Das Märchenland ist ein ganz besonderes Land. Niemand weiß genau, wo es sich befindet und was dort vor sich geht. Aber in unseren Träumen dürfen wir es besuchen. Dann können wir, wenn wir Glück haben, all den Fabelwesen begegnen, die uns aus Märchen bekannt sind. Über die langen Monate von Frühling, Sommer und Herbst treffen wir dort vor allem auf Zwerge, Kobolde oder Feen. Doch wenn es Winter wird, ziehen sich die meisten von ihnen zurück. Dafür wird immer öfter vom Weihnachtsmann gesprochen. Mit viel Glück bekommt man ihn sogar zu sehen.
Manchmal bin auch ich in diesem Traumland, das einen großen Märchenwald hat. Der sieht dem Wald hinter unserem Haus verblüffend ähnlich. Sogar die große alte Eiche sieht im Märchenland genauso aus wie die echte am Waldrand.
In meinem Traumwald begegne ich allen möglichen Märchengestalten. Ich höre dann gern den Feen und den Zwergen zu, die immer so wundervolle Geschichten erzählen können. Aber am liebsten lausche ich Zwerg Spitzohr, der stets spannende Neuigkeiten weiß. Obwohl er ganz normale Ohren hat, bekam er seinen Namen, weil er bei allen Märchenwaldbewohnern an den Türen lauscht und die Ohren spitzt. Er weiß genau, was im Märchenland vor sich geht.
In der Nacht vor dem letzten Heiligen Abend hatte ich ihn wieder einmal getroffen. Er saß wie immer unter der alten Eiche versteckt, wo die Zweige bis zur Erde reichen. Beinahe wäre ich über ihn gestolpert. „Pass doch auf,“ ermahnte er mich. Doch dann forderte er: „Setzt dich zu mir, ich habe Neuigkeiten. Die muss ich unbedingt jemandem aus deiner Welt erzählen. Du kannst sie dann aufschreiben, damit alle Menschen erfahren, warum es in diesem Jahr fast keine Weihnachtsgeschenke gegeben hätte.“ Natürlich setzte ich mich sofort zu ihm. „Da bin ich jetzt aber gespannt.“ Und dann erzählte mir Zwerg Spitzohr eine unglaubliche Geschichte.

Viele Menschen denken, dass der Weihnachtsmann nur an einem Tag im Jahr arbeitet. Nämlich dann, wenn er die Geschenke verteilt. Aber das stimmt natürlich nicht. Er muss schließlich schon lange vorher alle Wünsche kennen. Vor allem die der Kinder. Dann muss er sehen, wie er sie auch wirklich erfüllen kann. Das ist nicht so einfach, denn da sind viele, viele verschiedene Dinge, die beschafft und bedacht werden müssen. Deshalb hat der Weihnachtsmann im Märchenland eine große Fabrik. Hier werden alle Wünsche gesammelt, bearbeitet und in die Produktionshallen weiter gegeben. Dort wird gewerkelt, gebastelt, gehämmert, gesägt, gebohrt, gemalert und vieles mehr. So werden alle Geschenke in dieser Fabrik vom Weihnachtsmann hergestellt. Weil er das natürlich nicht alleine schaffen kann, hat er das ganze Jahr über fleißige Helfer an seiner Seite: Zwerge, Schlümpfe, Kobolde, Wichtel, Erdmännchen, Baumwesen und wie sie alle heißen. Sie sind vor allem für die praktischen Arbeiten zuständig. So entstehen Baukästen, Spieleisenbahnen, Spielautos aller Größen und Formen, Roller, Bücher, Puppenstuben und Puppenwagen und, und und... Elfen sind in der Fabrik ebenfalls anzutreffen. Sie sind für Gestaltung zuständig, damit alles, wenn es fertig ist, schön bunt aussieht. Bevor die Geschenke in die großen Säcke gesteckt werden, verpacken die Feen sie in Geschenkpapier mit phantasievollen Bildern und Schleifen. Der Waldschrat wacht zu guter letzt darüber, dass alles mit den richtigen Namen versehen wird.
Alle Helfer für das Weihnachtsfest sind freiwillig dabei. Deshalb macht ihnen die Arbeit auch Spaß. Sie können jederzeit aussetzen oder ganz aufhören. Nur einer der Zwerge kann anscheinend an der ganzen Sache keine Freude finden. Warum er trotzdem immer wieder mit arbeitet, kann niemand recht verstehen. Weil er an allem und jedem etwas herum zu maulen hat, wird er Zwerg Nörgel genannt.
Das Weihnachtsfest vom vorangegangenen Jahr war wunderschön. Alle Geschenke wurden ohne Probleme rechtzeitig fertig, die Feen hatten besonders hübsche Weihnachtbilder entworfen. Der Weihnachtsmann konnte sich ganz entspannt auf den Weg machen, es gab keine Verspätungen, niemand war von seinem Geschenk enttäuscht. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Fest des Friedens. Als der Weihnachtsmann von seiner Mission in die Fabrik zurückkehrte, wurde er mit lautem Jubel empfangen. Nun zeigte sich, er vergaß wie immer auch seine Helfer nicht. Denn er hatte wie stets über das lange Jahr und die viele Arbeit herausgefunden, welche heimlichen Wünsche seine treuen Freunde hatten. Jeder einzelne bekam ein Geschenk von ihm und ein großes Lob. Aber genau das gefiel Zwerg Nörgel nicht. Er fand, dass er ein besonderes Lob und ein extra großes Geschenk verdient habe. Denn einmal, als eine Maschine kaputt ging, reparierte er sie. Dazu arbeitete er zwei Stunden länger alle anderen. Er meinte, dass das besonders gewürdigt werden musste. Und überhaupt, er fühlte sich viel zu wenig beachtet. Seiner Ansicht nach könnte er viel wichtigere Aufgaben übernehmen als nur handwerkliche Arbeiten. Er meinte, er könne neben dem Weihnachtsmann im Betrieb eine verantwortliche Stelle übernehmen. Das letzte Weihnachtsfest, das alle so lobten, war in seinen Augen doch auch nur ein Fest wie jedes andere. Was tat denn der Weihnachtsmann schon besonderes? Wünsche sammeln, aufschreiben und andere arbeiten lassen. Er verteilte dann die Geschenke und wurde dafür von allen geliebt. Aber was war mit ihm? Wer lobte ihn, den Zwerg, der Überstunden machte? Zum Dank für seine Mühen hatten sie ihn auch noch Nörgel getauft! „Nein,“ dachte er, „in diesem Jahr soll das anders werden.“ Er überlegte lange Zeit. Und dann, als er sicher sein konnte, dass niemand ihn hörte, sah er in den Spiegel und sagte laut und mit energischer Stimme zu seinem Spiegelbild: „Ich werde den Weihnachtsmann entführen und selbst Weihnachtsmann sein. So gut wie er kann ich das alles schon lange.“
Zwerg Nörgel hatte einen einfachen Plan. Er lud den Weihnachtsmann zu sich nach Hause ein. „Das ist sehr nett, aber was soll ich bei dir?“ wunderte sich der Weihnachtsmann. „Ach weißt du, ich habe da einige neue Ideen. Die möchte ich gerne mit dir besprechen,“ log der Zwerg. „Na dann komm doch einfach zu mir in mein Büro. Ich kann doch gar nicht zu dir kommen, dein Haus ist viel zu klein.“ „Nein.“ Der Zwerg war richtig böse. „In deinem Büro kann uns jeder stören. Ich möchte das aber mit dir alleine bereden. Dann machen wir das eben ein andermal.“ Damit ließ er den Weihnachtsmann stehen. Der wunderte sich natürlich sehr und schaute dem Zwerg nachdenklich hinterher.
Zwerg Nörgel grämte sich sehr. Wie hatte er nur vergessen können, dass der Weihnachtsmann doch viel größer war als er. So grub er in seiner Zwergenwohnung, um einen Raum zu bauen, in den er den Weihnachtsmann einladen konnte. Das beanspruchte einige Zeit, in der er nicht in die Fabrik gehen konnte. Der Weihnachtsmann, der das Verhalten des Zwerges sehr seltsam fand, begann sich um ihn zu sorgen. „Irgend etwas stimmt da nicht,“ dachte er bei sich. „Wenn ich nur wüsste, was.“ Aber auch die anderen Zwerge merkten, dass Nörgel sich zurück gezogen hatte und noch mehr herum nörgelte, als je zuvor. Vor allem schimpfte er über jede Anweisung vom Weihnachtsmann und behauptete, er hätte das alles ganz anders und viel besser geregelt. Alle fragten sich, was das bedeuten sollte.
Nörgel hatte seine Wohnung fertig gebaut. Er hatte Glück, denn beim Graben stieß er auf eine Höhle, die für seine Zwecke hoch genug war. Das erleichterte ihm die Arbeit. Da der Weihnachtsmann groß war, musste er sich vielleicht bücken, um in Nörgels Wohnung zu kommen. Aber in dem neuen Raum würde er stehen können. Also lud der Zwerg den Weihnachtsmann erneut zu sich ein. „Ich habe meine Behausung ausgebaut. Du wirst staunen! Sie ist jetzt groß genug, um Gäste wie dich zu empfangen.“ „Na gut,“ stimmte der Weihnachtsmann zu, „wenn das so ist, muss es ja wirklich etwas Wichtiges sein. Ich werde morgen zu dir kommen.“ Doch irgendwie war er misstrauisch. So eine Geheimniskrämerei hatte noch nie zuvor jemand versucht. Deshalb rief er Zwerg Spitzohr zu sich. „Hör mal, hast du irgendetwas erfahren, was mit Nörgel sein könnte? Oder was er vor hat?“ Damit erzählte er Spitzohr von den beiden Einladungen. Der dachte nach. „Nein. Das kann ich mir auch nicht erklären. Nörgel ist in letzter Zeit noch launiger geworden, als er vorher schon war. Wir wundern uns alle darüber. Aber das mit den Einladungen ist schon seltsam. Weihnachtsmann, da stimmt was nicht.“ Spitzohr war jetzt in großer Sorge. „Nana, so schlimm wird es schon nicht sein. Vielleicht hat er einen Gedanken, unsere Produktion zu verbessern. Er redet ja dauernd davon.“ Aber zur Sicherheit erklärte er Spitzohr doch noch, was in den nächsten Tagen unbedingt zu tun war. „Es ist ganz wichtig, dass wir das alles in der Reihenfolge erledigen, wie ich sie dir erklärt habe. Sonst werden wir womöglich nicht rechtzeitig zum Fest fertig,“ mahnte er. „Ist gut,“ beruhigte ihn Spitzohr, „ich werde mich um alles kümmern.“
Der Weihnachtsmann staunte, als er die neue Wohnung von Nörgel sah. Vor allem, als er in den großen Raum eintrat, den Nörgel neu gebaut hatte. Er war mit Kerzen hell erleuchtet und der Tisch reichlich gedeckt. Getränke und Speisen waren im Überfluss aufgetragen. „Erwartest du noch andere Gäste?“ fragte der Weihnachtsmann. „Ich denke, wir sollten beide alleine sein.“ „Das wirst du gleich verstehen. Ich muss nur noch einmal schnell hinaus gehen.“ Damit lachte der Zwerg, verließ den Raum und schlug die Tür hinter sich zu. Der Weihnachtsmann setzte sich und wartete. Doch der Zwerg kam nicht zurück. „Nörgel?“ rief er schließlich, „wo bist du?“ Da öffnete der Zwerg eine kleine Luke in der Tür. „Hier bin ich. Und du bist mein Gefangener.“ „Was soll das, warum tust du das?“ Der Weihnachtsmann sah den Zwerg ungläubig an. „Ach weißt du,“ antwortete Nörgel, „ich finde, du bist durchaus ein guter Weihnachtsmann. Aber ich kann ein viel besserer sein. Das will mir nur keiner glauben. Nun werde ich dich hier gefangen halten, bis das Weihnachtsfest vorbei ist. In der Zwischenzeit bin ich der Weihnachtsmann. Alle werden sehen, was für ein Kerl ich bin. Und wenn das Fest vorbei ist, werden mich alle lieben, so wie sie jetzt dich lieben.“ „Nörgel, das geht doch nicht!“ Der Weihnachtsmann wollte ihn unterbrechen. Aber der Zwerg lachte nur und fuhr fort: „Du kannst ruhig protestieren, alter Mann. Ich werde jetzt deine Stelle einnehmen. Wenn das Fest vorbei ist, kannst hier wieder heraus kommen. Dann wirst du mein Handwerk übernehmen. Vielleicht macht es dir ja sogar Spaß.“ „Sag mal, aber warum kommst du denn überhaupt in die Fabrik, wenn dir die Arbeit nicht gefällt? Du musst das doch nicht tun!“ Nörgel schwieg eine Weile. Heimlich wischte er sich eine Träne aus den Augen. „Das stimmt allerdings,“ antwortete er kleinlaut, „aber ich habe keine Freunde. Niemand will etwas mit mir zu tun haben. Wenn ich nicht in die Fabrik komme, bin ich noch einsamer.“ Entschlossen schlug er die kleine Luke zu. „Das wird jetzt anders.“
Nörgel kam am nächsten Tag in die Fabrik. Seinen langer Bart war jetzt zurecht gestutzt, so dass er aussah wie der vom Weihnachtsmann. Er hatte in der Zwischenzeit auch nicht nur seine Wohnung ausgebaut, sondern sich einen Anzug genäht, wie ihn der Weihnachtsmann trug. Zunächst erkannte ihn keiner. Alle sahen nur verwundert hinter ihm her. Der Zwerg genoss diese Aufmerksamkeit. Dann stellte er sich auf eine hohe Kiste, damit er größer wirkte und rief allen Helfern zu: „Mal herhören. Alle Helfer mal herhören!“ Es wurde ganz still in der Fabrik, denn keiner der Helfer konnte sich erklären, wo der kleine Weihnachtsmann herkam und was er wollte. „Also, der bisherige Weihnachtsmann ist seit heute in Urlaub. Er ist ein alter Mann, der nicht mehr genug Kraft für diese Aufgabe hat. Ab sofort bin ich der neue Weihnachtsmann. Ich übernehme hiermit die Leitung der Fabrik. Wir werden einiges ändern, wir...“ Weiter kam er nicht. Alle hatten ihn an der Stimme erkannt. „Zwerg Nörgel,“ schrien sie und lachten laut. „Das ist ein guter Scherz. Wirklich, wir hatten dich nicht gleich erkannt.“
Nur Zwerg Spitzohr blieb ernst. Er gesellte sich zu Zwerg Nörgel, machte gute Miene zum bösen Spiel und zischte ihn an: „Wenn du nicht alles verderben willst, dann lass uns ins Büro gehen!“ Den Helfern rief er zu: „Das war ein guter Scherz, oder? Aber jetzt können alle wieder an ihre Arbeit gehen.“ Nörgel fühlte sich von den Lachern verunsichert und folgte ihm. „Was soll dieses Kostüm? Und wo ist der Weihnachtsmann?“ Spitzohr war wütend. „Schrei mich nicht an,“ schimpfte Nörgel zurück, „ich bin jetzt eine Respektsperson für dich, verstanden?“ „Ach,“ Spitzohr wurde noch wütender, „meinst du, die anderen da draußen lachen alle aus Respekt vor Dir?“ „Sie werden schon noch Respekt bekommen. Der Weihnachtsmann kommt jedenfalls vor dem Fest nicht wieder. Bis dahin werde ich die Geschäfte leiten.“ „Und wer soll die Geschenke zu den Kindern bringen?“ „Na ich!“ rief Nörgel und richtete sich mit stolzer Brust auf. „Ich werde das tun. Ich kann das genauso gut wie der alte Mann und noch viel besser!“ Spitzohr sprang auf. „Was bist du doch für ein Narr! Hast du schon einmal in den Spiegel gesehen? Kein Kind wird dir glauben, dass du der Weihnachtsmann bist.“ „Aber ich sehe doch genauso aus!“ Nörgel war entrüstet und beleidigt zugleich. Die beiden schimpften noch eine ganze Weile aufeinander ein. Die anderen Helfer konnten hören, dass da gestritten wurde und sahen immer wieder neugierig zum Büro hinüber. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Wo war aber jetzt der Weihnachtsmann? Der hätte doch die beiden beruhigen können! Schließlich kam Nörgel heraus und ging durch die Gänge der Fabrik. „Wo ist der Weihnachtsmann?“ wurde er immer wieder gefragt. Aber er antwortete nur: „Der Weihnachtsmann bin ich jetzt. Morgen sage ich euch, was ihr tun sollt. Für heute können alle Feierabend machen.“ Die Helfer sahen, dass Nörgel seine Worte ernst gemeint hatte, legten die Arbeit nieder und gingen.
Draußen vor dem Fabriktor aber stand Spitzohr und forderte alle auf, am nächsten Morgen ein bisschen eher als sonst zur Arbeit zu kommen. Auf die Fragen der anderen antwortete er nur: „Ach, der Scherz von Nörgel war ja ganz lustig. Aber er hat uns Zeit gekostet. Da müssen wir morgen ein bisschen mehr tun.“
Am nächsten Morgen erschienen auch wirklich alle sehr frühzeitig. Spitzohr teilte alle so ein, wie es ihm der Weihnachtsmann vor seinem Verschwinden gesagt hatte. Außerdem erklärte er allen, dass Nörgel sicherlich wieder den Weihnachtsmann spielen und sie auffordern würde, ihre Arbeit anders zu machen. „Lasst ihm seinen Spaß. Soll er mal für ein paar Tage der Weihnachtsmann sein. Aber macht bitte eure Arbeit so, wie ich es euch gesagt habe.“
Es dauerte nicht lange, da erschien Nörgel auch wirklich wie erwartet wieder als Weihnachtsmann zurecht gemacht. Er ging durch die Reihen, streckte sich und gab überall Anweisungen. Als er fertig war, sah er sehr zufrieden aus. Denn alle hatten ihm zugehört und genickt. Er fühlte sich tatsächlich schon fast als perfekter Weihnachtsmann. Mit stolz erhobenem Kopf ging er in das Büro, das nun sein Büro werden sollte. Es war über den Werkstätten eingerichtet worden und Nörgel konnte von dort oben die gesamte Fabrik überschauen. Er lachte in sich hinein: „Meine Fabrik.“
Wenn da nicht Spitzohr gewesen wäre. Der stürzte in das Büro, als Nörgel es sich gerade bequem machen wollte. „So,“ sagte er, „bis hierhin und nicht weiter. Ich habe mir das Schauspiel lange genug angesehen. Aber jetzt ist Schluss! Sag mir sofort, wo der Weihnachtsmann ist!“ „Der Weihnachtsmann bin ich,“ konterte Nörgel stolz. „Hast du nicht gesehen, wie ich durch die Reihen gegangen bin? Alle haben mich akzeptiert, alle auf meine Anweisungen hin genickt. Alle arbeiten jetzt so, wie ich das will. Dem alten Mann geht es gut. Den bekommt ihr zurück, wenn ich die Geschenke verteilt habe.“ Da ging Spitzohr auf ihn zu und packte ihn an den Schultern. „Wach endlich auf, du dummer Zwerg! Schau mal aus dem Fenster über die Reihen der Helfer. Arbeiten die wirklich so, wie du es ihnen gesagt hast? Sieh genau hin.“ Nörgel riss sich los und sah hinaus. Aber was war das? Die Förderbänder liefen noch immer wie gewohnt, die Helfer bastelten noch immer an den gleichen Spielzeugen wie zuvor, mit den gleichen Materialien und den gleichen Werkzeugen. Dabei sollten sie doch... „Was soll das?“ fragte er nach einer langen Pause. „Ich bin doch jetzt der Weihnachtsmann. Ich habe doch gesagt, wie gearbeitet werden soll. Warum machen sie das alle nicht?“ „Dann trat er wütend auf Spitzohr zu: „Daran bist du schuld, stimmts?“ „Ach Nörgel,“ Spitzohr hob beschwörend die Hände, „du siehst dem richtigen Weihnachtsmann sehr ähnlich. Aber du bist einfach viel zu klein. Alle Kinder werden das erkennen. Willst du dich wirklich von der ganzen Welt auslachen lassen?“
Nörgel stand jetzt traurig vor Spitzohr. Lange sprach keiner ein Wort. Bis er zugab: „Nein, das will ich nicht. Es genügt, wenn ihr mich immer auslacht. Ich wollte einfach nur Anerkennung finden.“ Er wischte sich ein paar Tränen ab und wollte sein Kostüm ausziehen. „Dann war alles umsonst.“ „Warte,“ sagte Spitzohr da mitleidig. „Behalte deine Sachen an. Jetzt sagst du mir, wo der Weihnachtsmann ist und wir gehen zu ihm.“ Nörgel wollte protestieren. „Nein. Ich habe ihn in meiner Wohnung eingesperrt. Er wird sehr böse mit mir sein und mich außerdem auch auslachen. Du kannst alleine zu ihm gehen. Der Schlüssel zu seinem Zimmer liegt neben der Tür.“ „Ach was,“ Spitzohr zog ihn am Ärmel. „Komm schon. Er wird vor allem böse sein, wenn du dich jetzt drücken willst. Er mag nämlich keine Feiglinge.“
Der Weihnachtsmann lachte gar nicht. Er schimpfte aber auch nicht. Er hörte sich die ganze
Geschichte an und betrachtete dann Nörgel mit ernster Miene. Der rutschte in seinem Stuhl hin und her und wirkte gleich noch kleiner. „Wirst du mich jetzt aus deiner Fabrik wegschicken, Weihnachtsmann?“ fragte er leise. „Nein,“ antwortete der Weihnachtsmann. „Ganz im Gegenteil. Jetzt musst du dich erst recht beweisen. Du sollst allen zeigen, dass du so wie du es sagst, mehr kannst. Ich muss nur überlegen, wie.“ Spitzohr sprang auf. „Da habe ich vielleicht eine Idee. Der jetzige Leiter von Werkstatt drei, in der Nörgel arbeitet, möchte sein Amt abgeben. Wir hatten nur noch keinen Nachfolger. Kann das nicht Nörgel übernehmen? Er kennt sich doch in dieser Fertigung bestens aus.“ „Gute Idee,“ lobte der Weihnachtsmann. „Nörgel, was sagst du dazu?“ „Ist das euer ernst?“ Nörgel sah die beiden ungläubig an. Doch dann wurde er wieder traurig. „Sie haben mich alle ausgelacht. Sie werden nicht auf mich hören. Ich werde nie Freunde finden.“ „Sie haben dich nicht ausgelacht. Sie haben alle gedacht, du machst einen Scherz und fanden das sehr lustig. Lassen wir sie ruhig in ihrem Glauben. Du kannst auch das Kostüm anbehalten, es steht dir gut. Es wird sowieso niemand glauben, dass du das alles ernst gemeint hattest.“
Als der Weihnachtsmann wieder in die Fabrik kam, freuten sich seine Helfer, ihn wieder zu sehen. Er musste viele Hände schütteln. Dann stellte er Nörgel als den neuen Leiter der Halle drei vor. Der alte Leiter freute sich, dass er endlich diese Aufgabe abgeben konnte und beglückwünschte Nörgel zu seinem Entschluss. Doch ein paar der Helfer murrten leise. Sie befürchteten, dass Nörgel mit seinen Meckereien ihnen den Spaß an der Arbeit verderben könnte. Aber der Weihnachtsmann rief allen zu: „Wir haben miteinander gesprochen, er traut sich diese Arbeit zu. Ich ihm übrigens auch. Also bekommt er eine Chance, zu zeigen, was er kann.“ Alle gingen daraufhin wieder an ihre Arbeit und alle Geschenke wurden trotz des Zwischenfalls rechtzeitig fertig.

Damit beendete Zwerg Spitzohr seine Erzählung, schwieg eine Weile und sah mich an. „Verstehst du jetzt, warum ich fröhlich bin? Da morgen der Heilige Abend ist, wird sich der Weihnachtsmann noch heute auf den Weg zu den Kindern machen. Das Fest kann kommen.“
„Ja. Das ist ja eine schöne Geschichte. Da hätte es in diesem Jahr fast keine Geschenke gegeben, oder?“ Ich war ehrlich erschrocken. „Wie ist es denn nun mit Nörgel weiter gegangen?“ „Ja, das ist erstaunlich.“ Spitzohr lächelt. „Er macht seine Sache wirklich gut. Dafür bekommt er von allen Seiten Lob und Anerkennung. Er nörgelt auch nicht ständig herum, sondern ist immer fröhlich bei der Arbeit. Damit steckt er die anderen richtig an und allen macht es noch mehr Spaß. Außerdem hat der Weihnachtsmann beschlossen, dass wichtige Besprechungen vom Märchenland zukünftig in Nörgels Wohnung stattfinden. Dort sind alle Beteiligten ungestört und in den neuen Raum, den Nörgel gegraben hat, können auch größere Märchenlandbewohner eingeladen werden..“ „Toll,“ stellte ich fest. „Dann kann ja wirklich für alle wieder ein richtig schönes Weihnachtsfest kommen.“ „Hmm,“ Spitzohr lacht zufrieden. „Das beste kommt ja noch. Du weißt ja, das alle Helfer vom Weihnachtsmann auch ein Geschenk bekommen. Zwerg Nörgel wird ein ganz besonderes erhalten. Damit wir ihn nicht ständig an seine Zeit als Miesepeter erinnern, werden wir ihn zu Zwerg Fröhlich umtaufen.“
Mit diesen Worten stand Zwerg Spitzohr auf und sagte: „Die Nacht ist gleich zu Ende. Ich muss wieder an meine Arbeit gehen und du musst das Traumland verlassen.“ „Schade,“ stellte ich fest, „es war sehr schön, dir zuzuhören.“ „Du weißt doch, ich komme immer mal in deine Träume zurück. Dann erzähle ich dir wieder, was es an Neuigkeiten gibt.“ Er verschwand so langsam aus meinem Blickfeld, als ich ihn noch rufen hörte: „Fröhliche Weihnachten, mein Freund!“ „Danke“, rief ich zurück, „das wünsche ich euch auch!“
Am nächsten Morgen, also am Heiligen Abend, ging ich in unseren Wald am Dorf. Ich setzte mich unter die große alte Eiche und dachte an Spitzohr und seine Geschichte. Ich war froh, dass sie so ein gutes Ende gefunden hatte. Dann zog ich einen Bleistift aus der Manteltasche und klopfte an den Baum. „He, ihr da unten im Märchenland. Euch allen ein wunderschönes Fest.“ Damit holte ich nun auch noch einen Block hervor und schrieb die Geschichte vom entführten Weihnachtsmann auf. So, wie es mich Zwerg Spitzohr geheißen hatte.


© lesefibel


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Beschreibung des Autors zu "Wie der Weihnachtmann entführt wurde"

Ihr habt dazu aufgerufen, eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben. Hier ist meine.
Zwerg Nörgel arbeitet mit in der Geschenkefabrik vom Weihnachtsmann. Weil er sich ungerecht behandelt fühlt, entführt er ihn und will selbst Weihnachtsmann werden. Wie Zwerg Spitzohr ihn daran hindert und damit eine Katastrophe für das Weihnachtsfest verhindert, erfahrt ihr aus der Geschichte.

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