(Kriegstagebuch, Akte 1)


Sie kommen! Aus verschlüsselten Informationsketten brechen die Stürme der Gegenwart über uns herein. Wir müssen strikt darauf achten, daß alle Schriftgelehrten rechtzeitig beseitigt werden, bevor Gott nackt vor uns steht! Niemand darf seine Blöße erblicken! Wer trotzdem hinschaut, der sei so lange verflucht, bis sich seine genetischen Spuren im Sand verlieren. Der Himmel wird es uns danken – wie er uns bisher alles gedankt hat. Denn wir sind die Guten!

Die Guten wissen immer, wie man sich bei Unwettern zu verhalten hat: man geht ohne Schirm auf die Straße und setzt sich dem Hagel der Bruchstücke aus, die auf einen niederprasseln! Auf die Angehörigen, also die Bestandteile, der Unwetter trifft das Gegenteil zu! Ihr Aufprall darf nicht gemildert werden. Jeder hat Sorge zu tragen, daß alles Verheerende geschützt wird. Unsere Front muss endlich brechen!

Dafür sollten zuerst einmal sämtliche Kriegserklärungen ignoriert und das Eindringen des Feindes bagatellisiert werden. Wer es wagt, ihm Widerstand leisten zu wollen, wird zum Schweigen gebracht, oder in eine Besserungsanstalt überstellt. Jeder Wille zur eigenen Identität muss umgehend vernichtet werden. Nur so ist ein möglichst homogener Untergang, innerhalb fremdartiger Bedingungen zu bewerkstelligen.

Der grünliche Abendhimmel ist kein Beweis für eine bevorstehende Nacht! Und auch der aufgehende (Halb-bis Neu-)Mond versichert uns nicht unbedingt schierer Alpträume, wenn wir sowieso gar nicht richtig träumen können. Über 50 Sterne stehen uns bei! Das jedenfalls behaupten die, als Deputierte verkleideten Mafiosi, der überseeischen Kolonien. Mehrere Millionen Papageien befinden sich indessen im Anflug auf unsere strategischen Basen, wo sie, auftragsgemäß, jeden Widerstand im Keim zerschwatzen.

„SOS, save our souls, SOS save my Soul“ dringt es aus den Tiefen der sensiblen Psychen und vielleicht auch aus meiner, wenn ich je wüsste was ich wollte, doch das Beleidigungsministerium hat die Anweisung herausgegeben, man möge die letzten Überflieger sofort stoppen. Der Luftraum muss von unserer Seite her sauber bleiben! Wir locken einfach den Gegner zu uns und lassen uns vergewaltigen. Das bindet ihn an unsere Möglichkeiten.

Das schwere Artilleriefeuer bleibt jedoch aus. Die Angreifer schieben nur kleine Zeitbomben in putzigen Wägelchen, vor sich her. Ihr herzerweichendes Gebläke beruhigt unsere Rentenkassen dubios, denn wir erhoffen uns viel, von der Zukunft – einem Raum, den wir nicht mehr ausfüllen werden, wenn das so weiter geht. Sinken wir auf die Knie, während die Sirenen nicht heulen und der Äther erfüllt ist von Falschmeldungen: „Es gibt gar keine Invasion, es gibt keinen Angriff auf uns – der vertrauenswürdigste Frieden herrscht überall!“

Die Seele des Staates 44

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Die Seele des Staates 44"

Re: Die Seele des Staates 44

Autor: axel c. englert   Datum: 18.12.2015 9:54 Uhr

Kommentar: Dieser Text ist sicher scharf -
Was Satire freilich darf!

LG Axel

Re: Die Seele des Staates 44

Autor: Uwe   Datum: 20.12.2015 19:44 Uhr

Kommentar: "Jeden Widerstand im Keim zerschwatzen!"
"Jeden Willen zur eigenen Identität vernichten!"
"Eindringen des Feindes bagatellisieren!"
usw.
Aber Alf, das sind doch endlich mal hehre, zielführende Ideale, verstehst du nicht???

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