Teil 1
„Bitte, Mrs. Arndt, wir versuchen nur Ihnen zu helfen“, versichert mir die kleine, schwarzhaarige Frau mit der Aktentasche auf dem Schoß und blickt mich erwartungsvoll über den Rahmen ihrer dunkelroten Brille an. Meine Fingernägel graben sich in das Fleisch meiner Seiten. Unsicher und mit verschränkten Armen hocke ich auf einem kleinen Stuhl an einem kleinen Tisch in einem kleinen Raum. Meine haselnussbraunen Augen sind starr auf die Bilder vor mir gerichtet.
„Wir wollen Ihnen wirklich nur helfen“, wiederholt sich die Frau und wirft ihrem Partner, der in einer Ecke des Raumes steht, einen verzweifelten Blick zu. Sie wollen mir helfen? Zu spät. Mein Leben ist schon lange ruiniert und niemand hat sich zu dieser Zeit um mich gekümmert. Niemanden hat es interessiert, wer ich bin und wo ich bin. Niemanden, nicht einmal ihm. Zitternd strecke ich meinen Arm aus, greife nach einem Bild und schiebe es der Frau hin. Interessiert richtet sie sich auf und nickt mir aufmunternd zu. „Er war der Anführer. Sie waren zu viert. Er gab die Befehle. Laut eigenen Aussagen heißt er Isaac“, flüstere ich und zwinge mich selbst, nicht zu weinen. „Ja, das ist richtig. Isaac Parker, 35 Jahre alt, ursprünglich aus Ohio. Wer von den anderen, den Sie auf den Bildern erkennen können, steckten mit ihm unter einer Decke?“, fragt mich die Frau. Angestrengt betrachte ich die Fotos und schiebe der Kommissarin zwei weitere hin. „Steven und James“, sage ich und sie nickt, während sie sich ein paar Notizen macht. „Die Patientin scheint zu kooperieren“, informiert ihr Partner seinen Chef per Telefon. „Welcher ist der dritte?“, fragt mich die Frau und sieht mich fordernd an, doch ich starre einfach nur zurück. Keines von den Bildern sehe ich an. Meine Augen füllen sich mit Tränen. „Ich weiß es nicht“, lüge ich. „Ich bitte sie, Mrs. Arndt, wir brauchen Ihre Hilfe! Nur so können Sie ein ruhiges Leben führen. Der letzte von den Vieren ist der einzige, der uns noch fehlt. Wir sind uns aber zu 100 Prozent sicher, dass er auf einem der Bilder ist!“, erklärt sie und deutet auf die Fotos. „Ich weiß es nicht“, erwidere ich mit Nachdruck. Kreischend schlägt die Kommissarin auf den Tisch ein und richtet sich auf. Erschrocken weiche ich zurück. „Hör mir mal zu, Spencer! Ich kann dir verdammt nochmal nicht helfen, wenn du mir nicht sagst, wer zur Hölle für Isaac Parker gearbeitet hat, ist das klar? Rede einfach mit mir! Dann musst du hier nämlich nicht rum sitzen und kannst endlich zurück in deine Psychiatrie und ich kann mich anderen Leuten widmen, die noch größere Probleme haben, als du sie hast! Also mach hier nicht auf ‚dumme Blondine‘ und sag mir, was du weißt!“, brüllt mich die Frau an, bevor ihr Partner dazwischen geht und sie aus dem Raum zerrt. Still sitze ich dort. Alleine. Nachdenklich. Wenige Augenblicke später, kehrt der Mann zurück und setzt sich mir gegenüber. „Das tut mir leid, Mrs. Arndt“, beteuert er und ich lache gespielt auf. „Was genau? Dass ihre verrückte Kollegin ausgerastet ist oder das ich entführt wurde?“, spucke ich mit Tränen in den Augen. „Beides“, antwortet er ehrlich. Irritiert wende ich meinen Blick ab und lasse ihn umher schweifen, bis mich der Kommissar wieder in die Realität zurückholt: „Darf ich Sie Spencer nennen?“ Verwirrt beobachte ich ihn, bis ich schließlich nicke. Es ist so unglaublich, wenn mich jemand bei meinem tatsächlichen Namen nennt. Es bringt mich durcheinander. „Also, Spencer, ich bin Tom und im Gegensatz zu meiner Kollegin habe ich viel Zeit und Geduld. Vielleicht willst du ja lieber mir sagen, wer der vierte Mann ist, der dein Leben zerstört hat?“, beginnt dieser Tom, lehnt sich entspannt zurück und streicht sich durch die etwas längeren, dunklen Haaren. Ich rühre mich keinen Millimeter. Tom wartet, lange. Irgendwann lehnt er sich nach vorne und sieht mir direkt in die Augen. „Möchtest du vielleicht lieber erzählen, was passiert ist?“, schlägt er vor. Ich lege den Kopf schief, bis mir einige honigblonde Strähnen im Gesicht hängen. Staunend gucke ich den Kommissar an. „Darf ich das denn?“ Nun ist er derjenige, der mich verwundert betrachtet. „Aber natürlich, wenn du das willst“, bejaht er und setzt sich wieder normal hin. Kurz denke ich darüber nach, nicke dann, erhebe mich, laufe durch den kleinen Raum und setze mich an die Wand dem Mann gegenüber. Dieser steht ebenfalls auf, folgt mir und setzt sich neben mich, nachdem er all die Bilder, die vorher noch auf dem Tisch lagen, vor mir ausgebreitet hat und sich das Notizbuch seiner Kollegin geschnappte. Seufzend strecke ich meine Beine aus und betrachte meine Schuhe. „Ich hatte Streit mit meiner Mutter, weil sie eine Benachrichtigung von der Schule erhalten hat. Ich habe die Prüfungen nämlich total verhauen und noch dazu hab ich ab und an mal einige Stunden geschwänzt. Der Streit war echt heftig. Kurzerhand hatte ich meine Sachen gepackt und bin ausgezogen – natürlich nicht, ohne die Kreditkarte meiner Mutter zu klauen. Bei der nächst besten Bank hab ich mir all das Geld in bar auszahlen lassen, bevor meine Mum die Karte hat sperren lassen. Das Geld hab ich verwendet, um nach Amerika auszuwandern. Ich wollte so weit weg, wie nur möglich. Ich habe also ein kleines Haus in Koyuk, Alaska gemietet und habe da als Mädchen-Für-Alles gearbeitet. Ich habe nicht viel verdient, aber es hat gereicht, um zu überleben. Außerdem waren die Menschen da sehr freundlich. Das Dorf hat um die 330 Einwohner, die sich auch alle untereinander kannten. Mein einer Nachbar, hat mir Brennholz für den Kamin verschafft und ich konnte manchmal bei der Dorfältesten zum Essen vorbei schauen. Es hat mir dort wirklich sehr gut gefallen, aber nach drei Jahren, war ich fast am Ende – vor allem, was das Geld anging. Irgendein Fernseh-Team kam im Winter 2005 vorbei, weil sie eine Doku über Alaska gedreht haben. Sie nahmen mich mit nach Washington, nachdem ich ihnen die nähere Umgebung zeigte und sie eine Weile bei mir unterkommen ließ, als sie ein paar Probleme mit ihrem Flieger hatten“, erzähle ich, bis mich Tom unterbricht: „Sie haben dich einfach so mitgenommen?“ Verlegen spiele ich mit meinen Fingern, bevor ich kleinlaut antworte: „Möglicherweise habe ich auch ein bisschen viel mit dem Leiter der ganzen Dokumentation geflirtet“ Tom lacht und nickt. „So geht es natürlich auch! Aber entschuldige, fürs Unterbrechen! Rede ruhig weiter!“, fordert er mich auf. „Naja, als wir dann schließlich in Washington waren, hab ich Alexander und sein Team einfach stehen gelassen und bin abgehauen. Bis Mitte des Sommers im nächsten Jahr habe ich entweder auf der Straße, einem Motel in der Nähe oder bei irgendwelchen Leuten geschlafen, die ich kennengelernt habe. Ich habe so ziemlich alles Mögliche an Jobs ausprobiert, aber nichts hat mir wirklich gefallen. Ganz schlimm fand ich es bei dem schwulen Hundefrisör! Der hatte voll den Dachschaden! Irgendwann ist dann Colin in mich reingelaufen und hat mir seinen brühend heißen Kaffee auf die halbwegs neuen Klamotten geschüttet. Es war quasi Liebe auf den ersten Blick – so wie in diesen viel zu kitschigen, amerikanischen Filmen oder Serien für Jugendliche. Aber was soll man da schon groß zu sagen. Wenn einem so etwas schon passiert, dann auch nur in Amerika. Colin hat mich bei sich wohnen lassen und hat mir sogar einen Job verschafft. Bei seiner Cousine im Betrieb, habe ich als Fotografin gearbeitet und ich war sogar richtig gut. Ich glaube es war 2008, ich war also 23 Jahre alt, kurz nach meiner Verlobung mit Colin, als ich einen heißbegehrten Auftrag ergattern konnte. Ein Fotoshooting für die ‚Vogue‘ stand an und ich durfte als Fotografin mitwirken – und das, obwohl ich gar keine richtige Ausbildung hatte. Ich fuhr persönlich mit dem Betriebsauto von Colins Cousine Fiona. Mitten auf der Strecke streikte das Auto, weil ich vorher vergessen hatte, zu tanken. Wie bescheuert! Dabei ist das doch das erste, was man macht, wenn man einen langen Weg vor sich hat. Wie auch immer. Ich stand stundenlang auf dieser beknackten Straße herum und hoffte, dass endlich mal jemand anhält, doch all diese super freundlichen Leute fuhren weiter“, rege ich mich auf. Dazu hab ich auch allen Grund! „Handy?“, wirft Tom ein, doch ich schüttle wild den Kopf. „Hatte ich nicht! Ich war entweder bei Colin oder auf Arbeit. Wenn Jamie etwas von mir wollte, hat er also bei Fiona angerufen und anders herum. Ich habe nie ein Handy gebraucht! Nur an diesem einen Tag. So ein Mist!“, fluche ich und lasse mir von Tom den Rücken streicheln, als ich meine Beine anziehe und den Kopf auf meinen Knien ablege. Ich bin total fertig. „Komm schon, Spencer, erzähl weiter. Es ist doch jetzt alles okay!“, versucht er mich zu beruhigen. Brummend fahre ich fort: „Nach einer gefühlten Ewigkeit, als ich schon fast aufgegeben hatte, hielt doch noch ein Auto neben mir an. Ein älterer Mann saß am Steuer und ließ das Fenster herunter. „Hey Kleine. Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er und lächelte mich freundlich an. „Nein ganz und gar nicht! Vielen Dank, dass Sie angehalten haben! Mein Auto hat den Geist aufgegeben. Tank leer. Sie haben nicht zufälligerweise etwas Benzin hier?“ Verzweifelt und doch voller Hoffnung starrte ich dem Mann in die eisblauen Augen, welche traurig schimmerten. "Nein, Kleine, leider nicht. Aber wenn du möchtest, kann ich dich zur nächsten Tankstelle fahren, wir füllen dir einen Kanister und kommen hier her zurück!“, schlug er vor und dumm, wie ich war, nahm ich das Angebot an und stieg in sein Auto. Und bevor du fragst, Tom – Nein, ich habe nicht daran gedacht, ihn einfach nur zu fragen, ob er ein Telefon bei sich trägt und ob ich es benutzen dürfte! Kaum, dass ich also in seinem Auto saß, bretterte er mit mir über die Landstraße. Wir redeten nicht. Als ich einmal laut gähnte, meinte er, es wäre noch ein ziemliches Stückchen und ich könnte ruhig etwas schlafen, bis wir ankommen; er würde mich dann wecken. Ich dachte gar nicht darüber nach und sah auch keinerlei Gefahr. Der Mann wirkte doch so nett und hilfsbereit. Niemals hätte ich an das gedacht, was dann geschehen ist“ Zum Schluss hin versagt meine Stimme und es bilden sich wieder Tränen in meinen Augen. „Das war Isaac, richtig? Also der Mann. Er hat dich entführt!“, stellt Tom fest und als ich nicke, notiert er sich wieder etwas, so, wie er es schon die ganze Zeit tut, obwohl das meiste gar nicht so wichtig ist – vor allem, weil meine Psychologin den größten Teil hiervon schon kennt und die Informationen pflichtmäßig an die Polizei übergibt. Aber was soll’s. „Irgendwann bin ich dann aufgewacht, aber nicht in einem Auto und auch nicht mit diesem älteren Mann an meiner Seite. Nein. Ich war total alleine in einem winzigen Raum aus festem Holz – wie sich später herausstellte, war es eine alte Hundehütte. Panik ergriff mich und ich schrie, doch niemand schien mich zu hören. Bis zur völligen Erschöpfung schlug und trat ich gegen die Wände, doch nichts regte sich. Bald gab ich all das auf, kauerte mich in einer Ecke zusammen und begann leise zu weinen. Kurze Zeit später vernahm ich Schritte und tiefe Stimmen. „Was willst du jetzt mit dem Weib anstellen, Isaac?“, flüsterte jemand. Sofort erstarrte ich und lauschte. „Wir brauchen Geld oder etwa nicht, du Blödmann? Sie ist in irgendeinem komischen Betrieb, also wird sie da irgendjemand vermissen. Sie ist jung und hübsch, also hat sie garantiert einen Freund. Familie hat sie sicherlich auch“, grübelte der Mann aus dem Auto. Ich war mir jedenfalls sicher, dass er das war, schließlich kam mir die Stimme so bekannt vor. „Ja und? Das nützt uns ja reichlich wenig!“, ertönte eine andere Stimme. Sie waren also zu dritt. Ein dumpfer Schlag war zu hören, gefolgt von einem entrüsteten „Aua!“ Mein erster Gedanke in diesem Moment war einfach nur: Wird man mich auch schlagen? „Wir benutzen sie als Geisel und verlangen Lösegeld! Gott, Steven, du bist wirklich dümmer als ein Baum!“, spottete dieser Isaac und ein Lachen war zu hören. „Ähm. Boss? Ist ja wirklich voll die gute Idee so, aber ich weiß auch nicht. Ist das nicht ein bisschen zu krass? Können wir uns nicht einfach Arbeit such, so, wie jeder andere normale Mensch auch?“, kam es kleinlaut von der dritten Person. „Was ist los, James? Hast du etwa Angst?“, fragte Isaac mit einem angriffslustigen Unterton in der Stimme. „Ich muss an meine Familie denken, Mann!“, erwiderte James. Nichts. Gefühlte zehn Minuten später kam es schlicht von Isaac: „Gut. Dann verschwinde! Aber ich will das Geld, was du bei deinen letzten Aufträgen mit mir verdient hast, zurück. Bis spätestens Donnerstag!“ – „Donnerstag? Bist du irre? Wie soll ich das schaffen? Das sind über 25.000 Dollar!“, brüllte James entsetzt. „Eben! 25.000 Dollar, die du ohne mich gar nicht hättest!“, knurrte Isaac zurück. Mein Atem rasselte, wie nach einem Marathon, dabei saß ich nur ganz ruhig dort. „Ich dachte wir wären Freunde!“, sagte James leise und ich hatte ein Bild von ihm vor Augen: Er war bestimmt einen Kopf kleiner als Isaac und musste zu diesem hochschauen, denn er stand ganz dicht vor ihm und entblößte sein aller schönstes Gewinnerlächeln. Sollte dem so sein, hatte er die Rechnung ohne Isaac gemacht. „Dachte ich auch. Also bis Donnerstag?“, zischte er. Wieder nichts. Plötzlich waren Schritte zu hören und wenig später wurde die kleine Tür meiner Hütte aufgesperrt. Isaac hockte zwischen dem Rahmen, hinter ihm stand dieser Steven, groß, schlank, blonde Haare, blaue Augen und eine Narbe, welche sich quer über sein Gesicht zog. Im Hintergrund erkannte ich eine Person, die mit schnellen Schritten das Gelände verließ, kurz bevor dieser Mann hinter einem Baum verschwand, drehte er sich um und sah zu uns. Ich bin bis heute der Meinung, es war James. Er sah mich an und nickte mir bedrückt zu, dann ging er“, wispere ich und lege eine Verschnaufpause ein. Bis hier hin hatte ich meiner Psychologin erzählt. Mehr wollte ich auch nie preisgeben, ich wollte einfach nur vergessen, was geschehen ist. Ich will auch immer noch vergessen – keine Frage! – doch ich habe auch den Wunsch, endlich alles loslassen zu können und ich habe das Gefühl, dass Tom mich versteht und das es richtig wäre, ihm alles anzuvertrauen. „Er ist einfach abgehauen? Er hat niemandem etwas gesagt? Er hat diesen Vorfall nicht gemeldet? Ich meine, er wusste doch, was Isaac treibt!“, meint der Kommissar neben mir und ich werfe ihm einen erschöpften Blick zu. „Ich sehe das so, Tom: Er hat lange Zeit mit Isaac Parker zusammen gearbeitet, er wusste also ganz genau, wie dieser tickt und was passiert wäre, wenn er irgendetwas verraten hätte. Ich denke, ich hätte an James‘ Stelle genauso gehandelt. Er hatte extra vor Isaac und Steven betont, dass er eine Familie hat. Möglicherweise – Nein! – ganz gewiss sogar, hätte Isaac dafür gesorgt, dass sein guter, alter Freund bald keine Familie mehr hat“, äußere ich meine Gedanken und Tom nickt verständnisvoll. „Kann schon sein“, murmelt er, notiert sich etwas, streckt sich und sieht mich dann lächelnd an. „Was?“, frage ich verwirrt und strecke mich ebenfalls. „Erzähl weiter! Es ist gerade so schön spannend!“, sagt Tom und grinst mich an. Doch meine Stimmung fällt jetzt erst recht in den Keller. „So schön spannend?“, äffe ich den Kommissar nach. „Bist du wahnsinnig? Weißt du eigentlich, in was für einer beschissenen Lage ich gesteckt habe? Das ist nicht irgendeine Geschichte, die ich dir hier erzähle, als hätte ich sie aus einem Kinderbuch kopiert!“, belle ich wütend, doch Toms Arme erheben sich und fuchteln wild umher. „So war das doch gar nicht gemeint, Spencer! Es tut mir leid!“, jammert er entschuldigend und ich seufze laut auf. „Ist ja okay. Können wir für heute Schluss machen? Ich bin müde“, erkläre ich kühl und werfe Tom einen leidigen Blick zu. „Selbstverständlich!“, zwitschert er und erhebt sich, bevor er mir aufhilft und mich zur Tür begleitet. „Morgen wieder? Gleiche Zeit?“, fragt er schnell und als ich nicke, öffnet er die schwere Eisentür und übergibt mich an meinen Pfleger, welcher mich augenblicklich zur Psychiatrie zurück bringt.

Teil 2
„Schoko oder Karamell?“, fragt mich mein Lieblingskommissar schmatzend. Grinsend lehne ich ab und sehe Tom dabei zu, wie er achselzuckend die Keksschachtel beiseite legt und sich zu mir auf den Boden setzt. „Also, da wären wir wieder!“, stellt er fest, kratzt sich am Hinterkopf und lächelt mich an. „Wie war es gestern noch so?“, will er noch wissen und ich ziehe abschätzig eine Augenbraue nach oben. „Du meinst bei den ganzen Irren?“, scherze ich, aber Tom sieht mich nur ernst an. „Also ich sehe das so, Spencer: Die würden dich nicht zu den ganzen Psychos stecken, wenn mit dir alles in Ordnung wäre“, meint er und legt seinen Kopf schief. Empört seufze ich auf. „Ich bin also irre?“, möchte ich mich vergewissern, doch Tom schüttelt heftig den Kopf. „Ach Quatsch! Ich wollte damit lediglich sagen, dass du eine schwere Zeit hinter dir hattest“, redet er sich heraus. Gerade, als ich etwas erwidern wollte, wendet er sich ab, schnappt sich das Notizbuch von gestern und kritzelt das Datum von heute in die rechte, oberste Ecke einer weißen Seite. Kurz darauf wirft er mir einen geduldigen Blick zu und nickt, um mir zu bedeuten, dass ich anfangen könne, zu reden. Einmal schlucke ich noch laut, bevor ich dort ansetze, wo wir gestern aufgehört hatten: „Isaac starrte mich belustigt an. Er fand es ganz offensichtlich witzig, wie ich mich an die Wand quetschte, einfach nur, um weit genug von ihm entfernt zu sein. Steven betrachtete mich gründlich, ehe er ein dreckiges Grinsen aufsetzte. „Du sagtest ja, sie ist schön, aber das sie so verboten gut aussieht, hast du nicht erwähnt!“, schnurrt er dem Mann vor ihm zu und leckt sich über die Lippen. „Das einzig Verbotene hier ist meine Entführung!“, knurrte ich wütend und laut. Ich war nur laut, um meine Panik und Verzweiflung zu überspielen. Adrenalin schoss durch jede einzelne Vene meines Körpers. „Will da jemand frech werden?“, fragte Isaac lachend. Steven lachte ebenfalls, doch ich senkte einfach nur meinen Blick. Plötzlich packte jemand meinen Knöchel und zog mich nach draußen. Sonnenstrahlen blendeten mich, aber Isaacs Kopf schob sich rasch vor meinen. „Hör mir mal zu, Miststück! Du hast gefälligst die Fresse zu halten, verstanden?“, schrie er mich an und ich zuckte zusammen. Meinen ganzen Mut gesammelt entgegnete ich leise: „Du hast mir überhaupt nichts zu sagen!“ Binnen weniger Sekunden landete Stevens flache Hand auf meiner Wange. Es ertönte ein riesiger Knall und mein Kopf wurde dank des Aufpralls zur Seite geschleudert. Keuchend lag ich auf dem dreckigen Boden und hielt mir die schmerzende Stelle. „Du hast kein Recht so mit Mr. Parker zu reden, du kleine Schlampe!“, bellte Isaacs Schoßhündchen und erntete dafür viel Lob von seinem Herrchen. Ich biss mir in die Zunge, um nicht an den stechenden Schmerz in meinem Gesicht denken zu müssen. „Mir gefällt, wie du mit ihr umgehst, Steven. Du hast verstanden, worum es geht. Du bist nicht so ein Feigling, wie James!“, sagte Isaac und ich war mir nicht sicher, ob ich in diesem Moment lachen oder weinen wollte, also tat ich nichts davon. Still drehte ich mich auf den Rücken, jedoch war ich unfähig, mich aufzusetzen, denn augenblicklich drückte mich Stevens Fuß auf den Boden. Schwer atmend sah ich zu ihm herauf. Keinerlei Gefühle spiegelten sich in seinem Blick oder seinem allgemeinen Auftreten wieder. Er wollte Isaac gefallen und nicht weniger. „Sie gehört dir“, trällerte dieser und klopfte seinem Hund anerkennend auf die Schulter. „Fessel sie, sperre sie weg, schlage sie.. Ist mir alles total egal! Hauptsache sie bleibt am Leben. Brot und Wasser nur bevor sie wirklich ernsthaft zu Schaden kommen könnte. Denn du weißt – Ohne Mädchen keine Belohnung!“, informiert er Steven, sieht dabei aber nur mich an. Er sprach laut und unmissverständlich. Einen kurzen Augenblick später verzog er qualvoll das Gesicht und spuckte mich an, empört schnappte ich nach Luft. Es schien ihm zu gefallen. Meine Panik, mein Schmerz, mein Ekel – all das war seine Leidenschaft und Steven sorgte stets dafür, dass Isaac alles bekam, was er wollte. Das Hündchen packte mich also grob an den Handgelenken und schleifte mich zurück in die Hütte. Schwungvoll steckte er mich dort rein und verschloss die Tür. Schritte waren zu hören und ich atmete erleichtert auf. Es kam mir vor wie zwei Stunden, es wurde langsam dunkel, als ich ein Auto hörte. Hoffnungsvoll krabbelte ich zur kleinen Holztür, rüttelte daran und schrie nach Hilfe. „Halt deine verdammte Schnauze!“, brüllte mich jemand vom Auto aus an. Steven. „Was willst du schon dagegen tun, huh?“, rief ich zurück. Wenn die beiden mich fertig machen wollten, dann würde das alles sowieso ein rasches Ende nehmen, also konnte ich wenigstens mutig sein und versuchen, mich zu wehren. „Hast du ein Glück, dass ich dich nicht umbringen darf! Du würdest schon längst kopfüber mit aufgeschlitztem Körper an irgendeinem Baum am Wegrand hängen und dich von Maden zerfressen lassen, wenn es nach mir ginge!“, blökte er aufbrausend. „Was für ein Glück für mich, dass es nicht nach dir geht, Steven! Aber was soll das Schoßhündchen vom ‚Boss‘ mir schon groß antun? Es ist echt lächerlich jemanden, wie dich, auf mich anzusetzen!“, provozierte ich den Blondschopf aus dem sicheren Inneren meiner Hütte. Durch ein paar Ritzen erkannte ich Steven, welcher mit knallrotem Kopf in meine Richtung gesprintet kam. Krachend riss er die Tür auf, griff mein Bein, bevor ich reagieren konnte, zog mich zu sich und schlug mir mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht, ehe er mir ein paar Hiebe mit der Faust in den Magen verpasste. Vor Schmerzen halb ohnmächtig sah ich ihm in die hellen Augen, welche vor Anspannung ganz glasig wirkten. „Du elendes Drecksstück!“, war das letzte was ich noch hörte, bevor ich zusammenklappte“, erzähle ich und starre dabei ununterbrochen auf die dunkelrote Keksschachtel von Tom. Ich erhebe mich und nehme mir ein Glas Wasser vom Tisch. Nachdem ich meinen trockenen Hals damit geflutet habe, wende ich mich an den Kommissar in dunkler Dienstkleidung. „Auch eins?“, frage ich. Irritiert blickt er kurz von seinem Buch hoch und schüttelt dann lächelt den Kopf. Gleich danach macht er sich weiter irgendwelche Notizen. „Schreibst du eigentlich auch so einen Müll auf, wie: Patientin 007 hat ein Glas Wasser getrunken?“, will ich von ihm wissen und grinse ihn breit an. Er legt lachend das Notizbuch weg und sieht mich an. „Ich schreibe sogar auf, wie oft du mit deinen Füßen wackelst, während du erzählst! Ist nämlich ein Anzeichen für Nervosität und so“, meint er locker und beobachtet mich belustigt, als ich geschockt die Augen aufreiße. „Ernsthaft?“, flüstere ich, aber sein Lachen ist Antwort genug. „Du bist doch bescheuert! Hah! Na also, da haben wir es ja: Du bist irre, nicht ich! Du gehst ab jetzt für mich in die Psychiatrie!“, erkläre ich Tom und strecke ihm dann meine Zunge entgegen. „So gerne ich auch deinen Platz dort einnehmen würde, Spencer, aber ich werde hier leider gebraucht!“, beteuert er und wirft mir einen gespielt traurigen Blick zu. „Ja klar! Wer bäckt sonst die Kekse?“, frage ich und zwinkere ihm zu, woraufhin er wieder einmal lacht. Auf einmal wird die riesige Tür aufgerissen. „Mr. Davids? Die Zeit ist um. Wir müssen Mrs. Arndt zurück in die Psychiatrie bringen!“, informiert uns mein Pfleger. Ich hasse ihn. Also ich hasse den Fakt, dass er ständig und überall erwähnen muss, dass ich verrückt bin. „Verstanden, Sir. Spen- Mrs. Arndt wir sehen uns dann am Donnerstag wieder, um 16Uhr, wenn ich bitten darf“, erwidert Tom und ich bin von seiner Förmlichkeit verwirrt, aber er ist schließlich immer noch Kommissar. „Donnerstag? Das ist ja erst nächste Woche“, stelle ich fest und Tom nickt. „Ich habe ab morgen frei, deshalb können wir uns erst am Donnerstag wieder sehen. Bis dann“, verabschiedet er sich höflich, doch im Vorbeigehen zwinkert er mir noch kurz zu und ich schenke ihm ein ehrliches Lächeln.


© HeuteMalAlly


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