen schon im Einsatz waren.
Der Stallhofmeister holte die Stute „Liese“, und diese wurde rechts an Tafelwagen angespannt, und das war der Fehler Nummer zwei. Die Stute war schon sechzehn Jahre und von zartem Knochenbau. Sie war ein sehr „leichtes Warmblut.“
Der Lange fuhr mit dem seltsamen Gespann vom Gutshof. Der Hufschmied rief noch dem Langen nach: „ Na dann gute Fuhre!“
Das Dorf Roda lag in einer Senke. Aus dem Dorf führten vier Straßen und zwar in alle vier Himmelsrichtungen. Der Lange wählte die Straße, die nach Schmira führte. Die Straße lag in einem Hohlweg der mit Pflaumenbäumen bepflanzt war. Links vom Hohlweg waren die Feldflächen, und rechts waren zwei Koppeln. Auf die erste Koppel hatte man schon Färsen getrieben. So einen zeitigen Auftrieb gab es noch in keinem Jahr.
Der Lange hatte keine Kenntnis davon, dass die Koppel schon mit Färsen besetzt war. Der Jungbulle bemerkte die Färsen, und ab jetzt ging alles Schlag auf Schlag. Der Bulle drängte den Wagen nach rechts, und zog den selbigen, sowie die Stute, in Richtung Koppel. Der Lange hatte noch in großer Eile den Wagen fest gebremst, und die Stute leistete auch keinen Widerstand.
Es gab ein lautes Krachen und Holzsplitter flogen durch die Luft. Der Wagen hatte sich an einem Pflaumenbaum fest gekeilt. Die Vorderachse hatte sich vom Wagen gelöst und ein Rad war gebrochen.
Die Stute Liese zitterte am ganzen Körper, sie versuchte sich von ihrem Geschirr zu befreien.
Es sah aus, als würde sie gehängt. Das Kummet saß auf ihrem Kopf, und das Rückgeschirr hatte sich verdreht. Ein Strang war sogar ausgeharkt. Der Lange befreite die Stute aus dieser Situation. Er band sie an einem anderen Baum fest.
Cäsar stand seelenruhig da als wäre nichts geschehen. Muhend glotze er in die Gegend.
Der Lange hätte mit drastischen Maßnahmen, wie sie die Viehtreiber anwenden,
dem Bullen Einhalt gebieten können. Dazu gehört „ den Schwanz eindrehen“ oder mit einem Feuerzeug, an einer bestimmten Stelle, die Haut zu versengen.
Der Lange liebte und achtete alle Tiere, und er griff nie zu verletzenden Maßnahmen.
Er band das Pferd vom Baum, und ging mit ihm in Richtung Dorf.
Auf dem Gutshof angekommen traf er auf Guts - Inspektor Stehfest.
Der Lange berichtete Stehfest wie sich der Unfall zugetragen hatte.
Stehfest zog einige Male kräftig an seiner Pfeife. Kein böses Wort kam über seine Lippen. Dann wandte er sich ab, und begab zu seiner NSU, die am Scheunentor stand, er wollte als Erster an der Unfallstelle sein.
Jeder, der im Dorf Beine hatte, eilte zur Unfallstelle. Der Trupp von Dorfbewohnern, geführt von der Hebamme Elisabeth, war schnell am Unfallort.
Das war natürlich Gesprächsstoff für Wochen.
Das Kuriose war, dass jeder Zweite meinte, ihm wäre der Unfall nicht passiert.

An das Fernsehen oder an eine Bildübertragung war damals nicht zu denken.


© Jürgen


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