Asche fällt von der Zigarette in meiner Hand. Sanft segelt sie in Richtung Tischplatte zwischen meine Armbeugen, die dort abgestützt liegen. In der Stille verfolge ich gebannt dem kleinen grauen Partikel, wie es nahezu schwerelos herabsinkt, in der Erwartung eines hörbaren Aufpralls, als es sich auf den schwarzen Lack legt.

Mein Blick geht zurück zum Rest der Zigarette zwischen den Fingern meiner linken Hand. Langsam lasse ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger rotieren. In der Hoffnung, dass noch etwas Asche abfällt und die darunterliegende Glut zum Vorschein bringt. Jene, die durch Feuer gespeist wurde und mit jedem Atemzug am Leben gehalten wird. Nur habe ich schon zu lange nicht mehr an ihr gezogen und bald bleibt nur noch kalte Asche. Also drücke ich sie im Aschenbecher aus.

Die Bewegung löst meinen Fokus und der zuvor noch unscharfe Hintergrund nimmt wieder Konturen an. Neben dem überfüllten Aschenbecher liegt deine Hand. Locker in die andere gelegt, während der Daumen wie in Trance über die raue Haut deines Handrückens fährt. Deine Unterarme nur knapp vor einen auf dem Tisch abgelegt, mit hängenden Schultern und tiefen, suchendem Blick.

Als suchest Du auch den Aschenpartikel, dem ich gerade noch so gedankenverloren verfolgte. Nach etwas, das Bewegung zurück in den Raum bringt. Doch dieser Raum ist zu voll mit dem was zwischen uns geraten ist. Es ist die Stille, die alles für sich beansprucht und sich drängend auf unsere Brust legt. das Atmen erschwert und jede Bewegung unmöglich macht.

Noch Minuten zuvor haben wir zusammen gekocht, während Du mir von Internettrolls erzählt hast, die Du mal wieder zurück auf den Boden geholt hast. Also holen wolltest, denn Du weißt so gut wie ich, dass das nicht geht. Doch das hält Dich nicht davon ab, denn da brennt dieses Feuer in Dir, welches Intoleranz und Menschenhass nicht wortlos hinnehmen kann.

Beim Zuhören schwebte der Kochlöffel in meiner Hand vergessen über der heißen Pfanne und mit jedem Deiner leidenschaftlichen Worte für die Menschen und gegen den Hass, wuchs meine Leidenschaft abermals für Dich.

Wie Du getrieben von dem Thema aufgestanden bist und neben mir zur Arbeitsplatte kamst. Redend eine lose Tomate in die eine Hand genommen hast und sie in der anderen begutachtetest, als würde dort eine Antwort stehen. Nur um sie im nächsten Moment gedankenverloren zurückzulegen, weil Du nicht mehr wusstest worauf Du eigentlich hinaus wolltest.

Mein Lachen erfüllte den Raum, denn Nichts macht mich glücklicher, als Dich mit Deiner zerstreuten Gedankengewalt zu erleben. Du antwortetest mit einem verlegenen Lächeln und diesem Funkeln in Deinen Augen, während sich Deine Hände um meine Taille legten, um mich näher zu Dir heranziehen zu können. Nur um mir in die Augen zu blicken und mir zu sagen, dass die Welt nur halb so scheiße ist, wenn wir zusammen sind.

Nach einem kurzen Kuss übernahmst Du den Kochlöffel und ich das Reden. Wild herumwerkelnd ließ ich all meine Gedanken zu dem Thema raus. Bis wir beide nahezu gleichzeitig redeten. Völlig energiegeladen von der Thematik, aber vielmehr noch absolut losgelöst. Denn wir beide wissen, dass wir dem einen Menschen gegenüberstehen, der uns versteht. Dass jedes gesprochene Wort ein hörbares Element unserer Verbindung ist, dessen Wiederhall jeden Ort zum schönsten macht.

Doch jeder Ton hat diesen Raum verlassen, als aus dem Nirgendwo wieder dieses Thema auf den Tisch kam. Nicht mit einem lauten Knall, sondern zwischen den Augenblicken. Wie der Geruch des jetzt auf dem Herd zurückgelassenen Essens, hat es sich mit jedem Atemzug in unsere Blutbahnen vorgearbeitet. Wie ein Krankheitserreger verbreitet es sich still und unbemerkt.

Noch tauschen wir vereinzelt Worte aus, aber der Blickkontakt büßt bereit ein. Besonders ich kann nicht mit ansehen, wie mit jedem gesprochenem Wort, das ich sage, Dein Feuer von eben erstickt. Bereits sichtlich getrübt von unumstößlichen Tatsachen und der traurigen Hilflosigkeit nichts daran ändern zu können.

Auch ich habe keine Kraft mehr die Worte, die wir schon so oft gehört haben, weiter auszusprechen. Denn ihre Wirkung nutzt sich nicht ab. Mit jedem Mal gewinnen sie an Einschlagkraft durch die Erkenntnis, dass wir wieder hier angekommen sind. Dass wir jederzeit dieses Wechselspiel zwischen losgelöstem Glück und ratloser Befangenheit ausgeliefert sind.

Der Schmerz ist förmlich physisch spürbar. Mit dem eingetretenen Schweigen bahnt er sich seinen Weg von meiner Zunge in den vom vielen Rauchen gereizten Rachen, bis in die Magengegend. Hier verweilt er, zentriert sich und gewinnt jedes Mal an Intensität, wenn sich unsere Blicke treffen. Schnell wende ich meinen wieder ab, denn in Deinen kann ich die Distanz sehen, die sich in dieser 15 qm Küche zwischen uns aufgetan hat.

Genaugenommen haben wir beide diesen Raum verlassen. Haben mit dem plötzlichen Blick nach Innen die Orientierung verloren.

Wie ein kleines Kind, das an einem überfüllten Bahngleis seine Eltern aus den Augen verloren hat, weil es kurz die Hand der Mutter losgelassen hat. Von der plötzlichen Panik für immer alleine dort zwischen all den hektisch herumirrenden Menschenmassen gefangen zu sein übermannt. Die großen feuchten Augen suchend nach jemanden, der ihm den Halt zurückgibt. Aber die Sicht ist durch die riesigen, gesichtslosen Gestalten versperrt. Die hilfesuchenden Aufschreie geschluckt von den drängenden Schritten, die immer näher zu kommen drohen. Übertönt von den Geräuschen der Stadt noch bevor sie an die hörbare Oberfläche gelangen.

So schreien wir uns einsam und verloren die Seelen aus dem Leib, weinen bitterlich und suchen mit weit aufgerissenen Kinderaugen nach einem Ausweg. Derweilen brennt die nächste Zigarette, deren Asche sich mit einem hörbaren Aufprall auf die Tischplatte legen wird.


© Anonymus


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