Verbaler Straßenstrich

„ALDER!!!“
Der Schrei alarmiert. Was ist passiert…? Irgendwas Schlimmes muss es sein, denn der Schrei wiederholt sich, löst sich aus einer Geräuschwolke von Transistorrattern, blechernem Klang, röhrendem Lärm.
Ort der Handlung: eine Busbude.
Es ist Sommertag, nachmittags.
Ein dösender Platz. Niemand ist zu sehen. Nur die Protagonisten: ein ca. dreizehn Jahre alter Knabe, dessen Arme wie die Flügel eines krähenden Hahnes auf- und abwärts schlagen, wenn er staccatisch dazu brüllt: „ALDER…eh, Alder!“
Ein zweiter, wohl Gleichaltriger mit grellfarbener Kappe, sitzend. Er hält sich zurück. Er schweigt. Etwas zu sagen wäre auch sinnlos. Denn sein Gegenüber röhrt wie ein Hirsch in der Brunft, übertönt ihn und den ganzen Platz:
„Die SCHLAMPE… eh´ ALDER. Die alde Schlampe!“

Wer´s hört, zuckt unwillkürlich zusammen.
„ALDER“ ist also gar kein Name, sondern eine Person, die stoisch wie eine Klagemauer jedes „ALDER!“ erträgt. Aber: Wo ist sie? Und wen meint er, der krakeelende Gröhler?
Weit und breit ist niemand zu sehen. Keine Schlampe, geschweige denn ein weibliches Wesen erheblichen Alters.-
Es ist Sonntagnachmittag. Biedere Familien sitzen jetzt friedlich am Kaffeetisch.
Arme fuchtelnd aber verkündet der Schreihals:
„Eh, ALDER… was die SCHEISSE labert, ALDER!“ und:
„So ´ne SCHEISSE, eh ALDER! ... ALDER!!...eh!“ und:
„Die VERFUCKTE ALDE kann labern, wat die will, eh, ALDER…“
und noch: „Ick glaub der kein Wort…ALDER!

Was nur ist sein Problem? Mit der Phonstärke eines Blockbusters schallt es über den Platz:
„… eh… ALDER…so ´ne SCHEISSE! ... SCHEISSE!!... Soll die doch nich so´n SCHEISS labern, ALDER! … Wie komm ich jetzt da hin, ALDER… eh!“

Aha, darum geht es: Die Fahrgelegenheit hat ihn versetzt…
So etwas lässt, klar, alle Alarmleuchten an- und alle Sicherungen durchgehen!
Der andere Knabe, ganz Kumpel, legt dem ersten wie tröstend seinen Arm um die Schulter, zieht sein Handy aus der Tasche, schlurft dann- ein „Alder“ eben- über den Platz, um zu telefonieren …
Wen ruft er an? Die Freundin?- Seine Mutter?- Ein Taxi?-
Oder vielleicht doch einen Therapeuten?-
Aber die Sache scheint sich auch ohne diese bzw. dem zu beruhigen.
Zwei Stunden später sind beide Kumpels ohrenkundig wieder zur Stelle, und zwar mit einem Mädel, das mit einem Fahrrad vor ihnen steht. Sie reden miteinander…
Na bitte: geht doch!
– Aber dann, unvermittelt, gellt diese Botschaft ins Abendidyll:
„HALT die FRESSE, du SCHEISS- FOTZE!!“
-???-

O göttlicher Goethe! Deutsch und deutlich ist deine Sprache…


© anne maren/bärbel hohmann


2 Lesern gefällt dieser Text.






Kommentare zu "verbaler straßenstrich"

Re: verbaler straßenstrich

Autor: Juergen Wagner   Datum: 29.06.2015 10:43 Uhr

Kommentar: Ey Mädel, nun mach doch mal nicht so nen Aufstand. Haben doch nur abgekotzt Ischwör, Alta, war so. Lassma.

Die verbale Verrohung ist oft nicht weit von der physischen Gewalt weg. Ich habe das auch nie ertragen, auch wenn es aus dem Abstand mit Humor genommen werden kann. LG! Jürgen

Re: verbaler straßenstrich

Autor:   Datum: 29.06.2015 20:17 Uhr

Kommentar: Überall gedeiht das Versagen einer komplett falschen Erziehung, in der die Autorität
nicht mehr bei den Wissenden liegen darf...

Die FuckYouGoethe-Generation, nach dem sehr beliebten Film.
Wenn ich allerdings ins Land des Regisseurs gehen würde, einen gleichnamigen
Film auf Kosten seiner nicht Kultur zu inszenieren, würde das nicht wie hier
in absoluter Gleichgültigkeit ausarten.
Deswegen haben wir auch zurecht solche Filme verdient...

Sie spiegeln eben die Zukunft dieses Landes wieder.

LG! Waldeck

Kommentar schreiben zu "verbaler straßenstrich"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.