Es war einmal, vor langer, langer Zeit, ein schlauer Fuchs. Dessen Schlauheit war so groß wie ein Elefant, nein, so groß, wie ein Haus, nein, so groß, wie ein Elefantenhaus. Sie war nicht so groß wie (ein) Gott, aber größer als alle seine Häuser zusammengenommen.

Seiner immensen Schlauheit wegen, gelüstete es den Fuchs vorrangig…,nein, nicht nach einer Gans, wonach es beispielsweise Füchsen vorrangig gelüstet, sondern – in aller Bescheidenheit – nach dem höchsten Gut des Lebens, der Wahrheit! Diese sei, so meinte der schlaue Fuchs, für ihn gerade gut genug. Sie wollte er lieben und ehren, haben und halten, bis er sogar erkannte, was Tod ist – und darüber hinaus.

Doch, weil die Schlauheit des Fuchses so groß, ja, größer als alle Häuser zusammengenommen war, wurde Gott auf ihn aufmerksam. In Nebelgestalt trat er zu ihm, um zu beobachten was er tat und um seine Gedanken zu lesen. Der Fuchs aber war schlau genug auch dies zu bemerken.

„Sag mir, wo deine Sonne scheint“ dachte er ihn an und „wo der ewige Frieden lebendig sein darf“. Da lästerte ihn Gott und stellte ihn auf die Probe…

„Sieh, mein Universum, es ist meine Nichts-als-die-Wahrheit, so wahr ich mir helfe“. Und der Fuchs blickte gen Himmel, in der Hoffnung, dort die Wahrheit zu finden. Er sah die tiefe Bläue bei Tag, in der Weite der Erde, von Horizont zu Horizont und er erkannte, daß hier nichts ewig ist und wahr. Ein sich stets verwandelndes Trugbild hatte er vor Augen, denn diese Realität veränderte sich von Augenblick zu Augenblick! Da wandte er sich – betrachtend – der Nacht zu. Die leuchtenden Sterne sahen aus, wie sie nicht aussahen, befände er sich, gedankenschnell, in ihrer Nähe. Ihr Bild stellte keine unumstößliche Wirklichkeit dar, denn die Realität veränderte sich von Horizont zu Horizont.

Der Tag, wie auch die Nacht boten keine Bleibe, nicht Halt und nicht Unterschlupf für einen schlauen Fuchs, der nach dem höchsten Gut trachtete. Sie veränderten sich nur unablässig, so daß aus der Scheinwahrheit der Momente das Trugbild der Vergangenheit wurde – und diese besteht ja, wie er wusste überhaupt nur aus virtuellen Bildern, der Erinnerung.

Da wurde der Fuchs traurig und begann Stimmen zu hören…

Elfengesang


Wir tanzen für dich einen Reigen,
der dich bezaubert und verwirrt,
um dir die richtigen Wege zu zeigen:
in goldene Zügel seist du geschirrt.

So schwirren wir durch Wald oder Feld,
durch deine Träume in der Nacht,
begleiten dich durch deine Welt –
du hast sie sorgsam selbst gemacht.

Wir singen deine Zweifel fort,
mit süßen Stimmen, wie du meinst
und wir gehorchen dir auf’s Wort,
solange du dir sicher scheinst.

Sirenenhaft ist unser Tänzchen,
du kannst ihm gar nicht widersteh’n,
dein Kopf gehört dem Schwänzchen –
das darfst du niemals überseh’n!


Das Lied erheiterte den Fuchs so sehr, daß er sich zu verlieben begann. Zuallererst verliebte er sich in die Liebe, die ja bekanntlich eine Himmelsmacht ist, dann begann er sich eine irdische Gans vorzustellen. Gleichzeitig (multitasking) überlegte er sich, was er ihr sagen würde, wenn er sie, seine Gans, traf. So beschloss er zuerst Spaßmacher zu werden, dann reiste er in das Gänseland…

Dort angekommen, staunte er nicht schlecht, denn das Angebot an Gänsen war groß. Nun galt es schleunigst gänsisch zu lernen, eine, sogar für Füchse nicht ganz einfache Art der Kommunikation! Er übte sich in einem Lied. Es lautete: Heile, heile Gänssche, es wi’d bald wi‘klisch guut, es Füchssche hat e Schwänzsche, es Gänssche heißes Bluut – heile, heile Laste’speck, in hunne’t Jah‘ iss alles weg!

Davon war zumindest eine Gans, gans, pardon ganz begeistert. Sie antwortete mit einem wundervollen Geschnatter. Und das ging so: „schnattatattell my lies, schnattatatattell my sweet litttle lies…“ Da errötete der Fuchs und suchte schleunigst das Weite, fand es aber nicht gleich, denn er musste sich erst durch einen schnatternden Wust aus schmackhaftem Gänsefleisch küssen, doch schließlich, nachdem er ermattet zu Boden gegangen war, gelang es ihm, denn schlagartig war ihm klar geworden, daß Gott ihn ein zweites Mal auf die Probe gestellt hatte.

Und wieder hörte er Stimmen…

Elfengesang


Siehst du denn die Schönheit nicht?
Dummer Fuchs, sie ist doch dein!
Sie dreht sich heiß in diesem Licht –
es muss doch nicht die Wahrheit sein.

Willst du denn alles untergraben,
was da hingebungsvoll gedeiht?
Was willst du wirklich für dich haben?
Denk nicht nach, das ist gescheit!

Du kannst doch interpretieren,
kannst den Schein auch umbenennen.
Du wirst zwar den Kopf verlieren,
dafür lernst du Besseres kennen:

Große Augen für die Wunder,
die in Wüsteneien flimmern –
ob sie Gold sind oder Plunder,
darum darfst du dich nicht kümmern!


Der schlaue Fuchs bekam ein schlechtes Gewissen, überführte ihn doch der Gesang eines Fehlverhaltens, einer offensichtlich im Ansatz falschen Strategie: er wurde sich der Tatsachen bewusst, daß er, im Verlauf seiner Gottesprüfungen, und das nicht nur im übertragenen Sinn, z.B. die eine Gans für zu fett und eine andere für zu dumm gehalten hatte, obwohl es darauf gar nicht ankam. Es kam nur darauf an, was er glaubte, nicht darauf, was er „in Wirklichkeit“ erkannte! Ebenso kam es, beim Betrachten einer Landschaft, darauf an, die Vorspiegelung bläulicher Hügel zu genießen, die in Wirklichkeit grün waren, die Lüge also, die der Augenblick an ihm betrieb, zählte, sonst nichts! Alles war eine Vorspiegelung von Tatsachen, anders als gedacht und vor allem vergänglich. Nichts war fest, glaubwürdig also, denn alles blieb letztendlich unbeweisbar und er konnte nicht einmal sagen, ob die Zeit so verging, wie er sich das vorstellte. Alles verschwand einfach, auf lange Sicht betrachtet, sogar rückstandsfrei. Nicht anders verhielt es sich mit den Sternen: sie erloschen, aber man merkte es nicht. Einige leuchteten noch, obwohl sie de facto schon gar nicht mehr vorhanden waren. Sollte man deshalb gleich Lügen dahinter vermuten?

Und wie sah das mit dem Verhalten seiner Artgenossen, ja, aller Lebewesen in der Natur aus? Vielfältige Mimikri galt als unumstößliche Wahrheit, List als Überlebensmethode! Eine Wahrheit, wie sie der, nun nicht mehr so ganz schlaue Fuchs erwartete, stellte sich urplötzlich gar nicht mehr als das höchste Gut dar, sondern eher als Lüge, die jeden benachteiligte, der auch existieren wollte.

Schließlich verstand der Fuchs, daß es zweierlei Lügen im Leben gab. Die Lüge, die dem Wahnsinn Methode verleiht und den Tüchtigen zum Dasein befähigt und die Lüge, daß es eine unumstößliche Wahrheit geben müsse, deren ultima ratio zweifelsfrei in einen Glückszustand führt. Gäbe es diese Wahrheit,
dann wären wir alle tot, denn dann würde sich nichts mehr bewegen, nichts verändern, das Gute, Wahre hätte ewigen Bestand und bedürfte keiner Überprüfung durch den denkenden Betrachter, istgleich ein intelligentes Wesen.

Daß man es mit der Intelligenz darüber hinaus nicht übertreiben sollte, schien demnach der Urgrund aller Weisheit zu sein, da man sonst die Schöpfung gefährde. Und daß es das auch nur schien, ist gut so, denn sonst wäre diese Geschichte, die immerhin, erstunken und erlogen ist, überflüssig.


© Alf Glocker


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