Gequälte Sprache

Ich stelle mir ein Kind vor, das von seinem neu entdeckten
Spielzeug fasziniert ist und nun alles Mögliche damit anstellen möchte.
Das Spielzeug ist die Sprache, die Schreibkunst, die Literatur.

„Wir Literaten“, so schrieb Robert Musil einst sinngemäß, „achten nicht, ob unsere Werke nachprüfbar exakte Beschreibungen aller Zustände und Vorgänge des Weltgeschehens widerspiegeln. Keiner hat sich je der Mühe unterzogen, wie bei den exakten Wissenschaften vorzugehen. Stattdessen haben wir uns hinter jahrtausendealten Worten und Wahrheiten[...] verschanzt, was uns Spott eintrug und schlimmer: Müdes Abwinken wegen Unbeweisbarkeit“.

Einzig Franz Kafka (inzwischen sind es mehr) habe, so Musil, „die gegenwärtige Welt beschrieben und aus dieser Welt der Anonymität, in der die Werte sich verlieren, Literatur werden lassen“. („In der Strafkolonie“).
In Hugo von Hofmannsthals „Ballade vom Äußeren Leben“ heißt es:
„...Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen/ Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben/Und alle Menschen gehen ihre Wege...“

Ist solche Vereinzelung des „Besingens“ noch wert? Hat die durch alle Höllen und Himmel von Jahrhunderten gepeitschte Sprache noch die Kraft für etwas wie Schönheit? In welche Nische kann sie noch flüchten, woraus ihr nicht schon die Wortungetüme der Jurisprudenz, der Bürokratie, der Religionen mit ihren metallischen Dogmen entgegengrinsen?
Wohin sich also retten - um einfach nur zu: Dichten?
Ohne die Sorge, am Geschriebenen dingfest gemacht zu werden?

Hugo von Hofmannsthal in „Ein Brief“ schreibt:
„Mein Freund, [...] mein Fall ist in Kürze dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen [...]“. –
Es blieb nicht aus, dass sich eine, durch sogenannte gerechte Kriege, ihrer Unschuld beraubten Welt, dem Beschreiben immer stärker entzog. So bedurfte es einer Art verbaler „Verpackung“, um dem wachsenden Elend, dem Zynismus der jeweils geltenden Moral, mit Worten gerecht zu werden.

In welch klingender Eintracht zogen einst Vokale und Konsonanten durch Bücher und Gemüter, um heute Monstren wie

GENOZID, ZWANGSVERHEIRATUNG, KINDERSOLDATEN oder WALABSCHLACHTEN dienen zu müssen.


© Hans Finke


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Kommentare zu "Gequälte Sprache"

Re: Gequälte Sprache

Autor: axel c. englert   Datum: 04.11.2014 22:05 Uhr

Kommentar: Lieber Hans!

Sprache leidet schwer, gequält –
Doch Du hast sie gut gewählt!

LG Axel

Re: Gequälte Sprache

Autor: Hans Finke   Datum: 16.11.2014 0:15 Uhr

Kommentar: Danke euch und dir Alex für Lesen und dein feedback. LG Hans

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