Jana versuchte sich zu bewegen. Sie wollte nicht wie ein ängstliches verschrecktes Reh dort herumstehen. Ihre Augen suchten Ausflüchte, doch es war vergeblich. Den Kampf gegen seine Gefühle konnte man scheinbar nicht gewinnen.
„Sieh mich an. Jana, wir stehen seit einer halben Stunde hier im Dunklen auf diesem verdammten Steg und bekommen kaum einen vernünftigen Satz heraus. Wozu? Wozu dieses Spiel? Ich bin es langsam leid, mich weiter zu verstecken. Zu verleugnen, wenn man es so will. Es bringt doch nichts. Sollen Andere, fremde Menschen, uns von etwas abhalten, was nur uns betrifft?“
Wie gerne würde sie ihre Angst verdrängen, die Ideale der breiten Masse ausblenden. Auf ihn zugehen, ihn küssen und nie wieder loslassen. Aber sie konnte nicht. Sie hatte zu große Angst vor den Reaktionen.
„Sieh mir in die Augen und sag mir, dass du nichts für mich empfindest. Dann gehe ich auf der Stelle und werde meine Gefühle in den Griff bekommen. Du hast mein Wort.“
Es durchzuckte sie unwillkürlich, als er zu Ende gesprochen hatte. Doch ihrem Drang die Hand auszustrecken, um ihn festzuhalten konnte sie gerade noch widerstehen.
„Mir ist bewusst, dass ich der vernünftigere von uns sein sollte. Ja, ich spiele jetzt die unliebsame Karte des Alters, aber es ist aktuell so. Zumindest wird es viele da draußen geben, die es so sehen. Das ich gehen soll. Mir eine Frau in meinem Alter suchen sollte. Es sind nur neun Jahre, verflucht nochmal!“
Täuschte sie sich, oder sackte seine Stimme beim letzten Satz ab und wurde dünn?
„Sag es. Bitte. Sag mir, dass ich gehen soll, weil freiwillig tue ich es nicht, Jana.“
Es waren drei Schritte. Maximal drei Schritte trennten sie voneinander. Und sie stand hier immer noch wie angewurzelt auf diesem Steg am See, unter einem wolkenlosen Himmel. Eine leichte Briese jagte ihr einen kurzen Schauer über den Rücken. Dann sah sie wieder zu ihm, dankbar, dass er sie durch die nächtliche Dunkelheit nicht richtig sehen konnte. Schon gar nicht ihren Gesichtsausdruck. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie wie von selbst einen Fuß vorsetzte. Zwei Schritte noch.
Jana schloss die Augen, hörte, wie er auf sie zukam und spürte Sekunden später, wie er sie auffing. Ohne ein Wort umfasste sie sein Gesicht und begann ihn zu küssen. Er umschlang ihre Mitte, legte eine Hand an ihre Wange. Sie wollte die Zeit anhalten, wollte diesen Moment einfrieren, in dem sie endlich freiließ, was sie für ihn empfand.
„Sag mir bitte, dass ich nicht nur träume…“
Jetzt hatte sie die Antwort – es waren Tränen in seiner Stimme gewesen.
„Si… Du träumst nicht. Ich versuche es selbst gerade zu realisieren.“
Adrian lehnte seinen Kopf gegen ihren und sah ihr direkt in die Augen. „Ich habe weiß Gott nicht mehr dran geglaubt, dass das hier irgendwann passiert. Auch wenn ich deinen Blick vorhin gespürt habe.“ Er küsste sie auf die Stirn. „Ti amo. Und ich werde das nicht länger verheimlichen, hörst du?“
Sie strich ihm sanft durch die Haare. „Ich auch nicht. Es tut mir leid, dass ich mich so lange gewehrt habe, auch wenn es ja von Anfang an aussichtslos war. Ich hatte Angst.“
„Ich verstehe dich doch. Ich habe in dieser Verbindung die Bürde zu tragen, dass ich der Ältere bin. Und das deutlich. Glaub mir, ich hatte auch Angst, für eine kurze Zeit. Aber das hätte nichts an meinen Gefühlen für dich geändert. Und diese Situation gerade, genau das hier, war jeden Tag der letzten Wochen wert, den ich auf dich gewartet habe.“
Die Tränen liefen. Sie versiegelte seine Lippen, spürte, dass er sie stärker an sich zog und seine Finger sich an ihrem Rücken spannten.
„Als du vorhin gesagt hast, dass du es leid bist dich zu verstecken, habe ich gedacht, dass du von selbst gehst. Und das ich dich verliere…“
„No, auf keinen Fall. Es war der Moment, wo ich einfach nicht wusste wohin mit mir. Ich habe gespürt, dass sich etwas bei dir geändert hatte. Zumindest habe ich das geglaubt, nur hast du dich dann wieder gesperrt. Es war ziemliche Ratlosigkeit. Eine gewisse Machtlosigkeit.“
Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, nahm seinen Geruch wahr und schloss die Augen. Sie spürte, wie er erneut seine Stirn leicht gegen ihren Kopf lehnte. Seine Arme hielten sie weiter. So standen sie dort auf dem Steg in vollkommener Stille.


© MajaBerg


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Beschreibung des Autors zu "Anerkannt"

Gewidmet meiner großen Liebe.

Ti amo

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