Madame --

© Markus Gust aka Der Baron

MADAME oder ich frier mir den Arsch ab


Wie soll ich sie beschreiben? Allein schon, wie sie ihre Augen schloß, als sie ihre Konzentration suchte. So graziell. Diese Würde in dieser kleinen unbedeutenden Bewegung ihrer Augen, ließ mich positiv erschaudern. Dann folgte ein kurzes Durchschnaufen und sie war bereit für die Welt, die jetzt, zu ihrer Bühne wurde. Wie eine Grande Dame, aus einem Historienfilm, die am Treppenanfang oben an der Empore steht und die elustäre Gesellschaft zu ihren Füßen , leicht überheblich überblickt und sich ihrer Ausstrahlung, ganz genau bewusst ist.
Das ist jetzt IHR Auftritt und je näher sie dem Rampenlicht kam, desto ruhiger wurde es im Raum. Keiner achtete mehr auf die im Hintergrund spielende Musik. Dieser Moment gehörte ganz allein ihr und als sie sich, fast schwebend die Treppe hinabbewegte, folgten alle Augenpaare ihren Bewegungen. Es war, als wäre sie ein Magnet, an den sich jeder im Raum ausrichtete. Mitten auf der Treppe, blieb sie kurz stehen, schnaufte kurz und blickte sich um. Sie genoß es sichtlich, als sie die weitaufgerissenen Augen in den starren Gesichtern sah und bemerkte, wie alle krampfhaft versuchten ihren Atmen anzuhalten. Kein Laut war zu hören und sogar die Musik verstummte. Niemand im Raum konnte sich dieser besonderen Stimmung entziehen. Man spürte förmlich diese Spannung, die in der Luft lag. Jeder der Anwesenden folgte förmlich ihren Bewegungen mit seinem/ ihren eignen Körper. Sogar die Edelsteine im Kronleuchter verstummten, obwohl sie den ganzen Abend durch die Leute in Schwingungen versetzt wurden. Es war ein ehrwürdiger Moment, denn dies war die Rolle ihres Lebens, für den sie täglich geübt hatte. Stellenweise hatte es den Anschein, dass diese Szenerie, an einem weit entfernten Ort, in einer vollkommenen anderen Zeit stattfand. Doch dies geschah in diesem Moment, genau hier, bei diesem profanen Workshop fürs Singen. Ich hatte schon ein paar Musikstunden bei verschiedenen Lehrern, aber dieses übertraf alles, denn diesmal unterrichtete sie. Meine Kolleginnen und ich staunten nicht schlecht, als auf einmal eine echte Diva vor uns stand, die nicht einmal den Mund aufzumachen brauchte, sondern einfach nur durch ihre Anwesenheit beeindruckte. Alleinschon ihr Erscheinen erzeugte eine Spannung in unserem alten Übungsraum neben der Kirche, sodass man bei dieser Stille, jede Nadel hören konnte, die zu Boden fiel, geschweige denn jedes noch so leise Husten. Irgendwann möchte ich auch mal soweit sein und deshalb habe ich mir, in diesem Moment geschworen, alles zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Jeder im Raum dachte aber wahrscheinlich genau so wie ich, denn als der Workshop begann, war mein Platz in der ersten Reihe sofort besetzt und mir blieb nur die letzte. Als ich mich so umblickte sah ich nur diese glänzenden Augen und jeder tat so, als ob er jedes Wort verstand, was unsere Diva, da erzählte. Ich bin ganz ehrlich und gebe zu, dass ich Anfängerin bin und beileibe manchmal nur Bahnhof verstand. Nur ich war hier zum Lernen und zog mir jedes Wort wie eine Droge rein und versuchte mir alles zu merken. Besonders gefiel mir die Stelle, bei der wir alle Atemübungen machten und dabei mit unserer direkten Nachbarin üben durften. Zu meinem Bedauern bekam ich leider, dieses kleine rothaarige Mädchen zugeteilt und nicht Myriam, die eigentlich neben mir saß. Mit der Kleinen waren diese Übungen aber kein Spaß, denn was ich nicht wusste, war diese Dame irgendwie mißgelaunt. Zuerst war mir diese unscheinbare junge Dame nicht aufgefallen, aber als ich so direkt mit ihr zutun hatte, wurde mir dieses Verhalten sehr schnell bewusst. Sie weigerte sich die vorgegebenen Übungen mitzumachen, weil sie laut ihrer Aussage, bei ihr nichts bringen würden. Man sah richtig, wie sie innerlich kochte und ihr Gesicht langsam die gleiche Farbe annahm, wie ihr Kleid und ihre wilden Haare. ROT. Genauergesagt feuerrot. Mit tiefgesenktem Kopf stand sie neben mir, als die Diva wieder etwas erklärte und murmelte immer etwas vorsich her. Da ich kein Wort mehr verstand, gab ich ihr einen kleinen Renner und ermahnte sich ruhiger zu sein. Plötzlich drehte sie sich zu mir und ich sah ihren bösen Blick. Erschrocken wich ich zurück, doch wo sollte ich noch hin, wir waren schon in der letzten Reihe und hinter uns begann die Rückwand des Zimmers. Niemand der Herumstehenden bekam davon etwas mit, denn jeder blickte nur mit verklärten Blick nach vorne. Langsam versuchte ich dieser kleinen rothaarigen Kreatur zuentkommen, in dem ich mich durch die anderen mogelte. Nur irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieses Ding einen Narren an mir gefressen hatte und mich verfolgte. Hilfe konnte ich von meinen Kolleginnen nicht erwarten, denn die starrten wie in Trance zur Diva und bemerkten es nicht einmal als ich sie anrempelte oder versuchte sie wachzurütteln. Ich spürte richtig , wie sich dieses kleine rothaarige Mädchen mir immer mehr näherte und als ich kurz vor dem Ausgang war, stand sie nur zwei Meter hinter mir. Verzweifelt versuchte ich die Türe zu öffnen, mußte aber feststellen, dass sie verschlossen waren. Als ich so mit aller Kraft am Türknauf zog, hörte ich plötzlich ein tiefes Schnaufen und dieses Gemurmle, dass ich nicht verstand. Jetzt wurde es mir klar, dass sie mich erreicht hatte und ich drehte mich langsam um. Vorsichtig blickte ich nach unten und erwartete, was sie jetzt wohl machen würde. Da blickte ich in ihre dunklen Augen, die nichts Gutes verhießen und sah, daß sie in ihrer rechten Hand ein großes Messer hielt. Aus Angst schrie ich laut auf und bekam plötzlich einen dumpfen Schlag in den Rücken. Ich sah richtig, wie die Klinge in meinen Körper glitt, bevor es ganz schwarz um mich herum wurde und ich in Ohnmacht fiel.

Als ich wieder erwachte, war alles schwarz um mich herum. Ich musste bestimmt gestorben sein, denn als ich mich so umblickte, sah ich absolut nichts. Vonwegen , wenn man stirbt, kommt das weiße Licht und du bist im Himmel. Was heißt hier weißes Licht? Stockfinster, würde ich eher sagen. Und außerdem ist es hier saukalt. Wo ist jetzt diese wohltuende Wärme, die man mit Licht verbindet? Ich frier mir hier den Arsch ab, kann mich kaum rühren und irgendwie riechts hier ganz komisch. Ekelig. Langsam bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich nicht irgendwo nach dem Sterben falschabgebogen bin. He, ihr da oben, eure Schutzengel sind auch nicht mehr die Besten. Ihr solltet ihnen man eine Überholung gönnen, denn ihr inneres Navi, muß irgendwie versagt haben. Und vonwegen Fegefeuer, dass ich nicht lache. Mir wäre es ganz recht, wenn ich jetzt ein wenig Feuer hätte, denn meine Knochen fangen langsam an steif zu werden. Und riechen tuts immernoch. Oh Mann, bin ich das vielleicht? So langsam kommen mir die sonderbarsten Gedanken. Ab wann, verwest der menschliche Körper? Ich spürs zwar nicht, aber dafür rieche ich es. Das mitn Bewegen ist auch so eine Sache, denn wenn ich hier schon liegen muß, würde ich mich doch mal gern auf die Seite drehen. Aber irgendwie kommt mir das beklemmende Gefühl, dass ich in etwas sehr engem liegen muß, denn egal in welche Richtung ich mich bewege, komm ich nicht vom Fleck, sondern reiß mir nur Holzsplitter in die Haut. Komisch, früher war ich da nie so empfindlich. Kann es eigentlich sein, das man beim Sterben, sagen wir mal, wenn man es schonend sagen will, leicht senil wird? Mir kommt es nämlich so vor als würde ich immer Stimmen hören, obwohl ich echt niemand sehe. Ist ja auch klar, bei dieser Dunkelheit. Aber, wenn ich nicht langsam durchdrehe, stelle ich mir schon die Frage, wo diese Stimmen herkommen? Und vor allem, wer spricht da? Und wenn ich mir das so recht überlege, komme ich zu dem Schluß, dass laut den Wortfetzen, die ich so ab und zu mitbekomme, es bei den Gesprächen immer um mich geht. Und was mich sehr verwundert ist die Tatsache, dass jeder davon ausgeht, mir ginge es jetzt besser und ich wäre alle Sorgen los. So ein Käse, erwähnte ich bereits, dass ich mir hier den Arsch abfriere und ich mich nicht rühren kann. Ganz abgesehen von dem Gestank, der immer mehr wird und diesem unguten Gefühl, dass immer etwas über mich krabbelt, wenn ich mich gerade wieder strecken will. Was mich vor eine weitere Frage stellt, habe ich vielleicht einen Mitlieger oder ähnliches? Fragen über Fragen, die mir wieder wahrscheinlich niemand beantworten kann. Genau so wie diesen unbedeutenen Umstand meiner Anwesenheit an diesem echt kalten Ort und wer dieses kleine biestige Mädchen war, dass wohl oder übel für mein Ableben zuständig war. Aber jetzt Moment, ganz still, ich glaube, dass ich gerade wieder etwas gehört habe. Oh Mann , ich glaub, die da oben haben ihren Irrtum bemerkt und holen mich jetzt raus. Irgendwer gräbt da, ich hör eine Schaufel, und ..
Oh nein, dass darf doch nicht sein. Hallo, ihr da oben, ihr sollt mich ausgraben , nicht eingraben, ihr habt das mißverstanden. Ich glaube , ich sollte auf mich aufmerksam machen. Klopf , klopf. Das gibt’s doch nicht. Sind die schwerhörig? Die schütten immer mehr Erde auf mich drauf. Was war das? Oh , wie nett, jetzt bricht irgendetwas über mir. Toll, eigentlich sollte ich jetzt sauer sein, dass man bei mir, anscheinend nur das Billigste vom Billigen genommen hat, aber ich schätze, was ich da jetzt rieche sind Rosen. Auch noch meine Liebsten. Mhh. Die müssen sie mir mitgegeben haben. So nett.
Aber das ändert auch nichts an der Tatsache, dass ich jetzt langsam noch mehr Platzangst bekomme als vorher, denn irgendwie kommt mir alles entgegen. Freunde, ich weiß dass ich mich aufgrunde meines kaputten Körpers nicht mehr rühren kann, aber das ist noch lange kein Grund, mir hier alles zuzubauen. Füllt bitte woanders Löcher auf, nicht gerade bei mir.
Jetzt kracht es schon wieder, aber diesmal nicht oben, sondern unten. Ich hätte es mir ja fast denken können, dass man überall gespart hat, denn jetzt haben sie den Bogen überspannt. Ich weiß ja nicht, auf wenn ich da gerade gefallen bin, aber ich schätze mal, dass dies Oma oder Opa war, als sie noch unter uns waren. So genau, kann ich das nicht sagen, denn recht viel ist da nicht mehr da.
Und auch das noch. Noch mehr Erde, die sie herabwerfen. Oh Mann wartet nur bis wir uns wiedersehen, euch erzähl ich was. Im Übrigen wollte ich nur noch erwähnen, dass es immernoch saukalt ist und ich mir, so glaub ich wenigstens, weil so genau kann ich dass im Moment nicht sagen, inzwischen echt den Arsch abgefroren hab, weil irgendwie spüre ich den nicht mehr. Genauso wie die Hände, die Füße und ..
Aber eins funktioniert noch hervorragend. Meine Nase. Denn hier stinkts.


© Markus Gust aka Der Baron


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Beschreibung des Autors zu "Madame --"

Etwas für Leute, die nicht zum Lachen in den Keller gehen und das Sterben nicht ganz so todernst sehen. Viel Spaß damit
Der Baron

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