Müde und abgekämpft, eine Nacht ohne schlaf.
Im Bauch des stählernen Vogels überquere ich den Atlantik.
Aus seinen Augen sehe ich die Eislandschaft Kanadas unter mir.
Stundenlang nur Wolken und Eis.
Zwischen wach und schlaf, da befinde ich mich in der Grauzone.

Turbulenzen, reißen mich aus meiner Dämmerung.
Ich liebe Turbulenzen, das Rütteln und Wackeln beunruhigt mich nicht.
Nein, genau in diesem Moment da fliege ich.
Endlich kommt wieder leben in mich.
Die Landung naht, das tollste am Fliegen ist jedes Mal die Landung.
Wenn die Räder die Bahn endlich berühren.
Alles zittert, gebremste Geschwindigkeit.
Angekommen.

Der ermüdende Kampf durch die Zollkontrollen zieht sich wie immer.
Doch das alles ist wie ein Schleier, ein Nebel.
Ich bin viel zu aufgedreht.
Endlich verlasse ich den Flughafen.
Die Sonne und das milde Klima Kaliforniens zaubern sofort ein Lächeln in mein Gesicht.
Im Zug fahre ich durch die Vororte San Franciscos.

Angekommen in Downtown.
Die Suche nach einer Bleibe für die Nacht gestaltet sich als schwierig.
Ich habe nichts gebucht, wie immer.
So stehe ich nun vor vollen Hostels.
Kein Bettplatz mehr.
Mein Rucksack wird immer schwerer.
Ich wandere durch triste Straßen.
Viele Obdachlose, Junkies und Aussteiger lehnen an den Hauswänden.
Einige sprechen mit sich selbst, andere machen mich blöd an.
Ein zahnloser Mann bietet mir eine günstige Bleibe für eine Nacht an.
Ich winke dankend ab.
Ich muss wohl selber aussehen wie eine verlorene Vagabundin.
Endlich finde ich eine günstige Unterkunft.

Eine Stadt voller Kontraste,
Arm und Reich, nie habe ich die Zwei so nah bei einander gesehen.
Doch ich bin trotzdem verzaubert.
Mann kann sich in einen Ort gleichsam verlieben wie in eine Person.
Und deine bunten Häuser, die steilen Straßen, das Essen, Kunst und Kultur,
dein ganzes quirliges Treiben, es hüllt mich ein, ich mag dich San Francisco.
Drei Tage lang erforsche ich dich zu Fuß.
Überquere die Golden Gate Bridge, spaziere durch China- und Japan Town.
So viel grün und Natur in einer Stadt hab ich vorher noch nicht gesehen.

Mit Wehmut verlasse ich dich.
Doch ich komme wieder.
Mein Leihwagen führt mich in Richtung Norden.
Entlang des Highway One, kurvige, enge Straße, atemberaubende Küste.

Die nächsten zwei Wochen fahre ich den Nordwesten Kaliforniens entlang.
Urige Fischerdörfer, raue Strände, der tosende Pazifik zu meinen Füßen.
Lange Wanderungen führen mich durch Wälder mit Mammut Bäumen.
Ich laufe steinige Pfade entlang, jogge direkt am Abgrund der Klippen.
Wasserspritzer des tosenden Ozeans tropfen auf meinen Körper.
Die Sonne geht langsam unter während der Wind durch meine Haare weht.
Freier und stärker habe ich mich nie zuvor gefühlt.
Dieser Moment ist perfekt.
Ein Fragment voll unbeschreiblicher Schönheit.
Ich weiß das genau dieser Augenblick mir im Alltag Wärme spenden wird,
ganz egal wo ich bin.

Rückkehr ins bunte San Francisco.
Diesmal hab ich ein super Hostel erwischt, direkt im Hafenviertel.
Die Golden Gate Bridge und tolle Parks vor der Haustür.
Ich wandere bis Presidio und Lands End.
Kaum zu glauben, ein paar Meilen von der Metropole entfernt, gibt es schöne Strände und Wanderwege direkt am Meer.
Abends jogge ich durch Crissyfield,
sehe die Golden Gate Bridge in allen Farben der Sonne untergehen.

Diese Reise war so anders, so neu für mich.
Noch nie hatte ich so viel Angst, noch nie war ich komplett auf mich allein gestellt.
Die eigene Grenze langsam zu überschreiten, die Zehen in neues Gewässer zu halten.
Unbeschreiblich.
Unglaublich interessante Menschen habe ich auf meinem Weg getroffen.
Viel Freundlichkeit und tolle Geschichten.

An meinem letzten Tag hier,
eine Wanderung mit meinem „Nachbarn“ Matthias aus Österreich.
Wir haben uns im Hostel kennen gelernt.
Wir laufen über die Brücke bis Sausalito.
Verbringen einen schönen Nachmittag auf der anderen Seite San Franciscos,
essen Mexikanisch und trinken zu viel Tequila.
Mit der Fähre geht’s zurück.

Ein letztes Mal jogge ich Crissyfield entlang.
Abends gehe ich mit Matthias aus.
Wir wandern über Festival Stände, tanzen in überfüllten Bars, knutschen wild.
Lachend und torkelnd gehen wir zurück in Richtung Hostel.
Sein kratziger Bart kitzelt mich, während ich heftig in seine Lippen beiße.
In einem Vorgarten, unter Palmen fallen wir übereinander her.
Toben wie Kinder, durchs nasse Gras.

Nur wenige Stunden Schlaf später und ich bin wieder am Flughafen.
Mir geht´s schlecht, verkatert und traurig.
Der Rückflug ist immer das schlimmste,
und er scheint sich diesmal besonders lang zu ziehen.
Selbst die Landung heitert mich nicht auf.
Angekommen.
Zurück im Alltag.


© 2014


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Kommentare zu "Atlantik bis Pazifik"

Re: Atlantik bis Pazifik

Autor: cori   Datum: 02.04.2014 21:33 Uhr

Kommentar: Hallo Mermaidgrrl,
diese Beschreibung ist wundervoll! So lebendig! Ich habe das Gefühl, als wäre ich mit dabei gewesen ... danke dafür!
So ein "Mini-Kurzurlaub" am Abend ist echt schön ;)
Ich würde sehr gerne mehr in dieser Form von dir lesen - das hast du voll drauf!
Viele Grüße
Cori

Re: Atlantik bis Pazifik

Autor: mermaidgrrrl   Datum: 03.04.2014 15:42 Uhr

Kommentar: Dankefein.
Freut mich das es dir gefällt.

Re: Atlantik bis Pazifik

Autor: noé   Datum: 04.04.2014 2:40 Uhr

Kommentar: Was für Erlebnisse! Du lebst Leben.
noé

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