Minka


Die Familie Höhne hatte in Hochheim, in der Kleingartensparte „Gerastrand“, einen 400qm
großen Kleingarten.
Gegenüber hatte die Familie Elsenbruch einen Garten mit einem festen Wohnhaus.
Zwischen beiden Familien bestand ein freundlicher Kontakt. Die gute Nachbarschaft kam
darin zum Ausdruck, dass getauscht, gekauft und geschenkt wurde.
Elsenbruchs besaßen vielerlei Tiere. Sie hatten Schweine, Ziegen, Hühner, Hunde sowie drei
Katzen. Elsenbruchs hatten immer die Angewohnheit, die geborenen Katzenbaby zu ertränken.
Die Katzenmutter „Mieze“ hatte vorsorglich ein kleines Katzenkind im Holzstapel versteckt.
Als das kleine Kätzchen ca. vier Wochen alt war, brachte die Katzenmutter ihr Junges in die
Futterküche. In solch einem Alter wollten Elsenbruchs das Kätzchen nicht mehr ertränken.
Frau Elsenbruch fragte eines Tages, ob Höhnes ein niedliches Kätzchen wollen. Mutter Höhne willigte freudig in dieses Angebot ein.
Elsenbruchs ließen das Kätzchen noch einige Wochen bei seiner Mutter. Als Familie Höhne
das kleine Kätzchen bekam, war dieses schon größer und kräftiger als seine Mutter.
Die viele Muttermilch hatte dem Kätzchen gut getan. Es erhielt von Frau Höhne den Namen
„Minka“ und es wurde für Fred Höhne ein guter Spielkamerad. Bei der Eingewöhnung von
Minka gab es am Anfang einige Probleme mit Prinz, dem Mittelschnauzerrüden. Mutter
Höhne stellte für Minka ein zweites Körbchen unter den Küchenherd, doch Prinz wollte dieses nicht akzeptieren. Unter dem Küchenherd hatte Prinz sein Körbchen schon stehen,
denn es war sein Schlafplatz. Kläffend und schnappend verteidigte er sein Revier, und Minka
verkroch sich immer in eine Küchenecke. Nun war die Geduld von Mutter Höhne zu Ende.
Sie brachte Prinz in den Hof und kettete ihn an der alten Hundehütte an. Es war schon irgendwie komisch, denn von Stund an war Prinz die Liebe in Person gegenüber Minka, als hätte er den Grund der Ausquartierung verstanden.
Nach kurzer Zeit hatte Minka keine Scheu mehr vor ihm, und beide wurden richtig gute Freunde. Dies kam u. a. darin zum Ausdruck, wenn Minka auf nächtlichen Streifzügen unterwegs war, wartete Prinz den ganzen Morgen vor der Haustür auf ihr Erscheinen. Nach langem Warten kam dann Minka meistens. Die Begrüßung war immer herzlich.
Prinz sprang, sich im Kreise drehend an ihr hoch, mit seinen Pfoten auf ihren Rücken während sie sich dicht an ihn schmiegte und ihn leckte. Minka fühlte sich bald sauwohl bei Höhnes, und Streiche waren bei ihr an der Tagesordnung.
Sobald Mutter Höhne die Küche oder die Treppe wischen wollte, war Minka zur Stelle. Sie angelte dann mit einer Pfote nach dem Scheuertuch. Dazu benutzte Minka in der Küche die Schuhbank, einen Stuhl oder die untere Tischeinfassung. Also alles, von dem aus sie an das Scheuertuch gelangte. Passierte es, dass sie das nasse Scheuertuch einmal abbekam, sprang sie schnell weg, um ebenso schnell wieder da zu sein.
Eine weitere ihrer Lieblingsbeschäftigung war das „Gardinen schaukeln“, wobei sie meistens lautstark bellend von Prinz begleitet wurde. Ergab sich die Gelegenheit, das ein Spalt der Wohnzimmertür offen stand schlüpfte sie rein, sprang in die Gardinen und ließ sich schaukeln. Auf diese Unsitte stellten sich Höhnes schnell ein, aber ab und zu gelang Minka trotzdem das „Gardinen schaukeln“.
Im Alter von 8 bis 9 Monaten stellte Minka diese beiden Streiche ein. Sie wurde bedächtiger und ruhiger. Ihre Lieblingsbeschäftigung bestand jetzt darin, das Hausgeflügel im Hof von der Fensterbank aus zu betrachten.
Noch mehr Freude bereitete es ihr, Mutter Höhne beim Backen und Kochen zu zuschauen. Vielleicht lag es auch daran, dass immer einige Brocken abfielen. Minka nahm dann ihren Stammplatz auf der Ofenbank ein, von der sie alles überblicken konnte.

Der Winter und Frühjahr verging, ohne dass es über Minka etwas Wichtiges zu berichten gab.
Im späten Frühjahr stellte Vater Höhne fest, dass Minka tragend ist. Die Freude über das
bevorstehende Ereignis war diesbezüglich nur bei Fred riesengroß, bei Mutter Höhne war
es sehr verhalten. Auf Freds wiederholtes Bitten ließ sich Mutter Höhne umstimmen. Vater
Höhne hatte sich vorgenommen, nach der Geburt, die Babykätzchen zu töten.
Das Sagen hatte Mutter Höhne sowieso, und Vater Höhne hatte, wie schon oft, das Nachsehen.
Minka brachte nachts, fünf kleine Kätzchen zur Welt. Es waren zwei Hellgraue und drei Schwarzweiße. Von Stund an war Prinz, der Mittelschnauzer, total verändert. Er suchte nicht mehr seinen Korb auf, und war er einmal in demselbigen dann legte er sich nicht hin.
Prinz stand dann die ganze Zeit in seinem Korb und äugte zu Minka. Er konnte dieses Ereignis einfach nicht begreifen. Sein Gefühlszustand war geprägt von Unsicherheit, Gereiztheit und übertriebener Wachsamkeit. Der sonst so tapfere Prinz, der Ratten fing, und sich mit jedem Hund anlegte, ging den kleinen Kätzchen, bei jeder Gelegenheit, aus dem
Weg.
Als die Kätzchen größer wurden und ständig Unfug trieben, kam er nur noch zum Fressen in
die Küche. Der Schnauzer verbrachte die meiste Zeit auf dem Hof. Die Kätzchen erwischten
Prinz trotzdem, und manchmal sprangen ihn gleich drei an. Bei einer solchen Gelegenheit
wehrte er sich dahingehend, dass er knurrte und sie mit geschlossener Schnauze wegstieß.
Als die Kätzchen zehn Wochen alt waren wurden sie von der Familie Höhne weggegeben,
und Prinz hatte wieder seine Ruhe.
Zur damaligen Zeit, kurz nach 1945, waren Kätzchen sehr gefragt, und die Familie Höhne
hätte noch so viele haben können. Bestimmt waren es nicht alles Tierliebhaber, die sich Kätzchen nahmen.
Beim zweiten Wurf junger Kätzchen war Prinz wieder der Alte. Er mied nicht mehr seinen Korb und die Kätzchen durften, nach Herzenslust, auf ihm herum tollen. Eins konnte er gar nicht leiden, wenn sie mit seinen Ohren spielen wollten, dann stieß er sie mit der Schnauze weg. Dieses „Wegstoßen“ gefiel den Kätzchen besonders gut, und sie versuchten es immer erneut. Es war für die kleinen Kätzchen ein amüsantes Spiel. Genervt stand Prinz dann auf und suchte das Weite.
Man sollte es nicht glauben, aber Minka versuchte öfter, Prinz in einer solchen Situation
beizustehen. Einige Male glückte Minka ihr Vorhaben. Sie stellte sich an die Tür und „mauzte“ oder sie spielte so heftig mit ihren Jungen, so dass diesen das Spielen überdrüssig wurde.
Minka war eine sehr umsichtige und sorgende Katzenmutter. Dieses kam u.a. zum Ausdruck, dass sie immer von ihren nächtlichen Ausflügen Beute mitbrachte. Diese Beute lag dann meistens auf dem geflochtenen Fußabtreter vor der Haustür. Die Beute bestand oft aus Mäusen, die noch lebten, vereinzelt bestand sie auch aus toten Amseln oder toten Rotkehlchen.
Eines Tages lagen zwei große Forellen vor der Haustür. Minka hatte dieselbigen in der nahe gelegenen „Gera“ gefangen. Nach einer heftigen Diskussion, innerhalb der Familie Höhne,
ob man nun die Forellen essen solle, oder nicht, wurden diese letztendlich von Höhnes verspeist.
Minka war Freds bester Spielgefährte, obwohl man mit dem Schnauzer Prinz viel mehr unternehmen konnte. Vielleicht lag es auch daran, dass Minka so gut schmusen konnte.
Fred wurde öfter, von Mutter Höhne, zum Mittagschlaf verdonnert.
Den Mittagschlaf musste er auf dem Sofa in der Wohnküche halten. Bei dieser Gelegenheit saß die Katze immer auf seiner Brust. Sie schnurrte und „nähterte“ dann häufig.
Das „Nähtern“ kam darin zum Ausdruck, dass sie abwechselnd die Vorderpfötchen hob und niedersetze. Des weiteren bewegte sie unter lautem Schnurren ihre Krallen dabei.

Mit dieser Gebärde brachte sie zum Ausdruck, dass sie sich wohl fühlt und gleichzeitig den jeweiligen Menschen gerne mochte.
Fred erzählte seinen Freunden die Erlebnisse mit seiner Minka. Sie warnten ihn und sagten immer dasselbe: „Pass nur gut auf, dass sie dir nicht in die Augen springt.“ Diese Warnungen trafen jedoch nicht ein.
Die Jahre vergingen und Minka wurde langsam eine „alte Dame.“ Sie verließ nur noch selten das Haus und ihre nächtlichen Streifzüge stellte sie fast ein.
Nun geschah das Unfassbare: Der rechte Hofnachbar, Wachenbrunner, legte ohne Bescheid zusagen, Rattengift auf seinem Gehöft aus. Wachenbrunner war allen Tieren gegenüber spinnefeind.
Obwohl Minka alles erdenkliche zum Fressen bekam, fraß sie trotzdem vom Rattengift.
Familie Höhne merkte es viel zu spät am Verhalten der Katze. Minka bewegte sich nur langsam, man kann eher sagen, ganz behutsam. Ihr Leib bebte stark und im Rhythmus lief ein starkes Zittern über ihren Rücken. Sie fauchte und drohte mit ihren Krallen und ließ keinen an sich ran, außer Fred.
Von Fred, ihrem Beschützer und Spielgefährten, ließ sie sich auf das Sofa heben. Sie starb
trotz aller Schmerzen schnurrend in seinen Armen.

Heutzutage ist Fred schon ein alter Mann, doch an die Erlebnisse mit seiner Minka denkt er oft zurück.
In den Erinnerungen schwelgend, wird ihm meist warm ums Herz und erst jetzt so recht bewusst, was für eine liebevolle Katze seine Minka war.


© Jürgen


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