Es war einmal ein edler Bauherr, der sich im besten Alter befand. Darum entschloss er sich, bald eine Wand zu finden, die stets treu an seiner Seite stand – am besten bis ans Ende seiner Tage. Doch die Auswahl war zu groß, als dass er sich unbedarft hätte entscheiden können. Aus diesem Grund beauftragte er einen Spezialisten, der sich einmal in der Gegend umhorchen sollte.
Es vergingen einige Wochen, bis sich die beiden wiedertrafen. Der Bauherr war sehr aufgeregt und fragte hoffnungsvoll: „Sag mir, mein Beauftragter, hat sich etwas finden lassen?“ Dieser antwortete: „Jawohl, mein Herr, ich habe viele verschiedene Typen von Wänden gefunden. Jedoch muss ich Ihnen mitteilen, dass viele Aufbauten nicht ihren Vorstellungen entsprechen dürften…“ „WIESO?“, krächzte der Bauherr ungeduldig, denn seine Vorgaben an den Spezialisten waren sehr vielseitig gewesen. Vorsichtig führte der Beauftragte seine Aussagen weiter: „Nun, eine Wand nur aus Holz, die würde doch dem Wind nicht statthalten.“ „Welcher Wind?“, bellte der Bauherr. „Ich beachte die Lage Ihres Palastes zu bedenken, werter Herr. Und dann die Sache mit dem Wolf, kennen Sie die Gerüchte?“ Der Bauherr schwieg. Er gab weder viel auf Gerüchte noch wollte er den Anschein erwecken, nicht informiert zu sein. Nach einer kurzen Stille führte der Beauftragte seinen Satz weiter: „Es gab da mal drei kleine Schweinchen, und eines baute sein Haus aus Stroh, ein anderes aus Holz und das dritte… “Jaja, ist mir bekannt“, unterbrach ihn der Bauherr erneut. „Also kommen nur gemauerte Wände in Frage?“ Der Beauftragte räusperte sich, nickte und sprach weiter: „Genau, Sie haben es erkannt. Zufälligerweise habe ich drei Typen gefunden, die für Sie bestens geeignet sind: Fräulein Wärmedämmverbund, Fräulein Zweischalig und Fräulein Kerngedämmt.“ Ein Lächeln ging durch des Bauherrn Gesicht. Er schlug vor, die drei werten Wandaufbauten einzuladen.
Wieder vergingen mehrere Wochen, bis der heiß ersehnte Tag endlich da war. Zusammen mit seinem Beauftragten nahm er an einem länglichen Tisch Platz. Schließlich kamen die drei Wände herein, und er inspizierte sie fröhlich. Alle von ihnen hatten etwas, das seinen Bedürfnissen entsprach. Doch der Bauherr wollte eine Wand, die sich gegen alle anderen durchsetzen und jeder Widrigkeit entgegenhalten konnte. Deswegen fragte er: „Warum soll ich mich ausgerechnet für eine von euch entscheiden? Nennt mir Argumente!“ Ein heftiger Streit entbrach, und Fräulein Zweischalig sagte: „Mit mir setzen Sie neue Akzente, denn so etwas wie mich gibt es in ihrer Gegend freilich nicht oft.“ Doch Fräulein Kerngedämmt gab zu bedenken, dass auch Sie einzigartig sei, und außerdem sei sie besser für die Umwelt. Schließlich kam Fräulein Wärmedämmverbund zu Wort, und rief laut: „Aber ich bin die Schlankste von uns allen! Was meinen Sie, werter Bauherr, was Sie auf lange Sicht gesehen mit mir sparen können, vor allem raumtechnisch!“ Fräulein Zweischalig lachte laut los: „Vielleicht sind Sie die Schlankste, Madame, aber ich wette, dass man bei Ihnen schon wieder in ein paar Jahren äußerlich etwas ausbessern muss!“ Es folgte ein giftiger Blick, bis sich Frau Kerngedämmt wieder zu Wort meldete: „Ich bin zwar in der Anschaffung sehr teuer, doch Sie müssen an die Umwelt denken. Sie als Bauherr haben die Verantwortung, nachhaltig zu bauen, deswegen…“ „Und dann diese Ungeziefer, die Sie befallen können!“, wetterte Frau Zweischalig, und fuhr fort: „Ich finde das sehr unhygienisch. Da bin ich doch steriler, auch wenn ich preislich nur Mittelklasse bin…“ „Pah! Da ist Fräulein Wärmedämmverbund ja wohl nicht viel besser“, wetterte Frau Kerngedämmt. „Wände aus der Familie sollen schließlich so gut wie immer von Pilzen, Algen und Flechten befallen sein – da ist doch selbst ein Nest für Insekten noch sympathischer…“ Der Bauherr hörte sich dieses Gezicke noch mehrere Stunden geduldig an. Doch keine konnte ihn zu hundert Prozent überzeugen, sodass sich sagen lässt:
Und wenn sie nicht verbaut worden sind, so grübelt der feine Herr Bauherr noch heute.


© Britta Niemann


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Beschreibung des Autors zu "Ein bautechnisches Märchen."

Ein im Rahmen eines fiktiven Bauprojektes irgendwo in Süddeutschland entstandenes Märchen, das ich für eine Projektmappe quasi als 'Fazit' der verschiedenen Wandaufbauten verfasst und treffenderweise mit "Das Letzte" betitelt hatte. Heh.

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