Unerwartet

Einmal hatten sie sich getroffen. Sich einmal gesehen und sich einmal umarmt. Einmal ihre Stimmen in real gehört. Und jetzt waren sie an diesem einen Punkt. So schnell und auf eine Art absehbar, dass Fiona noch vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt hätte, dass es in einem solchen Fall nur um eine schnelle Nummer ging.
Aber das hier?
Samuel stieß unter der Decke aus Versehen mit seinen Zehen gegen ihre und schaute sie mit großen Augen an. “Ich kann mich wirklich nicht dran erinnern, dass ich Eiswürfel in mein Bett gelegt habe.” Kurzerhand klemmte er sich ihre Füße zwischen seine deutlich wärmeren Beine. Diese Nähe löste zum zweiten Mal dieses unglaubliche und zeitglich undefinierbare Gefühl in ihr aus. Erneut kämpfte sie mit ihren Tränen, doch diesmal ohne Erfolg.
Er stützte sich auf den Unterarm, als er das bemerkte, ließ ihre Füße los und wischte die Tränen mit dem Daumen weg. Dabei sah er sie besorgt an. “Was ist los? Hab ich was falsch gemacht?” Er hielt inne und wurde nochmal ernster in Gesichtsausdruck und Ton. “Ging es dir doch zu schnell? Ich meine, ich könnte es verstehen, immerhin ist das heute erst das zweite Mal, dass wir uns...”
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, schlang ihre Arme um seinen Nacken und begann ihn zu küssen. Er ging darauf ein, wenn auch im ersten Moment sehr überrascht, wie sein deutliches Luftschnappen vermuten ließ. Als sie sich kurz darauf von ihm löste, um herauszufinden, ob er sie nochmal fragen würde, schaute er sie nur schweigend an. Sie sah, dass er dieses sonderbare zwischen ihnen auch spürte. So waren sie beide ratlos. Immerhin.
Samuel stützte sich zu beiden Seiten von ihr ab und legte dann vorsichtig seine Hände an ihre Fesseln. Langsam kniete er sich zwischen ihre Beine. Sie ließ es geschehen, während sie einander nicht aus den Augen ließen.
“Gibst du mir deine Hände?”
Sie nickte und streckte ihm die Arme entgegen, ohne zu wissen, was er vorhatte. Das Vertrauen war tief. Wie auch immer das so schnell hatte passieren können.
Er umfasste ihre Handgelenke und zog ihren Oberkörper so hoch. Als sie auf gleicher Höhe waren, ließ er einen Arm los, legte eine Hand an ihren Rücken und dirigierte sie so auf seine Knie, mit dem Gesicht zu sich. Minutenlang, so schien es, sahen sie sich einfach nur in die Augen, während er sie stützte und mit der linken mittlerweile ihre Hand hielt. Und da war es wieder, stärker als zuvor. Dieses Gefühl. Diesmal übermannte es sie beide. Völlig unvorbereitet. Genau so überraschend bebten plötzlich seine Schultern und die Tränen liefen. Doch anstatt zu fragen, was los war, wischte sie nur ebenfalls seine Tränen weg und fing an ihn wieder zu küssen. Bestimmter. Er umschlang ihre Mitte und spürte ihr Herz an seiner Brust pulsieren.
Sie wollte die Zeit anhalten, verhindern, dass dieser Moment vorbei ging. Ihre Hände wanderten über seinen Oberkörper, strichen am Saum seines T-Shirts entlang, ohne dass sie voneinander abließen. Geschweige denn in der Lage dazu waren.
“Tu` es einfach”, flüsterte er gegen ihre Lippen und legte eine Hand auf ihre.
Sie wollte ihn fragen, ob er sich wirklich sicher war und doch wollte sie diesen Moment nicht mit Worten zerstören. Blind verließ sie sich auf seine Hand, die ihren Platz immer noch nicht verlassen hatte, und zog sein T-Shirt hoch. Ohne weitere Scheu zog sie ihm den Stoff über den Kopf und malte seine Rippenbögen nach. Er schloss die Augen und schien jede der Berührungen zu genießen. Er entspannte sich spürbar und legte beide Hände an ihre Wangen. Es schien, als wollte er etwas sagen, aber es kam kein Wort. Stattdessen strich sein Daumen sanft über ihre Unterlippe, welcher Sekunden später wieder von seinen Lippen abgelöst wurde.
Sie konnte nicht mehr anders, führte seine Hand unter ihr Top und bat ihn mit einem einzigen Blick, sich zu revanchieren. Er verstand, ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Als das Top neben das Bett fiel, ließ er seinen Blick über ihren Oberkörper wandern, ehe er sie berührte. Geradezu so, als sei sie zerbrechlich. Irgendwann sahen sie sich dem komplett entblößten Körper des anderen gegenüber und Fiona stockte.
“Du musst keine Angst haben mich zu berühren. Du hast es gerade doch schon einmal getan.” Seine Stimme war völlig ruhig. “Vertraust du mir?”
Sie nickte ohne zu zögern.
Er kam einen Schritt auf sie zu, nahm sie auf seine Arme und legte sie vorsichtig auf die Matratze, bevor er sich erneut über sie beugte und sich mit flachen Händen auf Höhe ihres Kopfes abstützte. Es musste nichts mehr gesagt werden, ihre Blicke, die einander festhielten, sagten genug. Als Samuel die Stützkraft seiner Arme verringerte und sich das erste Mal ihre Körper berührten, durchlief beide ein merkliches Beben.
Zwei Wochen. Gerade mal vierzehn Tage waren es, die sie sich jetzt kannten.
Es war das Einzige, was ihre Gedanken noch von sich geben konnten, bevor sie die hauchzarte Berührung seine Lippen auf ihrem Bauch spürte und den Verstand zu verlieren drohte. Sie schloss die Augen und vergaß alles um sich herum.
“Wo warst du?” Er beugte sich wieder über sie und schaute ihr in die Augen. “Wo bist du gewesen?”
Die Frage plättete sie so dermaßen, dass sie im ersten Augenblick keinen Ton sagen konnte. Es steckte so viel Emotion in seinen Worten...
“Ich bin die ganze Zeit dagewesen, nur nicht bei dir.” Sie hätte in seinen braunen Augen versinken können, so zogen sie sie in ihren Bann.
“Ich weiß”, er musste sich räuspern, “und genau das ist ja der Fehler. Du warst viel zu lange nicht bei mir.”
“Wie kannst du dir nach gerade mal zwei Treffen sicher sein, dass es so ein Fehler gewesen ist?”
Er erhob sich vorsichtig und legte sich an ihre Seite, nahm sie in den Arm, jedoch so, dass sie sich weiter ansehen konnten. “Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?”
Etwas schlug über ihr zusammen, ebenso wenig zu greifen, wie ihr Gefühl in seiner Gegenwart. Seitdem sie das erste Foto von ihm bekommen hatte. Sie strich ihm ein paar seiner schulterlangen Haare zurück, die ihm ins Gesicht gerutscht waren, dann schaute sie ihn weiter an. Keiner sagte etwas. Aber die Stille war keineswegs unangenehm. Es schien, als versuchten beide endlich eine Antwort auf das zu finden, was sie seit zwei Wochen umtrieb. Sie im Griff hatte.
Sie atmete tief durch. “Ja, tue ich. Und du hast gerade wahrscheinlich eine bessere Erklärung für dieses emotionale Wirrwarr in mir gefunden, als ich. Ich habe dafür bis jetzt nämlich keine Bezeichnung. Das da in mir ist irgendwie zu mächtig.” Gegen Ende war ihre Stimme immer leiser geworden, denn erneut fingen seine Augen an zu glänzen.
Sie verschränkte seine Finger mit ihren und versuchte selbst die Fassung zu wahren, während sie anfing ihn zu küssen und das Salz auf ihren Lippen schmeckte. Ihre Hände vergruben sich in seinen Haaren, bevor sie ihm über den Rücken strich und ihm ein leises Seufzen entlockte. Luka umschlang ihre Mitte und wanderte ihren ganzen Körper mit den Fingerspitzen hinunter und wieder rauf. So langsam, als würde er sich jeden Millimeter genau einprägen wollen.
Ihr Körper überlief ein Schauer, seine Berührungen durchfluteten jede einzelne Zelle. So etwas hatte sie noch nie gespürt. Sie spürte seinen Herzschlag, der ebenso schnell war, wie ihr eigener und als sie ihn ansah, war da diese Sehnsucht in seinem Blick. Diese konnte sie nur allzu gut nachempfinden. Sie wollte in diesem Moment nichts anderes, außer ihm nah zu sein. Alles andere verlor an Bedeutung. Und die Gewissheit, dass es ihm genau so erging wie ihr, war beinahe zu greifen.
Sie rückte so nah an ihn heran wie es ihr eben möglich war und winkelte ihre Arme auf seiner Brust an. Er hielt sie mit beiden Armen fest. So lagen sie eine geschlagene Stunde, bevor Fiona ihre Stimme wiederzufinden schien.
“Ich weiß nicht, was das zwischen uns ist. Aber wenn ich meinen ersten Gedanken aussprechen würde...”
“Ja?”
“Dann würde ich sagen, dass ich mich ziemlich stark verliebt habe, Sam.”
“Ist”, er räusperte sich erneut, “ist das wirklich dein Ernst?”
“Ja, ich glaube das beschreibt sehr treffend, was ich empfinde. Auch wenn es dem Gefühl immer noch nicht zu hundert Prozent gerecht wird.”
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte er sich auf den Rücken und hielt ihre Hände dabei weiter an seiner Brust fest, so dass sie sich mit ihm drehte. Am Ende lag sie über seinem leicht trainierten Körper und spürte seinen Puls stärker denn je. Er folgte mit den Fingern ihrer Wirbelsäule, beobachtete, wie sie die Augen schloss. Sie beide ließen vollkommen los.


© MajaBerg


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