Gewaltige Mengen Asche wirbelten vielerorts in Form grauer Flocken und schimmerten im Licht des fallenden Mondes. Manch einer der verwahrlosten Todgeweihter tanzte beschwingt durch die düsteren Ruinen der Metropole. In den Scherben ihrer Zivilisation und auf den Trümmern der einst florierenden Gesellschaft feierten sie den Zerfall alter Ängste in glorreiche Träumereien eingebettet. Die fernen Flammen sterbender Refugien spiegelten sich in den Augen der Menschen, die ihre Heimatlosigkeit zelebrierten. Die Leere, auf ihren geweiteten Pupillen gezeichnet, erzählte merkwürdige Geschichten vom Zersplittern der eigenen Seele in der Kühle einer verblassenden Moderne. Die verlorengegangene Sicherheit lies sie wie Schmetterlinge aus einem starren Kokon ohne Farben schlüpfen und das nahe Ende gab alledem eine friedliche, versöhnliche Note. Auf der gesprengten Strasse lag eine feine Schicht aus Verbranntem, und über all zeigten sich versengte Flecken an allem. Die Leute bewegten sich weiter, zum Schlag alter Erinnerung, und auf vielen Gesichtern erschien ein Lächeln, trotz ihrer Schmerzen. Ihre Qual formte sich zu Freude und Erlösung, ihre müden Gesichtszüge verbargen das eben vorüber gezogene Leid in starken Kontrasten und es trieb sie weiter in keine bestimmte Richtung. Einer verlor den Halt, stürzte zu Boden und ein leichter, entspannter Seufzer entsprang seinen verdorrten Lippen. Die Übriggebliebenen hielten nicht an und liessen süsse Melodien durch ihre Köpfe schwirren. Die gespenstische Stimmung verklärte sich zu einem farbenfrohen Spiel ohne Verlierer. Und niemand verspürte eine Spur von Furcht, kein Schrecken durchzuckte ihre schwachen Körper. Unbewusst steuerten sie ihre geschunden Leiber einem nahen Wald entgegen, der mit grauem Staub besprenkelt war. Sie liessen die gelöcherten Gebäude hinter sich zurück und einer legte sich zufrieden auf weiches Moos und schloss die Augen. Heilsame Gewissheit strahlte hell und belebend aus seinem zerkratzten Gesicht. Die Anderen hüpften beinahe durch den dunklen Wald und der Geruch nach Feuer um schmiegte ihre Sinne. Ihr leiser, rasselnder Atem war zu hören. Sonst vernahmen sie nur noch das Knistern der Flammen, die sich gerade an einem Baum labten. Erste nahmen sich bei der Hand und führten einander zwischen den Ästen, durch die Gebüsche hindurch. Niemand sprach ein Wort, niemand klagte. Sie schufen Zauber aus ihrer Misere, sie liessen Mut blühen aus ihrem Leid. Nach und nach verliessen Männer und Frauen diese stumme Gruppe und suchten einen schönen Ort, unter den unterschiedlichsten Bäumen, auf. Andere liessen sich neben einem flüsternden Bächlein zur Ruhe und schlossen ganz sachte ihre Lider. Bald waren nur noch Zwei der ursprünglichen Truppe da, als sie aus dem grünen Wald auf eine schöne Lichtung stiessen. Über ihnen durchdrangen die Strahlen des Mondes die Asche und verliehen dem Ganzen eine wundersame Lebendigkeit am Horizont des Diesseits. Ein letzter Puls reiner Energie feuerte durch sie hindurch. Und sie reichten einander zum Abschied die vernarbte Hand. Kurz darauf hörte man das beruhigende Rauschen der Blätter im Wind und das leichte Knistern brennender Pflanzen sang wärmende Strophen für die Ewigkeit.



Ende


© von Tobias Süess, 2015


© Tobias Süess


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