Auf dem Weg von der Bushaltestelle am Picassomuseum nach Hause (eigentlich hätte Zorn auch bis zum Hauptbahnhof durchfahren können, aber er brauchte ein wenig frische Luft), kaufte er sich unterwegs am Kiosk erst einmal ein Dosenbier und eine neue Schachtel Red Devil’s.

“Ist das nicht noch ein bisschen früh für Bier?”, wollte der Kioskverkäufer mit Blick auf die Uhr wissen, als Zorn sich das Bier schon direkt im Laden öffnete.

“Nix früh! Ist schon gleich 12 Uhr!”

“Musst du ja alles selbst wissen, mein junger Freund.”

“Eben.”

Zorn legte 6,20 Euro auf den Tresen, prostete dem Verkäufer zu und machte sich auf den Heimweg.

Nach etwa 20 Metern fiel ihm ein, dass er ja eigentlich auch eine Zigarette rauchen wollte, also öffnete er seine neue Schachte, stopfte sich den Plastikmüll in die linke Hosentasche, weil grade kein Mülleimer in der Nähe war und zündete sich eine Zigarette an, wobei er den ersten Zug tief und lange inhalierte.

Er nahm noch einen Schluck Bier aus der Dose und lief nun endlich weiter nach Hause.

Zorn ging durch den Bahnhof, als ihm plötzlich ein hochgewachsener Mann mit Sonnenliege und -Schirm entgegenkam – untypisch für März, vor allem da die Temperaturen seit dem relativ warmen Vortag wieder stark abgekühlt waren.

“He! Ich kenn dich doch! Du bist dieser Christian Ehring ausm Fernsehen!”, rief Zorn, reckte den linken Daumen in die Höhe und ging weiter, denn eigentlich war es ihm egal. Fernsehen hatte er längst aufgegeben.

Ehring drehte sich im Vorbeilaufen nach Zorn um, was dieser aber gar nicht mehr mitbekam, weil er sich schon die nächste Zigarette aus der Hosentasche pulte, während er die leere Bierdose vor einer der Mülltonnen im Bahnhof abstellte.

Kaum war Zorn drei Schritte weitergegangen, das verschwand die Dose auch schon in einer großen blauen Plastiktüte mit einem fast genauso großem aufgedruckten ‘A’.

Fünf Minuten später betrat Zorn seine WG im vierten Stock und ging in die Küche wo Sandra und Torsten grade gemeinsam Kaffee tranken und über vegane Esskultur diskutierten.

“Moin ihr zwei Süßen”, meinte Zorn, schnappte sich eine Tasse und füllte sie mit nicht mehr ganz so heißem Kaffee auf.

“Moin Zorn! Wo hast du dich denn rumgetrieben?”, wollte Sandra wissen, während sie ihn vielsagend angrinste.

“Hab bei nem Bekannten gepennt. Ist gestern spät geworden.”

“Bei nem Bekannten? Oder bei ner Bekannten?”

“Wieso fragst du denn jetzt so doof?”

“Ach, ich hab heute meine gute Freundin Hannah in der Uni getroffen und die hat mir von so nem Typen vorgeschwärmt den sie kennengelernt hatte…”, lachte Sandra.

“Boah, nicht du auch noch!”

Torsten sah von Zorn zu Sandra und wieder zurück, runzelte die Stirn und sagte: “Ich kann euch nicht folgen.”

“Wenigstens etwas”, sagte Zorn frustriert.

Zorn erklärte seinen beiden Mitbewohnern die Situation wie sie sich am morgen ereignet hatte während Torsten neuen Kaffee kochte.

Als Zorn fertig war, zündete er sich noch eine Zigarette ein und ließ sich von Torsten Kaffee nachschenken.

“So, jetzt könnt ihr vielleicht verstehen, warum ich mich heute ein kleines bisschen aufrege. Und um sieben muss ich bei der Arbeit sein, da wollte Hannah dann vorbeikommen. Da wird die bestimmt schon alles wissen.”

“Ja und? Da kannst du doch jetzt nichts für. Das ist ja nun nicht so, dass du mit Hannah zusammengewesen wärst, als die Sache mit der blonden Vera gelaufen ist”, meinte Torsten und Sandra nichte zustimmend: “Genau. Mach dir da mal keinen Kopf, Zorn.”

“Ne. Echt jetzt. Torsten was würdest du denn sagen, wenn du eine kennen lernst und findest raus, dass ich grade zwei Wochen vorher was mit der hatte. Ist doch super scheiße! Naja. Um sieben muss ich zur arbeit. Da wollte ich dann auch mal Willi fragen. Der kennt sich mit sowas aus.”

“Oh! Ne!”, rief Torsten plötzlich.

“Was ‘Oh! Ne!’?”, wollte Zorn wissen.

“Hätt ich fast vergessen. Willi hat erst angerufen. Du musst heute nicht arbeiten. Die haben irgendso ne Neue. Die wird heute eingearbeitet von ihm. Und er meinte das reicht an Personal.”

“Junge. Ich sitz hier und sag zwei Mal, dass ich um sieben arbeiten muss und du vergisst, mir sowas zu erzählen. Hast du was geraucht? Oder hörst du mir einfach nicht zu? Ist das hier alles so uninteressant für dich oder was?”

“Entschuldige bitte. Hab da halt nicht gleich dran gedacht. Tut mir Leid.”

“Ihr beide seit wie ein altes Ehepaar”, lachte Sandra.

“Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht auch fick dich!”, lachte Torsten zurück, worauf er von Sandra einen leichten Klaps auf den Kopf bekam.

“Leute! Ich hab jetzt gleich das nächste Problem. Die kommt um sieben in den Korsaren. Ich kann ihr nicht absagen, weil ich ihre Nummer nicht hab”, sagte Zorn mit fragendem Blick in Richtung Sandra, da er hoffte, dass sie die Handynummer ihrer Kommilitonin hat.

“Sorry, da kann ich dir auch nicht mit weiterhelfen. So dicke sind wir dann auch wieder nicht. Aber ruf doch im Korsar an und sag Willi er soll sie hier vorbeischicken, wenn sie da auftaucht.”

“Das könnte funktionieren.”

“Warum gehst du nicht einfach selbst um sieben hin?”, fragte Torsten.

“Du kennst doch Willi. Wenn der mich da sieht, dann kommt er wieder auf die Idee, dass ich die neue ja auch einarbeiten könnte und er macht sich nen faulen Lenz. Dabei kann ich die Ruhe grade auch ganz gut gebrauchen.”

“Pass auf, ich ruf Willi an und regel das mit Hannah, dass er sie hier her schickt und so, und du bringst erstmal deine Bude in Ordnung und gehst duschen. Du müffelst ein wenig”, schlug Sandra vor.

“Bestimmt Angstschweiß”, lachte Torsten. “Ich mach dir gleich auch noch nen Kaffee. Du siehst echt aus, als könntest du den vertragen.”

“Ihr seid schon ok, ihr beiden, wisst ihr das eigentlich?”

“Sicher wissen wir das. Und nun husch husch! Ordnung machen!”

Zorn verschwand in seinem Zimmer, drehte seinen Lieblingsputzsong auf: “Daniella” vom John Butler Trio und schwang den Staubsauger im Takt.

ende


© Matthias Doden


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Beschreibung des Autors zu "Eine kleine Lösung"

Teil 6 der "Hannah-Storyline"

"Zorn" ist der Spitzname der Hauptfigur meiner Kurzgeschichtenreihe "Bis zum Gehtnichtmehr".
"So wie einst James Dean" und viele andere Kurzgeschichten und Comics um Zorn und seine Freunde finden sich auf
http://biszumgehtnichtmehr.wordpress.com/
Würde mich sehr über Meinungen freuen.

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Kommentare zu "Eine kleine Lösung"

Re: Eine kleine Lösung

Autor: noé   Datum: 19.05.2014 1:28 Uhr

Kommentar: Die Neue ist Die Neue, stimmt's? Aber toll erzählt. Dein Stil gefällt mir!
noé

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