Ein Maler malte ein Bild. Nur mit einem Pinsel, aber mit tausenden Farben. Er malte immerfort und konnte nicht aufhören. Ohne dem kam er nicht aus, ohne dem fühlte er, dass ihm etwas fehlte, was er unbedingt brauchte. Was er malte, was vielleicht kein Bild, sondern eine ganze Welt – seine Welt. Es war eine Welt, in der er sich ständig vorstellte zu leben, in der er sogar richtig lebte. Die Welt, in der er wirklich lebte, war grau. Ein paar seltene Farben spielten vielleicht auch eine Rolle, aber hauptsächlich war sie grau. Da gab es nur schwarz und weiß, das bildete grau. Aber er haßte diese graue, tonlose, düstere, verschmutzte, langweilige, aussichtslose Welt und in einer solchen wollte er nicht leben. Doch sie war nunmal grau, daran konnte er nichts ändern, und so erschuf er einfach eine neue Welt, in die er versuchte sich hineinzuversetzen. Er malte ein Bild, denn schließlich war er Maler und das Malen war sein Mittel, sich in eine neue Welt zu denken. Er malte ein bild voll vieler verscheidener Farben. Es war farbenfroh und fröhlich. Kein Tupfen weiß und kein Tupfen schwarz war dabei, nichteinmal braun, sondern nur bunte, fröhliche, kräftige Farben.
Er malte eine Welt. Denn eigentlich war es gar kein Bild, bei dem man etwas erkennen konnte, sondern nur viele Farben durcheinander. Aber es war seine Welt.
Er liebte es in ihr zu leben, denn er lebte diese Welt. Es war wie ein eigenes, neues Leben im anderen wirklichen. Es gab Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Die Gegenwart war der pinselstrich, den er machte. In der Gegenwart malte er dieses Bild immer weiter, er lebte diese Welt immer weiter. Und die Gegenwart war schön, denn er malte immer nur bunte Farben und nie einen Tupfen weiß oder schwarz. Die Vergangenheit war das, was er bereits aufgemalt hatte. Es stand fest, es war gemalt, es war gelebt. Und sie war auch schön. Nirgendwo weiß oder schwarz, nirgendwo grau oder braun. Eben so wie er es wollte, wie er es liebte. Wenn die Gegenwart und und die Vergangenheit schön waren, was gab es da noch zu wünschen? Doch da gab es noch etwas sehr Verhängnisvolles – die Zukunft. Da gab es ja noch etwas, was nicht farbig war, sondern weiß. Es war der Platz auf dem Blatt, der nicht ausgemalt war. Aber es war nicht störend. Es machte die farbige Welt nicht nicht doch zu einer farblosen, wie er es nicht wollte. Nein, dieses Weiß – es könnte auch genauso gut Schwarz sein – war auch etwas, das er brauchte, ohne das er in dieser Welt nicht leben konnte. Es war eben die Zukunft, das Ungewisse, der Platz, wo einmal Gegenwart und dann Vergangenheit sein würde. Und auch wenn es eben dieses Weiß und nicht bunt war, hatte der Maler eine höllische Angst davor, dass es verschwinden würde. Es war zwar noch viel da, aber es wurde immer weniger. Und wenn er immer weitermalte, war es irgendwann nicht mehr da. Aber er musste weitermalen, denn sonst könnte er nicht weiterleben, aber wenn er immer weitermalte, würde es einfach irgendwann zu Ende sein. Und das war das Schlimmste, was ihm je zustoßen konnte. Die Welt war zwar dann immernoch da, aber es war Vergangenheit, dann war es geschehen, dann war es gemalt. Wenn das Weiß fort war, konnte er die Welt nicht mehr leben.
Es hatte schon lange gemalt und die Welt genossen, denn sie war ja schließlich schön. Sie war so, wie er es wollte. Bis ihm irgendwann aufgefallen war, dass das Weiß immer weniger wurde und wie wichtig es ihm war. Und als ihm das aufgefallen war, hatte er Panik bekommen. Seitdem hatte er Angst vor seinem Verschwinden. Er spürte wie es immer näher kam, mit jedem Pinselstrich. Es war zwar nur Platz auf dem Blatt, aber es war auch Zeit. Zeit, wie lange er diese Welt noch leben konnte. Und er hatte immer weniger vor sich und immer mehr hinter sich. Irgendwann war diese Angst so schlimm und er spürte immer stärker das Näherkommen des Verschwinderns, dass er seine Art zu leben änderte. Ganz unbewusste machte er immer mehr Pinselstriche als vorher, viele und kleinere. Je größer die Angst, desto kleiner die Pinselstriche, weil er glaubte, wenn er kleinere Pinselstriche machte, könnte er das Verschwinden des Weißes hinauszögern. Aber es kam trotzdem näher, mit gleicher Geschwindigkeit, gar mit schnellerer, wie es ihm vorkam. Also wurden die Pinselstriche noch kleiner, noch winziger, bis es nur noch kleine Tupfen waren. Außerdem wurden seine Farben immer verschiedener, vielfältiger, weil er glaubte, ehe das Weiß verschwunden war, müsse er so viele Farben wie möglich ausprobieren. Und er dachte gar nicht mehr daran, welche Farben er nebeneinander malte, hauptsache viele und viele verschiedene, sodass von Harmonie nichts mehr zu erkennen war. Letztendlich war es also nur noch ein Gewirr von tausenden von verschiedenen Farben, die nicht im Geringsten zusammenpassten und überhaupt keinen Sinnzusammenhang ergaben. Außerdem waren es so viele winzige kleine Tupfen, dass man sie agr nicht mehr auseinander halten konnte und eigentlich keine Farben mehr erkannte, sondern nur noch ein einziges weitflächiges Grau, das die vielen Tupfen von Farben zusammen ergaben. Und das restliche Weiß verschwand in rasender Schnelle, wie es ihm jedenfalls vorkam, sodass es nicht lange dauerte, bis er kurz davor war, dass es verschwinden würde. Aber das erschrak ihn nicht, denn er hatte sich diesen Moment schon immer ausgemalt und immer darauf gewartet, dass er kommen würde. Und jetzt war er da. Da nahm er sich die Zeit und schaute zurück. Er schaute zurück auf seine Vergangenheit, schaute auf sein Bild und sah sich an, wie er das Leben gelebt hatte, das gleich zu Ende sein würde. Und da sah er das Grauen. Nur ein kleiner Teil des Bildes war noch schön. Dort wo er angefangen hatte.
Ach, da war ich noch jung, dachte er, da ist das Leben noch schön gewesen, da hab ich es noch genossen. Aber dann kam die Angst, dass dieses Leben zu Ende sein könnte, und jetzt sehe ich, wie grau mein Leben seitdem ist. So grau, wie ich es nie haben wollte. Aber jetzt habe ich mein eigenes gewünschtes Leben selbst grau gemacht, ich selbst bin grau geworden. Ich habe es kein bisschen genossen, dieses schöne fröhliche, farbenfrohe Leben; es hätte so schön sein können.
Er zog einen letzten, dicken, kräftigen Strich und er genoss ihn. Er war schön. Er hätte gern noch einmal von vorn angefangen.


© Hanka Fritz


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Kommentare zu "Der Maler"

Re: Der Maler

Autor: Ralf Risse   Datum: 31.05.2013 15:34 Uhr

Kommentar: Was für eine tolle Idee !

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