Projekt „Wunschtraum“

Steven hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Es war zwar körperlich nicht anstrengend, aber der Job in dieser Firma verlangte ihm alles ab. Die Software, die er mit seinem Kollegen Cole entwickelt hatte, war etwas völlig neues und verkaufte sich gut. Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, nachts im Schlaf einen Traum nach seinen Vorstellungen zu träumen? Genau das tat die Software. Man aktivierte einen kleinen Sensor an der linken Schläfe und verband sich drahtlos mit einer Elektronik, in deren Inneren die Software arbeitete. Man brauchte nur noch ein Szenario auszuwählen, dass man träumen wollte und legte sich dann schlafen. Der Sensor erkannte selbstständig die Tiefschlafphase und startete den Traum. Man konnte Sheriff einer Westernstadt, Astronaut oder ein feuriger Liebhaber sein. Das Ganze lief wie ein Film ab, in dem man selbst der Hauptdarsteller war. Doch in den letzten Monaten hatte er ohne Coles Wissen das System weiter entwickelt. Es sollte nicht nur wie ein Film ablaufen, nein, er wollte den Traum steuern können und plastischer machen. Und nun stand er kurz vor dem Ziel. Man würde ihn feiern und vielleicht sogar befördern. Während er die letzten Stufen zu seinem Appartement hochstieg, ging er in Gedanken noch einmal alles durch. Heute Nacht sollte es soweit sein. Er wollte als erster den Selbstversuch wagen, bevor er die Ergebnisse der Firma vorstellte. Zur seiner Sicherheit hatte er in der Software ein sogenanntes „Saveword“ integriert, das den Traum, falls etwas schieflaufen sollte, abbrechen würde.
Eigentlich war es damals seine Idee, die er kurz nach dem Studium hatte. Da ihm aber das nötige Kleingeld und das passende Equipment fehlte, entschied er sich schließlich, einen Geldgeber zu suchen, der seine Visionen finanzieren sollte. Doch bei vielen Firmen tat man seine Idee als Spinnerei ab. Er wollte schon aufgeben, als er eines Tages einen Anruf der Electronic Solutions Inc. erhielt. Er erinnerte sich sofort an den Mittvierziger mit dem dunklen Dreitagebart, der ihn mit einem Funken Hoffnung und den Worten „Sie hören wieder von uns“ wieder nach Hause schickte, nachdem er sein Portfolio kurz durchgeblättert hatte. Sein Puls erhöhte sich, als der Anrufer seinen Namen nannte. „Mr. Green, wir sollten uns noch einmal über Ihre Angelegenheit unterhalten. Wann würde es Ihnen denn passen?“ Er ließ sich nicht zweimal bitten. Man war sich nach einigen Gesprächen schließlich einig und er unterschrieb einen Vertrag, der ihm ein relativ unbeschwertes Leben ermöglichen sollte. Dann war da noch Cole Parker. Ein junger, aufstrebender Ingenieur, den man ihm zur Seite stellte, mit dessen Hilfe das Projekt „Wunschtraum“ realisiert werden sollte. Cole war sehr ehrgeizig und mitunter hatte Steven das Gefühl, dass Cole sich mit dem Projekt in den Vordergrund drängen und die Lorbeeren dafür ernten wollte. Immer häufiger gerieten die beiden aneinander. Aus dem anfänglichen Teamgeist wurde mehr und mehr ein Konkurrenzkampf.
Das war jetzt mehr als ein Jahr her. Er wollte es allen zeigen, seinem Chef und dieser Schmeißfliege Cole, die sich auf alles stürzte, was irgendwie nach Profit aussah um es dann als sein geistiges Eigentum zu präsentieren. Steven arbeitete oft bis spät in die Nacht, getrieben vom Erfolg, der so nah schien. Und diesmal würde ihm kein Cole dazwischenfunken.
Er öffnete die Türe, legte die Schlüssel gedankenverloren auf den kleinen Tisch im Flur, hängte seine Jacke an die Garderobe und ging ins Wohnzimmer. Ein bisschen nervös war er schon. Würde alles so laufen wie geplant? Ja, er war sich sicher. Als „Saveword“ hatte er „Sandy Washburn“ genommen, der Name seiner ersten Liebe während der Collegezeit. „OK“, sagte er zu sich selbst, „dann wollen wir mal“. Er löschte die Lichter und ging ins Schlafzimmer. Alles war vorbereitet. Die schwarze Box auf seinem Nachttisch verschluckte geräuschlos die CD, auf dem Display erschien ein Menü mit verschiedenen Traumszenarien, darunter zwei Felder: „Start“ und „Abbruch“. Den Sensor befestigte er sorgfältig an seiner linken Schläfe, wählte aus dem Menü: „Alltag in Chicago“ und betätigte den Start-Button. Dann schloss er die Augen.
„Nächster Halt: Montrose“ tönt es aus dem Lautsprecher der U-Bahn. Steven blickt aus dem Fenster. Sonnenstrahlen treffen seinen rechten Arm, während der Zug langsamer wird. „Es funktioniert“, denkt er. „Man spürt sogar die Sonnenwärme“. Mit einem Ruck bleibt die U-Bahn stehen. Türen öffnen und schließen sich wieder. Interessiert schaut sich Steven um. „Es ist alles so real, fantastisch!“, schießt es ihm durch den Kopf. Der Bahnsteig gleitet an ihm vorbei. „Nächster Halt: Irving Park“. „Eine gute Gelegenheit, ein paar Sachen auszuprobieren. Zeit, auszusteigen.“ Er steht auf, geht zur nächsten Tür und wartet, dass der Zug zum Stillstand kommt. Dann verlässt er ihn, bleibt kurz stehen und atmet tief ein. Verkehrslärm der nahen Avondale Avenue dringt an sein Ohr. Er könnte jetzt alles tun, was sein Herz begehrt. Schließlich ist es nur ein Traum, aus dem er wieder erwachen würde. „Mal sehen, was möglich ist“, sagt er sich und winkt einem Taxi. „Zum Independence Park“, weist er den Fahrer an. Am Zielort angekommen, bezahlt er die Tour und steigt aus. Langsam fängt die Sache an, ihm Spaß zu machen. Steven lenkt seine Schritte durch den Eingang der Parkanlage. Doch keine fünfzig Meter weiter hört er eine Stimme. „Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hast es dir anders überlegt.“ Bevor er erkennen kann, woher die Stimme kommt, steht plötzlich Cole vor ihm. „Cole, was machst du in meinem Traum?“ „Das ist nicht dein Traum, das ist meiner“, entgegnet er. „Ich habe die Software ein wenig – angepasst. Du hättest dein Saveword sorgfältiger wählen sollen, Steven.“ Lähmendes Entsetzen packt ihn, er ist unfähig zu reagieren. Cole fährt fort. „Ich wünsche dir eine angenehme Ewigkeit in Chicago. Ach übrigens, falls du Sandy sehen solltest, grüße sie von mir!“ Mit diesen Worten löst sich Cole vor seinen Augen auf. Sekundenlang starrt Steven auf die Stelle, an der Cole soeben noch gestanden hat. „Was habe ich getan?“ In diesem Moment ist ihm klar, dass er einen großen Fehler gemacht hat, vielleicht den größten seines Lebens. Schmerzlich wird ihm bewusst, dass er aus diesem Albtraum nicht mehr erwachen – ja, gefangen sein wird.


© N.Hartwig


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