TAGEBUCH

© Der Baron aka Markus Gust

TAGEBUCH

Liebes Tagebuch, danke, vielmals danke. Danke der Nachfrage, mir geht es gut – aber das weißt Du ja, denn ich schreibe es Dir gerade auf deine weiße Seite.
Oh Mann, ich finde den Anfang schon mal sehr gelungen, denn welches Tagebuch fragt schon, wie es einem geht? Meins und kein anderes. Deshalb freue ich mich auch wie ein Schneekönig, denn es ist ja ein besonderes Tagebuch. Wieso? Ganz einfach, es ist mein ERSTES – und hoffentlich nicht mein LETZTES...
Gut, manche werden sich jetzt fragen, was bitte an einem Tagebuch besonders sein soll. Diese Herrschaften hatten wohl noch nie eines – ein Buch, in welches man Neuigkeiten, Abenteuer oder einfach nur Erlebnisse, Gefühle oder Begegnungen mit Menschen hineinschreibt. Menschen. Ich sage euch, jeden Tag lerne ich so viele neue Leute kennen und über jeden schreibe ich etwas in mein Tagebuch. Später, wenn ich dann darüber lese, erinnere ich mich bestimmt ganz genau an diesen Menschen. Jeder, der mich kennt, wird mich verstehen, denn ich bin gern unter Menschen. Nur finde ich, dass die Welt, in die wir hineingeboren wurden, einfach nur traurig ist. Deshalb stecke ich jeden an, der nur in meine Nähe kommt. Jetzt ist dieser Moment gekommen, an dem man den letzten Satz zweimal liest und sich wundert, was denn da geschrieben steht. Ganz richtig: ich stecke jeden an. Nicht mit einer Krankheit, sondern mit meiner lebensbejahenden, fröhlichen Laune, sodass niemand in meiner Nähe ohne ein Lächeln davonkommt.
Wenn ich mal sterbe, dann werde ich dieses Lachen mitnehmen und mit einem Grinsen diese Welt hinter mir lassen. Aber soweit sind wir noch lange nicht.
In meinem Alter des Schreibens mächtig zu sein, ist schon eine große Leistung. Sagen wir mal, es so hinzubekommen, dass es leserlich und verständlich ist, was ich meine. Darauf bin ich schon ganz stolz. Ich kenne viele in meiner Gruppe, die das nicht können oder einfach nicht wollen. So kleine Trotzköpfe, die ich einfach mitreißen will, um ihnen zu zeigen, was ihnen entgeht. Diese Typen sind sich selbst die liebste Gesellschaft. Dabei wissen sie gar nicht, was ihnen so alles entgeht. Wenn sie später mal versuchen zurückzudenken, können sie sich nicht mehr daran erinnern, weil es so weit weg ist. Diesen Fehler mache ich nicht, deshalb habe ich ja auch mein Tagebuch. Jeden Tag liegt es vor mir und ich schreibe meine Erlebnisse auf. Meistens mache ich das so kurz vor dem Abendessen, aber wenn ich dann zu eifrig am Schreiben bin, kann es schon mal passieren, dass ich ohne Abendbrot ins Bett muss. Aber das ist es mir wert, denn diese Gedanken sind sonst verloren und werden nie mehr gefunden. Mein Ziel ist es, so viele Gedanken und Geschehnisse wie möglich aufzuschreiben oder sogar ins Buch zu malen. Wenn ich nur daran denke fliegen meine Ideen richtig durch den Kopf. So wie Schmetterlinge. Sagte ich 'Schmetterlinge'? Genau, das sind diese bunten Dinger, die ich so gern habe. Ich schaue ihnen freudig beim Fliegen zu und male sie für mein Leben gern. Genauso wie die Blumen, die vor meinem Fenster stehen. Ich weiß zwar nicht, wie man sie nennt, aber das spielt ja auch keine Rolle, denn ich kann mir den Namen sowieso nicht so lange merken. Wieder ein Grund mehr, alles in mein Tagebuch einzutragen. Ob Gutes oder Böses, meinem Tagebuch vertraue ich alles an. Doch eins hoffe ich ganz insgeheim: dass ich morgen auch noch etwas zum Aufschreiben habe. Denn an dem Tag, wenn ich genauso wie die anderen nichts mehr mitbekomme, mein Gedächtnis immer größere Lücken aufweist und ich wie sie nur noch vor dem Fernseher abgestellt werde, dann ist der Zeitpunkt gekommen, mein Tagebuch zu schließen. Wenn meine Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass ich nicht nur den Tag vorher vergesse, sondern es mir schwerfällt, mich selber überhaupt zu erkennen, ist es an der Zeit, auch mein Leben zu beschließen. Das Tagebuch wird immer mein letzter Gedanke sein und mein dokumentiertes Erbe an die, die es vielleicht interessiert. Doch eins sollte ich noch aufschreiben, bevor ich es nicht mehr kann. Meinem Alter sagt man immer nach, dass wir durch unsere Jahre und Erfahrungen klüger als die ganzen Jungen sind. Beileibe stimmt das nicht immer, es macht nämlich überhaupt keinen Unterschied, wie alt man ist, um mit so jemandem wie mir zurechtzukommen. Denn entweder nimmt man sich Zeit für das Alter und die Krankheit oder nicht.
Diesen Satz sollte man sich mal durch den Kopf gehen lassen. Und ich finde, dass es kein schöner Ende gibt.
Mein Tagebuch


© Markus Gust aka Der Baron


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Beschreibung des Autors zu "TAGEBUCH"

Etwas zum Nachdenken. Kurz und bündig, über das was jeden treffen wird. Ich freu mich auf die Kommentare.
Der Baron

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