Die letzte von 24 Fahrstunden lag hinter mir. Nicht gerade brillant, doch tolerabel. Einige Male räusperte sich mein im Übrigen recht gelassen bleibender Lehrer verhalten, schwieg jedoch.
„Dann sehen wir uns also morgen um 11 Uhr. Einen Rat noch“, meinte er beruhigend, „schlafen Sie sich aus und denken Sie zunächst überhaupt nicht an die Prüfung und trinken Sie ein Glas Milch vorm Zubettgehen. Wird schon schiefgehen.“
Damit entließ er mich. Mit gemischten Gefühlen sah ich dem roten Wagen nach, bis er im Verkehrsgewühl verschwand...

Ich glaubte mich von einer gnädigen Macht geführt, gleichsam schwebend. Nach einer brillanten Fahrt, die ich nahezu spielerisch meisterte und in angenehmer Unterhaltung mit dem liebenswürdigsten Prüfer der Region, schwand die Zeit dahin. Im dichtesten Verkehr steuerte ich das Fahrzeug sicher wie ein alter Taxler, Linksabbiegen, Spurwechsel von der rechten in die vierte, linke – ein Kinderspiel, Kreisverkehre meisterte ich souverän, keiner hupte, man winkte mir gelegentlich sogar freundlich zu.
Wie groß wurde aber mein Erstaunen, als wir zwecks Aushändigung des begehrten Plastikkärtchens den Schulungsraum betraten, in welchem sich nun ein festliches Buffet dehnte. Kerzen erfüllten den Raum mit festlichem Licht und ließen den Wein in den Kelchen rubingleich funkeln. Der graumelierte, äußerst liebenswürdige Herr vom Amt beglückwünschte mich zu meiner hervorragend bestandenen Prüfung und reichte mir mit leichter Verbeugung die taufrische Fahrerlaubnis. Fahrlehrer, Prüfer, alle über Monate mit mir büffelnden Fahrschüler, sogar mein Mann und meine stolz lächelnde Schwiegermutter, sicher keine Zierde auf meiner Favoritenliste, empfingen mich mit Applaus. Es war einfach wunderbar. Aber der Glückstag sollte noch nicht enden. Seine Krönung, ein Ballettabend, schloss sich an: Man gab Schwanensee.

Wir belegten die sündteuren Logen, die ich immer nur mit neidvollen Blicken streifte, wenn ich hin und wieder meinen billigen Platz auf der Galerie einnahm. Tschaikowskys Zauberklänge schienen durch jede einzelne Pore in meinen Körper zu drängen, mir war mit einem Male, als flöge ich, jeglicher Schwerkraft enthoben, über die ergriffen lauschenden Zuschauer hinab auf die Bühne, wohin mich die Schwingen der grazilen Schwäne zu locken schienen. Ich schwebte direkt auf die Gestalt des traumhaft schönen Prinzen Siegfried zu, die sich, je näher ich kam, in strahlendes Weiß aufzulösen schien und sich zuletzt in einen weißen Baum verwandelte. Im Landeanflug schlug mein Arm dagegen, was mit einem dumpfen Laut und bösen Piepstönen quittiert wurde…

Beim Versuch, den Wecker zum Schweigen zu bringen, hatte ich mich, mangels noch ruhender Motorik, heftig an der Nachttischkante gestoßen…


© Hans Finke


6 Lesern gefällt dieser Text.







Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Die Fahrprüfung"

Re: Die Fahrprüfung

Autor: noé   Datum: 16.01.2014 23:28 Uhr

Kommentar: Na, durch einen solchen Traum beflügelt hat Deine Probantin die Prüfung wohl bestanden - oder sollte das harte Erwachen nur eine Vorausschau auf Kommendes fewesen sein?
noé

Re: Die Fahrprüfung

Autor: Hans Finke   Datum: 17.01.2014 15:17 Uhr

Kommentar: ...sie bestand die Prüfung, wie ich hörte; den Traum hatte sie mir wirklich so erzählt. Wobei ich nicht sicher bin, ob sie ihn wenig "ausgemalt" hat, dabei. LG Hans

Re: Die Fahrprüfung

Autor: Doris Demski   Datum: 29.01.2014 10:14 Uhr

Kommentar: Wer nachts so schön "wunschträumen" kann, den bewundere ich.
Wenn ich bedenke, was für völlig verrückte und diffuse Dinge ich mir manchmal so zusammenträume ;0)
LG D.D.
(deine neue Internetfreundin, die das Wort "hunderte" mit zwei T schreibt.)

Kommentar schreiben zu "Die Fahrprüfung"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.