Überraschender Weise gelten die Gedanken nach einem Spieltag nicht dem Ergebnis. Sechs Stunden haben den Geist erschöpft, dass er vielleicht noch eine gewisse Freude zu empfinden vermag, viel mehr jedoch die allumfassende Leere, die sich zuallererst durch den Körper ausbreitete und, je näher das Ende des Tages rückt, den Kopf ergreift.
Die Spieler sitzen auf den Plätzen ihrer Bahn und knüpfen sich die Bowlingschuhe auf. Die meisten schweigen dabei, konzentrieren sich allein auf die Schnürsenkel, als ob das Öffnen für sie einen schwierigen Akt darstellen würde. Und tatsächlich ist es auch so. Mit jedem Handgriff rückt der Abschluss des Tages näher und noch wirkt der Zauber der Gemeinschaft. Ein kurzes Wenden des Kopfes genügt, die schweigenden Gefährten wieder zu erblicken. Und für einen kurzen Augenblick kommt die Erinnerung an das vergangene Spiel und des gemeinsamen Kampfes. Dieser Moment trägt einen Hauch der Zärtlichkeit in sich.
Dann kommt die Müdigkeit. Der Körper sehnt sich nach der sonntäglichen Ruhe und kleine Blessuren, die sich während des Spieles eingestellt hatten, finden nun ihre Beachtung. Die Augen sind gealtert. Ihr Glanz des Morgens ist erloschen und sie lassen all die Phantasie und Entschlossenheit vermissen, mit denen das Spiel überhaupt erst möglich wurde. Der Kopf aber verspürt Befriedigung. Den Stolz, etwas getan zu haben, was nun einen Abschluss gefunden hatte. Selten sind diese Augenblicke im einem Leben, das aus einer Aneinanderreihung von Ereignissen besteht und Anfang und Ende bis zum Tode nicht so genau zu definieren sind.
Nachdem die Spieler letztendlich doch erfolgreich die Schuhe ausgezogen haben, räumen sie ihre Bowlingkoffer ein. Manche von ihnen tun es rituell mit einer Pedanterie, die sie während des gesamten Spieles bereits gezeigt hatten. Andere stopfen die Sachen zusammen und beeilen sich, die Bahn zu verlassen. Wenige geben einander noch einmal kurz die Hand, murmeln ein „Gutes Spiel“ und schleppen ihre Sachen hinüber zum Mannschaftstisch.
Nun beginnt das Warten. Noch ist das offizielle Ergebnis nicht bekannt und ganz besonders die Tabelle erweckt in dem Einzelnen Neugier. Es wird wenig an den Tischen gesprochen. Nichts gibt es zu sagen, was den Spielern nicht schon bewusst wäre und die Bereitschaft zu Diskussionen ist an diesem Nachmittag nicht mehr vorhanden. Sorgfältig werden die einzelnen Worte abgewogen und Themen, die sich als schwierig erweisen könnten, auf den nächsten Trainingstag verschoben.
Der Kapitän zieht ein Fazit. Er muss es tun. Die Spieler erwarten es von ihm. Doch auch er bemüht sich, die Mannschaft mit seinen Aussagen nicht zu überfordern. Bestünde die Welt nur aus Momenten nach den Spielen so gäbe es keine Kriege.
Manchmal sagt ein Spieler auch seine Meinung zu dem Tag. Es sind nur Monologfragmente, während die Gefährten schweigen. Die Mannschaft versteht einander und respektiert die Leistung jedes einzelnen. Sie hat die Spiele gemeinsam durchkämpft.
Dann werden die Spielzettel verteilt. Jetzt, erst jetzt, kommt das Ergebnis zur Sprache und die Auswertungen sowie die Tabelle werden gemustert. Mit diesem Maßstab des Wettkampfes kommen die menschlichen Gefühle der Zufriedenheit und des Missmutes zurück. Doch sind sie es nicht wert, ausdiskutiert zu werden. Im Leben eines Spielers wechseln sich die Gefühle ab. Es gibt keinen Sieger, der das Verlieren nicht gelernt hat.
Schließlich, wenn mit den Ergebnissen der Tag abgeschlossen wurde, bricht die Mannschaft auf. Die Spieler setzen sich in ihre Wagen und fahren nach Hause.
Dies ist der einsamste Moment des Tages. Die Spieler verlassen die Gemeinschaft, der sie den ganzen Tag über angehörten. Die phantastische Welt von Stolz und Ehre, Kameradschaft, Leiden und Triumphes verliert mit jedem Kilometer an Intensität, bis ihre Bedeutung den Nullpunkt erreicht, dass aus dem Mannschaftsspieler wieder ein ganz privater, persönlicher Mensch geworden ist, der morgen seinem normalen Beruf nachgehen wird – bis zum nächsten Spieltag.


© Mark Gosdek


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Beschreibung des Autors zu "Nach dem Team"

Dieser Text besteht aus drei Teilen. Vor dem Team, Beim Team und nach dem Team. Fast dreißig Jahre habe ich im Bowlingverein in Ligawettkämpfen gespielt. Die drei Texte zusammengenommen beschreiben die Empfindungen eines typischen Sonntagspieltages.

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Kommentare zu "Nach dem Team"

Re: Nach dem Team

Autor: noé   Datum: 17.04.2014 1:39 Uhr

Kommentar: Ja! Ein solches Erleben ist mir vertraut. Wenn ich für unsere Autorengruppe Lesungen organisiert hatte an öffentlichen und z. T. illustren Orten, evtl. sogar auswärtige Gruppen eingeladen und beteiligt waren, dann war da auch die anschließende befriedigende Leere, dieses zögerliche sich Trennen, dieser fast Wunsch nach weiterer Gemeinsamkeit, der einige immer noch sich anschließend in einer Kneipe treffen ließ, dieses innerliche "Gut gemacht". In Deiner sehr gelungenen Beschreibung vermisse ich einen kleinen Punkt: Die Rückkehr nach Hause. Das ist ja kein Tag wie jeder andere und Daheimgebliebene werden doch sicher fragen, auffangen, da sein. Oder nicht?
Und ein kleines Fehlerchen haben meine analytischen Augen auch entdeckt: "...und Triumphes ..."
Insgesamt ist diese Trilogie ein sehr umfassender Einblick, der sicher viel Verständnis für diesen Sport und für gemeinschaftliches Erleben vermittelt.
Hat mir gut gefallen, Mark!
noé

Re: Nach dem Team

Autor: Mark Gosdek   Datum: 17.04.2014 6:27 Uhr

Kommentar: Hallo Noé, schön, dass es Dir gefallen hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass alle Veranstaltungen, die ein intensives Miteinander durchgemacht haben, dieses Gefühl kennen. Es ist (wie du sagst) eine (hoffentlich) befriedigende Leere. Ein stilles Glück, welches man im unendlichen Verständnis miteinander teilt.
Als ich gestern den Text hochgeladen habe, bin ich auf den gleichen Gedanken gekommen, den Du anmerkst. Im Grunde trägt der Text den falschen Titel. Es ist kein "nach dem Team", es ist ja noch ein Zusammen und es fehlt die Rückkehr nach Hause. Ich werde dementsprechend den Text noch umarbeiten. Dies ist letztendlich ein wichtiger Punkt. Danke für Deinen Hinweis und dem Fehlerchen. Mark

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