Kapitel Eins

Am nächsten Morgen wurde ich nicht wie gewohnt von den warmen Sonnenstrahlen an der Nase wach gekitzelt, sondern erwachte schweißgebadet. Sofort, nachdem ich meine braun-grünen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen hatte, richtete ich mich auf meiner hellbraunen Schlafcouch auf und drückte mir meine zitternden Hände gegen meine Brust, unter der mein kleines Herz wie wild schlug.
>>Was....war das nur für ein scheiß Traum?! Das geht ja mal gar nicht!<<
Noch etwas verwirrt schlug ich meine Bettdecke unachtsam zur Seite und stand auf, während ich versuchte ruhig ein und auszuatmen. Es dauerte ein paar Minuten, doch schließlich verschwand dieses Gefühl der Angst, welches mein Herz zum rasen gebracht hatte und ich entspannte mich wieder ein bisschen. Mit kleinen Schritten ging ich zu meiner Balkontür, zog den lila, gelb gestreiften großen Vorhang beiseite und öffnete lächelnd die Tür. Sachte zog ich sie nach innen und trat barfuß, weshalb es mich sofort auf dem kalten Betonboden an den Füßen fröstelte, hinaus und schaute neugierig über die Balkonbrüstung. Direkt unter mir, vor meinem Wohnblock, befand sich ein kleiner Spielplatz mit einem Klettergerüst, einer Rutsche und zwei Schaukeln, umgeben von ein bisschen Grün. Dahinter befand sich dann wieder ein riesiger Betonklotz, welcher über 10 Stockwerke hochreichte.
Heute war Sonntag und somit schliefen die meisten Leute alle bis 9 oder 10 Uhr, als ich jedoch durch das Fenster neben meiner Balkontür ins Wohnzimmer zur nostalgischen Wanduhr schielte, bemerkte ich erst, wie zeitig ich heute aus meinem sonst so erholsamen Schlaf erwacht war. Es war gerade mal halb acht durch. Kein Wunder also, das ich draußen noch niemandem umherlaufen sah, oder das die Sonne ihre wohlig warmen Strahlen noch nicht durch mein Wohnzimmer geflutet hatte. Sie hatte sich noch nicht einmal ansatzweise über den Horizont gekämpft.
>>Dieser Traum<<,dachte ich und sofort jagte ein heftiger eisigkalter Schauer über meinen Rücken. >>Er war...irgendwie beängstigend<<. Frierend schlang ich sofort meine Arme um meinen erschauderten Körper, als ich mich an die Letzte Szene des Traumes zurückerinnerte und kniff die Augen kurz ängstlich zusammen.
Martin, meine erste große Liebe während der Mittelschulzeit, war vor meinen vor entsetzen weit aufgerissenen Augen gestorben. Einfach so. Jemand hatte ihm eine Stichverletzung unter seiner linken Brust zugefügt, aus der er viel Blut geflossen war. Aber warum? Vermutlich wollte er einfach nur des nachts von einer Party nach Hause gehen, und war dann in die Arme irgendwelcher Typen gelaufen, die sich wohl gedacht hatten, bei ihm könnte man etwas wertvolles wie Geld finden.
>>Schrecklich!<< Bei diesem grauenvollen Gedanken fror es mich nur noch mehr, und das hatte nichts damit zu tun, das es draußen etwas kühl war. Schließlich war es Ende September, und da waren kühle Sonnenaufgänge ganz normal und nichts ungewöhnliches. Nein, es war etwas anderes, was mich vor Kälte zittern ließ. Es war die Angst, die mich überkam, sobald ich an den Alptraum zurück dachte und an sein fürchterliches Ende.
>>Nun ja, ich geh jetzt erstmal heiß duschen. Vielleicht geht die Kälte ja dadurch weg...Hoffentlich.<< Mit gesenktem Kopf huschte ich durch die offene Balkontür wieder in meine mollig-warme Wohnung hinein, direkt in Richtung Badezimmer, welches sich den kleinen Flur entlang, schräg gegenüber der Wohnungstür befand, mit einer kleinen aber feinen Badewanne, an der ich einen mit großen bunten Punkten bedruckten Duschvorhang angebracht hatte, so dass man nicht nur drin baden, sondern auch mal fix duschen konnte, ohne im Bad gleich einen Atlantik vorzufinden.
Rasch zog ich mein kurzes Nachthemd aus und pfefferte es achtlos in den aus Stroh geflochtenen Wäschekorb. Dann hüpfte ich auch schon in die Badewanne und zog den Duschvorhang, dessen große bunte Punkte ich so sehr mochte, vor, so dass kein einziger Wasserspritzer entweichen konnte.
Das beinah glühendheiße Wasser floss meinen schweißgebadeten Körper hinab, während ich meine Augen entspannt meine Augen geschlossen hatte und gedankenverloren wie zur Salzsäule erstarrt, da stand und mich nicht keinen Millimeter rührte. Ich genoss es sichtlich, wie das warme Wasser Minuten lang meinen Köper umgab und ich spürte auch, wie die Kälte langsam aus ihm herauswich. Ich lächelte gelöst vor mich hin, als ich ein wenig Schampoo auf meiner Handfläche drauf tat und dieses schließlich auf meinem schwarz-roten schulterlangen Haaren einmassierte. Anschließend rieb ich meinen nun wieder erwärmten Körper mit einem nach Orange dufteten Duschgel ein.
>>So eine morgendliche Dusche erweckt in einem gleich wieder alle Lebensgeister<<,dachte ich so bei mir,und lächelte, als sich noch mal eine riesige Ladung warmes Wasser über mich ergoss, und alles an Schampoo und Duschgel abwusch. Im Anschluss daran wickelte ich mich wie eine Frühlingsrolle in ein Handtuch ein und begutachtete mein etwas müde wirkendes Gesicht -trotz der vitalisierenden Dusche- im Spiegel. Behutsam schob ein paar schwarze Strähnen, welche im Licht rötlich schimmerten, von meinen nassen Wangen nach hinten. Dann rubbelte ich meine Haare mit einem Handtuch vorsichtig trocken. Die ganze Prozedur, wie den ganzen Körper mit einer für sensible Haut geeigneten Körperlotion einbalsamieren, Haare anschließend mit einem Föhn restlos trocken föhnen und in ein paar gemütliche Klamotten schlüpfen dauerte ungefähr eine Stunde.
>>So und nun ein schönes, ausgewogenes Frühstück<<, dachte ich breit grinsend, nachdem ich mir eine lockersitende Jogginghose überstülpte und in ein weites Shirt über den Kopf zog.
Voller Elan ging ich dann in die kleine Eckküche, welche sich dreit neben meinem Wohn-und Schlafbereich befand, und nahm ein paar gefrorene Sonntagsbrötchen aus dem Gefrierfach, welche ich in meinem Backofen goldbraun aufbackte. Dazu noch einen frisch aufgebrühten, schwarzen Kaffee mit Zucker und meine kleine bescheidene Welt war wieder perfekt.
Moment,dachte ich dann geschockt und hielt inne, als ich Butter, Marmelade und Nutella auf meinen kleinen Couchtisch mit der Glasplatte stellte. >>Da fehlt doch noch meine Sonntagszeitung!<<
Hastig stürzte ich zur Garderobe, warf mir einen schwarzen langen Mantel um die Schultern und schlüpfte rasch in ein paar Sortschuhe. Dann rannte ich anschließend zut Tür hinus und hetzte die Treppen hinunter zu meinem Briefkasten, aus dem ich ein paar Zeitungen zusammengerollt hervorholte.
>>Jetzt ist mein Frühstück komplett<<, dachte ich erleichtert,als ich grinsend mit dem Bündel Papier unterm Arm wieder nach oben in den dritten Stock rannte, wo sich meine Wohnung befand. Dort wieder angekommen, schmiss ich die Zeitungen fröhlich pfeifend mit auf den frühstücklich gedeckten Couchtisch und ging dann in die Küche, wo es bereits herrlich nach frischem Kaffee roch. Genüsslich zog ich den Duft durch meine Nase, ehe ich mir eine große Tasse davon eingoss.
"So, jetzt noch zwei Löffeln Zucker und einen Schuss Milch, dann kanns mit dem Sonntagsfrühstück ja losgehen.", redete ich gut gelaunt zu mir selbst, bis ich beim eingießen der Milch kleckerte und schon wieder hätte an die Decke springen können. "Scheiße!",fluchte ich, als ich mir den waschlappen aus dem Spülbecken schnappte, ihn unter den wassserhahn etwas anfeuchtete und die sauerrei sofort wieder beseitigte. "Das musste ja auch mir passieren, wie immer. Es vergeht nicht ein Morgen an dem ich keinen kostbaren Kaffee verschütte...Auch wenns durch das reinschütten der Milch dazu kam." Leicht eingeschnappt warf ich den Waschlappen nach getaner arbeit wieder zurück ins Spülbecken, nahm seufzend meine Tasse heißen Kaffee in die Hand und stiefelte behutsam zum Couchtisch,besonders darauf achtend, nicht noch ein wenig Kaffee zu verschütten. Erleichtert ausatmend stellte ich die Tasse schließlich auf den Tisch ab und setzte mich auf meine immer noch unaufgeräumte Couch. Die Brötchen, welche ich Minuten zuvor schon aus dem heißen Ofen herausgeholt und in einen Brotkorb getan hatte, rochen ebenfalls sehr verführerisch.
Ich nahm mir rasch eines, schnitt es zur Hälfte auf und beschmierte es zunächst mit Butter, welche sofort auf dem noch warmen, dampfenden Brötchen dahinschmolz. Anschließend tat ich noch etwas Erdbeermarmelade drauf und biss Sekunden später genüsslich hinein. Ich hatte ja solchen Hunger, da ich gestern Abend ohne was Richtiges im Magen Schlafen gegangen war, da ich von Mittag an bei Monique gewesen war und wir nichts weiter gemacht hatten, außer bei ihr zu Hause vor der Spielekonsole rumzuhängen. Naja, Spätnachmittag hatten sich dann noch ein paar von Monique's Freunden zu ihr gesellt und letztenendes mitgespielt. Diese hatten zusätzlich noch ein paar kleinere Knabbereien udn jede Menge Alkohol mitgebracht. Irgendwann war es mir dann zu doof dort gewesen, und ich hatte mich von Monique mit einem Küsschen auf die Wange verabschiedet. Zum Glück hatte ich es nicht weit bis nach Hause, da wir sozusagen gleich nebeneinander wohnten.
>>Man hab ich einen Knast!<< , dachte ich und biss gierig ein weiteres Mal in mein Marmaledabrötchen hinein. Und wieder...und wieder, bis es restlos in meinem Magen gelandet war.
"Und jetzt noch eins mit Nutella..",murmelte ich voller Vorfreude vor mich hin und machte mir ein zweites Brötchen mit Butter und Nutella zurecht. Während ich alle paar Minuten in mein Nutellabrötchen hineinbiss, durchblätterte ich so nebenbei wenig interessiert eine dieser Wochenend-zeitungen, bis ich, beim überfliegen der einzelnen Seiten auf einen Artikel stieß, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich schluckte den Bissen, den ich noch im Mund runter und legte das restliche Nutellabrötchen wie in Trance aud den kleinen Teller vor mir, während ich mir die Überschrift des Artikels wieder und wieder durchlas.

****Junger Mann vergangene Nacht schwer verletzt am Bahnhof gefunden - Polizei sucht Zeugen****

Ich konnte es nicht fassen, was ich da las und ungewollt drängte sich mir ein Bild von Martin auf, wie ich ihn letzte Nacht in meinem Traum gesehen hatte. Mit blutüberströmten Gesicht, völlig erschöpft am Boden sitzend, den Kopf nach unten hängend. Mit der pulsierenden Wunde unter der link Brust. Dann, plötzlich, sah er zu mir hoch und ... lächelte.
Erschrocken schlug ich die Zeitung sofort wieder zusammen und das Bild von ihm verschwand so schnell wie es mir vor meinen Augen erschienen war. >>Das kann doch nicht sein! < Langsam wurde ich wieder ruhiger und schwieg. Während der andauernden Stille um mich, welche mich innerlich völlig zu zerreißen drohte, überlegte ich fieberhaft und zähneknirschend, ob ich diesen Artikel in der Zeitung nicht lieber doch lesen sollte. Dann würde vielleicht herauskommen, das ich mich vollkommen umsonst darüber so verrückt gemacht hatte. Und diese verletzte Person, die letzte Nacht am Bahnhof aufgefunden urde, wäre irgendein Fremder.
>>Gut, ich mach's. Letztenendes kommt eh nur bei raus, das es irgendein anderer ist ... und nicht Martin<<,dachte ich und schlug nervös die Seiten der Zeitung bis zu dem besagten Artikel wieder auf. Dabei klopfte mein Herz, je mehr Seiten ich umblätterte, immer deutlicher gegen meine Rippen. Schließlich gelangte ich, nach einer gefühlten Ewigkeit, endlich auf die Seite, wo sich der Artikel mit dem verletzten jungen Mann auf der linken Spalte befand.
"Nun dann, auf gehts.", redete ich mir mut zu und atmete einmal tief ein und wieder aus. Dann begann ich Zeile für Zeile den Artikel zu lesen. Als ich fertig war stockte mir der Atem und ich wusste zunächst nicht, was ich noch denken sollte. Und worüber. Meine Gedanken fuhren beängstigend Karasuell.

*~*Letzte Nacht wurde ein 23 jähriger schwerverletzt von einer Polizeistreife neben dem Bahnhofseingang an einer Hauswand anlehnend gefunden. Er hatte dort schon eine Weile gesessen, blutüberströmt und völlig entkräftet, da die Beamten ihn in einer schon fast getrockneten Blutlache vorgefunden hatten. Leider war der junge Mann durch den zu Hohen Blutverlust besinnungslos geworden und somit für die Polizei nicht ansprechbar bzw vernehmbar gewesen. Die Polizeibeamten riefen sofort einen Krankenwagen und der junge Mann wurde an das städtische Krankenhaus auf die Intensivstation übergeben. Nach bisherigen Ermittlungen, die noch andauern, handelte es sich um einen Raubüberfall mit fahrlässiger Tötung. Nun sucht diese Zeugen, wer vielleicht diesen Übergriff auf den 23 jährigen gesehen hat und bittet, das dieser sich bei der zuständigen Polizeisirektion meldet. *~*

"Martin...!", hauchte ich entsetzt und sofort kam mir das Bild von ihm mit dem blutüberströmten Gesicht wieder vor Augen. Wie er da so gesessen hatte, an der Mauer anlehnend, völlig erschöpft und fast ohnmächtig werdend durch den viel zu langanhaltenden und hohen Blutverlust.
"Ich muss zu ihm. Ich muss wissen ob ich recht habe oder unrecht!", stieß ich aufgeregt mit überschlagender Stimme hervor, stand auf, zog mir eine dicke, weiße Strickjacke drüber und schlüpfte in zwei angehnehm tragbare Sneakers. Dann holte ich mir noch mein Handy, welches auf der Küche neben der Kaffeemaschine lag und nahm meinen Wohnungsschlüssel vom Schlüsselbrett, der sich neben der Wohnungstür an der Wand befand.
Wie von einer Terantel gestochen rannte ich die Treppen hinunter, wobei ich fast die freundliche Ältere Dame, Frau Ackermann,welche im ersten Stock wohnte, umgerannt hätte. Doch im Letzten Moment hatte ich ein schmerzliches aufeinanderprallen zwischen uns beiden noch abwehren können, in dem ich kurz zuvor erschrocken, da sie auf urplötzkich vor mir aufgetaucht war, zur Seite gesprungen war. Bevor ich dann schnell weiter die Stufen hinunter hetzte brachte ich noch ein freundliches "Hallo, Frau Ackermann!" über die Lippen. Dann sah mir die ältere Dame verdutzt hinterher, wie ich die Haustür mit einem Ruck auf stieß und hinaus ins Freie gelangte. Die Luft um mich herum war kühl und es roch nach frischem Tau und nach gefallenem Laub, welches sich allmählich von den Baumkronen der Blätter verabschiedete und sich, in vielen wunderschönen braun-, orange-, rot- oder gelbtönen auf dem Erdboden ansammelte, nur um dort langsam aber sicher dem Sterben hinzugeben.
Mit schnellem Schritt eilte ich zur nächten S-Bahnhaltestelle, welche mich schnellstmöglich ins Innere des Stadtzentrums bringen sollte, wo sich das städtische Krankenhaus befand. Dieses bestand aus einem riesigen Park, in dessen Mitte zwei große aus Stein gemeiselten Schwäne standen, ein Liebespaar, welche aus ihren Schnäbeln ununterbrochen einen Wasserstrahl hervorbrachten, umgeben von einigen mächtig gewaltigen Eichen- und Kastanienbäumen. Ab und zu stand hier und da mal eines der großen Gebäude herum, welche alle vor ein paar Jahren neu , saniert wurden - von innen wie von außen.
Dort würde ich wohl bald Martin gegenüberstehen, das erste mal nach...ja. Nach wieviel Jahren eigentlich?
>>Fünf lange Jahre...<<, dachte ich und seufzte innerlich schwer auf, während ich in der S-Bahn saß und verträumt aus dem Fenster blickte, die Arme vor die Brust verschränkt. Was, wenn es aber nicht Martin war, den ich dort gleich in einen der Zimmer im Krankenhaus antreffen würde? Wäre ich dann erleichtert?
*Nein, das wärst du nicht.* sprach eine innere Stimme, doch bei ihrem Erklingen schreckte ich nicht, wie viele andere in meiner Situation es wahrscheinlich tun würden, verwundert hoch, sondern nickte leicht, wie in Trance vor mich hin.
*Dein Herz sehnt sich schon so lange nach ihm. Seit damals, als es ihn auserwählt hat...*

sprach die Stimme weiter und ihr Wohlklang stimmte mich so friedlich, do dass ich um mich herum alles und jeden vergaß, und entspannt lächelnd die Augenlider senkte, während die Straßenbahn sich ratternd in Bewegung setzte. Während der Fahrt dachte ich an so vieles. An das was mich wohl gleich im Krankenhaus erwarten würde und an das was mich in der Vergangenheit schon erwartet hatte. Und an den letzten Augenblick, wo ich Martin ein letztes Mal in die wunderschönen rehbraunen Augen geblickt hatte., die es auf Erden wohl nei zuvor gegeben haben musste.
*Denk nicht an die Vergangenheit, siehe was vor dir steht*, sagte mir meine innere Stimme, worauf ich nachdenklich meine Lider öffnete und sehnsuchtsvoll aus der großen Glasscheibe der S-Bahn blickte, in der Hoffnung dort draußen würde irgendetwas sein, was meine Sehnsucht stillen könnte.
*Aber so ist es doch...* Hörte ich die Stimme überraschender Weise durch meinen Kopf wiederhallen. Wieder und wieder, bis sich die Stimme in ein sanftes Summen verwandelte.Das erstaunliche daran war, das sie recht hatte. Dort draußen gab es wirklich jemanden, der die sehnsucht in meinem Herzen wohl vollends ausfüllen könnte. Nicht so wie die anderen Männer, mit denen ich zwar eine Beziehung eingegangen und sie irgendwo auch geliebt hatte, jedoch niemals so sehr, wie ich für Martin empfunden hatte. Oder es immer noch tat.
"Martin.", murmelte ich gedankenverloren und voller Zärtlichkeit aus mir heraus und seufzte. dabei drückte ich meine vor Aufregung zitternde Hand ganz fest gegen mein laut schlagendes Herz. "Vielleicht...sehe ich dich nun nach 5 Jahren endlich wieder."
Innerlich war ich allerdings hin und hergerissen von meinen Gefühlen. Einerseits brennte mein ganzes wesen darauf ihn wieder zu treffen und wenn möglich, sogar vor Freude zu umarmen; doch die andere Seite, die dunkle, sträubte sich wehemend davor und hatte wahnsinnige Angst, wohin das alles führen möge. Diese dunkle, verängstigte Seite wäre am liebsten bei der nächsten Haltestelle ausgestiegen und wieder nach Hause gerannt.
Nein, dachte ich entschlossen und allmählich ließ das schnelle klopfen meines Herzens wieder nach und wurde langsamer. >>Ich will ihn wiedersehen, wenn es Martin ist der da verletzt im Krankenhaus liegt, dann will ich mich wenigstens vergewissern ob es ihm gut geht. und wie schlimm er verletzt ist. und außerdem...<< dachte ich und musste gedanklich kurz innehalten, um tief Luft zu holen. >>Außerdem ... will ich wissen was dieser Traum damit zu tun hat, denn irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, das ich diesen Traum von ihm am Bahnhof nicht umsonst geträumt habe. Wahrscheinlich sollte ich ihn auf diese Weise wiedersehen. Oder? Klingt doch einleuchtend.<<
Nein, tat es nicht, jedenfalls war es keine plausible Erklärung dafür, warum sich der Artikel in der Zeitung und mein Alptraum von letzter Nacht so unwahrscheinlich ähnlich waren. Aber irgendwie hatte ich das merkwürdige Gefühl, das zwischen dem Traum und der Tatsache, das ich mich höchstwahrscheinlich gerade auf dem Weg ins Krankenhaus zu dem letzte Nacht schwer verletzten Martin befand, irgendeine Verbindung bestand. Ich wusste nur noch nicht welche.
Wenn dem so wäre dann müsste ich wohl ernsthaft darüber nachdenken ob ich mich nicht in medizinische behandlung geben sollte, denn normal wäre das sicher nicht, wenn Träume einen wie eine art Vision offenbarten. So etwas gab es nur in Filmen oder ausgefallenen Romanen, nicht aber im wahren Leben.
Oder?
Das Krankenhaus unserer kleinen Stadt befand sich an der Endhaltestelle, dort wo die Bahn einen großen Bogen fuhr, nur um dieselbe strecke wieder zurückfahren zu können. Wie ein ewiger kreislauf.
>> Das ist bestimmt langweilig wieder und wieder dieselbe Strecke abfahren zu müssen<<,dachte ich mitfühlend, während ich mit einer leicht angespannten Mimik und einem flauen Gefühl im Magen ausstieg und in Richtung der Eingangsschranken lief, wo rechts ein kleines unscheinbares Pförtnerhaus stand, von wildem Efeu umrangt. Dort musste man hingehen um herauszubekommen wo sich das jeweilige Gebäude befand, wo man hinwollte. Ob zu inneren Medizin oder Plastischen Chirugie. Und man musste zuerst durch dieses kleine ovale Fenster mit dem Pförtner sprechen und ihn höflich drum bitten, eine der Schranken zu öffnen, wenn man mit dem Auto zum Beispiel jemanden abholen wollte - einen ehemaligen Patienten etwa.
Ich ging zu ihm hin, weil ich wissen wollte wo, in welchen der vielen Gebäude, ich einer Person mit einer Stichverletzung oder einer Schädelverletzung wohl begegnen könnte.
Der Mann der in dem Pförtnerhaus saß, war klein und kugelrund. und zudem extrem mies gelaunt und es stank nach Kaffee und einer gerade im überfüllten Aschenbecher ausgedrückten Zigarette. Wiederlich.
"Das ist Haus 4.", gab der Pförtner mir brummig als Antwort und ich glaubte das er auf mich sauer war, weil ich ihm beim gemütlichen Rauchen und einer Tasse Kaffee gestört hatte. mit einem knappen und wenig freundlichen "Danke" lief ich weiter, am Springbrunnen mit den zwei Schwänen vorbei und war wieder einmal fasziniert von ihrem Anblick. So majestätisch und anmutig sie ihre Hälse in den Himmel streckten und dabei klares Wasser aus ihren Schnäbeln plätscherten. Die beiden sahen aus wie ein Liebespaar, welche so liebevoll miteinander umgingen, als wäre ihr beisammensein unheimlich zerbrechlich. Für einen kurzen Moment sah ich wie die beiden wie echte schneeweiße Schwäne aussahen und sich singend aneinander kuschelten.
Nachdem ich ihnen Minuten lang beim kuscheln und singen zugesehen hatte wurden die beiden wieder zu den steinernen Staturen die sie waren. Und schließlich ging ich weiter, und mit jedem Schritt, wo ich dem Haus 4 beträchtlich näher kam, wurde die Nervösität in mir größer. Wie ein Ballon den man immer weiter aufbließ entfaltete sie sich in mir.
Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, Kim, redete ich mir Mut zu, als ich plötzlich vor dem Haupteingang stand. Plötzlich, als ich noch einen Schritt nach vorne wagte, gingen die beiden Schiebetüren jeweil nach links und rechts auf und gewährten mir somit Zutritt.
>>Nun bist du drin<<, dachte ich ein wenig erleichtert und wischte mir den imaginären Schweiß von meiner Stirn. >>Nun musst du nur noch sein zimmer finden.<<
ich ging zum Informationsthresen und sprach mit der Frau, welche dahinter an einem Computermonitor saß und irgendetwas auf die Tastatur tippte.
"Entschuldigung.",sagte ich höflich und lächelte die Dame freundlich an, welche ebenfalls freundlich zurück lächelte und mich fragte, wie sie mir denn helfen könnte.
"Ich suche jemanden, er ist letzte Nacht hier eingeliefert worden. Er..." Ich stockte da ich eifrig überlegte ob ich der netten Dame seinen Namen sagen sollte, doch wenn es sich um den verletzten am Bahnhof nun doch nicht um Martin handelte, dann würde ich mich ganz schön blamieren. Und das wollte ich absolut nicht, also sagte ich ihr nur das man den jungen Mann letzte Nacht schwer verletzt, mit einer Stichwunde unter der Brust, eingeliefert hatte. Zu meinem Glück wusste die Dame sofort bescheid wen ich damit meinte.
"Ja, das stimmt, letzte Nacht ist ein junger Mann hier schwer verletzt eingeliefert wurden.",sagte die Dame freundlich und lächelte mich traurig an. "Man musste ihn leider notoperieren, da er zu viel Blut verloren hatte. Die Stichverletzung selber war nicht so schlimm. Er wird es, denke ich, überstehen. Aber um auf Nummer sicher zu gehen sollten sie den zuständigen Oberarzt nocheinmal darüber kontaktieren." Sie lachte kurz und tippte erneut etwas in ihre Tastatur und stierte auf den hell leuchtenden Monitor vor sich, dann sah sie mich wieder lächelnd an. "Sind sie eine Freundin des jungen Mannes?",fragte sie mich ohne Umschweife und hob fragend ihre rechte Augenbraue nach oben.
Ohne groß zu Überlegen schoss mir ein "Ja" aus meiner vollkommen trockenen Kehle, worauf die Dame am Tresen höflich nickte. Dann blickte sie ein weiteres Mal auf den Bildschirm des Monitors.
"Sein Name ist Martin Reiher. Er liegt im ersten Stock, wenn sie mit dem Fahrstuhl nach oben fahren, müssen Sie dann, wenn Sie in dem großen Gang stehen, nach rechts gehen. Zimmer 2011. Dort liegt er."
Bei dem Klang seines vollen Namens aus dem Mund der netten freundlichen Empfangsdame wurde mir auf einmal völlig übel und ich glaubte fast, mich hier auf der Stelle sofort übergeben zu müssen. Ich spürte wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich und drückte mir benommen eine Hand auf den Bauch. Dann ging ich langsam und ein wenig unsicher auf den Beinen zum Fahrstuhl.
>> Soll ich wirklich in den ersten Stock, zu ihm, fahren? <<
Innerlich total am Brodeln vor Aufregung stand ich vor den silbrigschimmernden Türen des Fahrstuhls und drückte den Knopf, um ihm zu signalisieren, das hier unten jemand auf ihn wartete um einzusteigen. Aber, wollte ich wirklich mit ihm fahren? Oder wollte ich nicht doch lieber das Weite suchen? Nun wusste ich ja das es sich um den letzte Nacht verwundeten jungen Mann um Martin handelte. Die Empfangsdame hatte seinen Nachnamen mit erwähnt, so dass mir vor Aufregung das Blut in den Adern sprudelte und mir ganz schwindelig wurde. Nun gab es wohl keinen Zweifel mehr, das es Martin war, der im ersten Stock im Krankenbett lag und auf seine baldige Genesung hoffte. Denn, wie wahrscheinlich war es, das es gleich zwei Martins mit dem selben Nachnamen gab?
Eher sehr unwahrscheinlich.
Der Fahrstuhl hielt vor mir an und öffnete mit einem kurzen Klingeln seine Türen, um mich ein zulassen. Ich zögerte erst und wippte nervös auf meinen Füßen hin und her. Abwechselnd verlagerte ich mein Gewicht mal auf dem rechten, dann wieder auf dem linken Bein, als jedoch die Türen des Fahrstuhls wieder zu zugehen drohte, huschte ich noch schnell hindurch und war erleichtert, das ich mich nun doch im Fahrstuhl befand.
*Warum hast du nur so eine Angst?* Fragte mich meine innere Stimme und ich seufzte, während der kurzen Fahrt in den ersten Stock. Kling. Wieder ertönte dieses Klingelgeräusch,als die Türen des Fahrstuhls sich mir öffneten und ich zaghaft einen Fuß auf den großen Gang des ersten Stocks setzte. Überall um mich herum drang der Geruch von Desinfektionsmittel und anderen merwürdigen Gerüchen, die mich angewidert die Nase rümpfen ließen. Ich hasste Krankenhäuser, eben weil es hier so komisch roch, fast schon spürte man die kranken Menschen in der Luft, die hier in ihren Betten lagen.
"Hm...Zimmer 2011.", nuschelte ich vor mich hin, während ich, wie mir die Dame am Empfang erklärt hatte, nach rechts ging, den großen hellen Gang entlang, wo sich unzählige Türen mit Nummern befanden, sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite. Zu meiner Erleichterung befand sich das Zimmer mit der Nummer 2011 nur ein, zwei Türen vom Eingang entfernt, ansonsten, wenn es sich am Ende befunden hätte, wäre ich wohl auf halben Weg wieder umgekehrt.
Als ich die Zimmertür erblickte öffnete sich diese plötzlich, worauf ich erschrocken stehen blieb und mich hinter einer großen Yuccapalme, welche auf dem Gang in einem großen schwarzen Tontopf stand, und schielte neugierig zwischen den länglichen Blättern hindurch, als eine junge Frau mit blonden kurzen Haaren mit einem kleinen Jungen auf dem Arm aus dem Zimmer 2011 auf den Gang trat, gefolgt von einem etwa 7 jährigen Mädchen, welches niedergeschlagen den Kopf nach unten hielt. Hinter den der jungen Frau mit dem kleinen Jungen und dem 7 jährigen Mädchen trat ein großer Mann mit weißem langen Kittel und einem Stetoskop um den Hals ebenfalls aus dem Zimmer. Er machte ein ziemlich ernstes Gesicht, während die junge Frau mit den flippig geschnittenen kurzhaarfrisur aussah, als hätte sie gerade viel geweint. Ihre Wangen waren feuerot und ihr blaugrauen Augen von den vielen Tränen waren geschwollen.
"Wird...wird er wieder gesund?",fragte die blondhaarige schlurchzend den Mann in dem weißen Kittel, welcher hoffnungsvoll seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzog.
"Ja, keine Sorge, er wird wieder gesund.. Zum Glück war die Stichverletzung nicht sehr tief und sie hat auch nur knapp sein Herz verfehlt. Die Verletzung am Kopf haben wir nähen müssen, aber ich denke, das wird schon wieder. Nun muss er sich nur noch erholen und ausruhen. er hatte letzte Nacht viel Blut verloren. An sich waren die verletzungen nicht schwerwiegend, aber wer weiß wie lange er dort schon verletzt am Bahnhof gelegen hatte.",erklärte der Arzt mit fester jedoch sanft nachhallender Stimme, worauf die Blondhaarige mit dem kleinen aschblonden Jungen auf dem Arm schniefend nickte.
"Gut, Frau Reiher.",sagte er schließlich und berührte die junge blondhaarige kurz am tröstend am Oberarm. "Er wird wieder gesund. er braucht nur etwas Ruhe. Kommen Sie morgen wieder, da, denke ich, ist er bestimmt schon aufgewacht. Es wird alles gut."
Mit diesen aufheiternden Worten verabschiedete sich der Arzt von ihr und dem 7 jährigen Mädchen, welches ihm traurig hinterher sah.
"Wird Papa wieder okay?", fragte das kleine Mädchen ihre Mutter, diese sah sie kurz lächelnd an und streichelte dem kleinen süßen Jungen, welcher auf ihrem Arm mit Händen und Füßen strampelte, sanft über seinen aschblonden Schopf.
"Du hast doch gehört, was der Doktor gesagt hat. Papa wird wieder. Er braucht nur Ruhe und Schlaf. Komm.", entgegnete die Blondhaarige mit gedämpfter Stimme und streckte ihre Hand nach dem 7 jährigen Mädchen aus. Dieses nahm sie dankend an und schließlich gingen beide Hand in Hand mit dem kleinen süßen Jungen davon, in Richtung Fahrstuhl. Mich, welche sich immer noch hinter einer Yuccapalme versteckte, sahen sie dabei nicht, da sie viel zu sehr mit ihren Gedanken woanders und mit ihrem Kummer beschäftigt waren.
Fassungslos blickte ich ihnen nach.
Ich konnte es nicht glauben. Martin hatte bereits zwei Kinder? nein, das konnte unmöglich sein. Die blondhaarige Frau mit der pinken Strähne am Pony war höchsten 2 oder 3 Jahre älter und das 7 jährige Mädchen konnte unmöglich seine Tochter sein. Sie sah ihm überhaupt nicht ähnlich und überhaupt, als sie gezeugt wurde hätte Martin doch glatt ... 15 Jahre alt sein müssen?! Unfassbar. Nein, niemals, das konnte einfach nicht wahr sein! Damals hatte Martin nie etwas davon erzählt, und überhaupt, als er was von mir wollte war er schon fast 16 Jahre. Es sei denn ... er war zu der damaligen Zeit nicht mehr mit ihr zusammen und er wusste von ihrer Schwangerschaft nichts, weil sie ihm nichts davon erzählt hatte. wahrscheinlich war sie damals viel zu aufgewühlt und geschockt darüber gewesen und hatte angenommen er würde eh nicht zu seiner Tochter stehen. Zu seiner Tochter die bereits wie eine 7 jährige aussah - mittelbraunes Haar, blau-graue Augen.
Und dann noch der kleine Junge, der auf ihrem Arm wild herumstrampelte und von den Sorgen seiner Mutter und seiner großen Schwester noch nichts mitbekam, weil er kaum älter aussah als 1 Jahr.
"Oh Gott ... ich, ich ... ich bin ...geschockt.", wisperte ich mit angespannter Stimme und trat hinter der Yuccapalme hervor in Richtung der Zimmertür 2011. Auch wenn mich die Erkenntnis, das Martin vielleicht schon zweifacher Papa und sogar Ehemann war - da die Blonhaarige unverkennbar seinen Nachnamen trug - wollte ich zu ihm. Ich wollte zu ihm rein ins Zimmer, wollte mich mit eigenen Augen davon überzeugen wie es ihm ging. Ich wollte ihn einfach sehen.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und lugte ein wenig hinein. Dort sah ich eine dunkelhaarige Gestalt auf dem Rücken liegend in dem schneeweißen sterilen Krankenbett, welche an einem Herzüberwachungsmonitor angeschlossen war. Bei näherem Hinsehen erblickte ich einen dünnen durchsichtigen Schlauch, welcher von seiner rechten Hand zu einem Infussionsbeutel hinaufführte.
"Hoffentlich kommt jetzt nicht der Arzt rein oder so.", murmelte ich leise, als ich sachte eintrat und die Tür hinter mir behutsam ins schloss fallen ließ. "Sonst muss ich ihm erklären wer ich war und eigentlich haben bestimmt nur engste Freunde oder Familie Zutritt. Mich wird er wohl nicht mehr kennen." Fast barfüßig, so lautlos hallten meine Schritte auf dem hellen Linoliumboden wieder, ging ich auf das weiße Bett zu, auf dem Martin friedlich da lag und schlief. Alles um mich herum schien in Stille getaucht, das einzige was ich wahrnahm war martins ruhige Atemzüge und das sekündliche Piepsen des Gerätes, welches sein Herzrythmus überwachte.
"Martin...es tut mir so leid für dich. Und für deine Familie.",stieß ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und musste mich arg anstregend nicht gleich los zuheulen. Sein Anblick, wie er da so hilflos vor mir auf dem Bett lag, mit einem dicken Verband und abrasierten Haaren am Kopf, das rührte mich zu Tränen.
"aber, was bringt es schon sinnlos Tränen zu vergießen?",entgegnete ich traurig und senkte den Blick auf seine Hand, in deren Handrücken die Kanüle steckte, an deren Ende der durchsichtige dünne Schlauch zu dem Infussionsbeutel führte. Der Infussionsbeutel, dessen Flüssigkeit, die darin enthalten war, Martin wieder zu Kräften kommen zu lassen. Zu kräften damit er bald wieder aufwachte und zu seiner Familie nach Hause konnte.
bei dem Wort "Familie" wurde mir auf einmal ganz schwer ums herz. Warum? Gönnte ich ihm das Glück nicht eine glückliche Familie zu haben die ihn abgöttisch liebte und sie am Boden zerstlrt waren, wenn ihm etwas zustieß?
>>Doch das tue ich schon nur ... wäre ich gern die gewesen, die dieses Glück mit ihm teilen kann.<<
"Jetzt ist es zu spät.",sprach ich mit ungewöhnlich ernster Stimme aus, weshalb ich selbst erschrocken aufsah und verwundert durch den Raum blinzelte. Dann fixierte ich seine Hand in der sich die Kanüle in sein Fleisch bohrte und lächelte liebevoll vor mich hin, ehe ich meine Hand sachte auf seinen Unterarm legte.
"Martin.", begann ich mit weicher sanfter Stimme zu erzählen und schloss die Augen. "Du musst schnell wieder gesund werden. deine Frau...und deine kinder warten auf dich. Du kannst froh sein das du sie hast. Ich hätte sie auch gerne gerabt, mit dir." Bei den letzten beiden Worten musste ich unweigerlich schlucken. Es zeriss mich innerlich diese Worte laut auszusprechen oder gar an sie zu denken. Damals in der Mittelschule, als Martin mich Mithilfe eines kleinen karierten zusammengeknüllten Stückchen Papiers fragte, ob ich mit ihm gehen wollte, hatte jede Faser meines Körpers tausendmal "Ja"geschrien. Doch im Endeffekt hatte meine tonlose Stimme wegen meinem radikalen Verstand nur ein "Nein" zustande gebracht. Dabei hatte er das Stückchen Papier noch liebevoll mit kleinen niedlichen Herzchen verziert, was mich innerlich so verzückt hatte. Doch trotzdem hatte ich meinem Verstand nachgegeben und nein angekreuzt. Und Martin hatte meine Entscheidung damals zwar ein wenig geknickt, aber schließlich hingenommen.
"Ich hoffe einfach nur das du wieder gesnd wirsst und du wieder bei deiner Famile und Freunden sein kannst.", flüsterte ich leise und sah überrascht wie sich sein rechtes Augenlid bewegte.
>>Oh nein<<, dachte ich leicht in Panik verfallend und nahm meine Hand sofort von seinem Unterarm weg. >>Er wird doch jetzt nicht aufwachen! oh nein, bitte tue mir das nicht an! <<
Hastig drehte ich mich um und ging mit kleinen aber schnellen kaffebohnenschritten zur Tür. Auch wenn ich gern noch ein weilchen bei ihm geblieben wäre und ihn einfach nur tröstend über den Unterarm gestreift wäre, so wollte es ich es auf keinen Fall riskieren, das wenn er jetzt aufwachen sollte, mich als erste sehen würde, und nicht seine Frau oder seine Kinder. Innerlich total angespannt, als könnte ich bei dem kleinsten lauten geräusch sofort in die Luft gehen drückte ich behutsam die Türklinge hinunter und trat auf den Gang, nachdem ich mich vorher erst einmal gründlich umgeschaut hatte. Niemand war zu sehen, ein Glück.
>> Machs gut Martin, ich hoffe dir geht es bald wieder besser<<, nahm ich innerlich von ihm Abschied, da ich ja jetzt noch nicht wissen konnte, das das Schicksal andere Pläne andere Dinge geplant hatte.

Als ich zum Fahrstuhl tapste vibrierte plötzlich mein Handy in meiner Hosentasche und ich wühlte es genervt heraus. Auf dem blinkenden Display leuchtete Moniques Name auf.
>>Was will sie denn?<<
Unauffällig drückte ich das Handy gegen mein Ohr und begrüßte meine beste Freundin mit der außgefallenen Haarpracht freundlich. "Was gibts?", fragte sie mich eher so beiläufig.
"Was soll es geben? nichts. alles wie immer.",log ich, da ich innerlich einfach zu sehr aufgewühlt war, um ihr die Wahrheit jetzt mitzuteilen, nämlich das es mir beschissen ging.
"Hast du Lust vorbeizukommen? Wir könnten gemütlich auf dem Sofa chillen und den Sonntag herrlich ruhig ausklingen lassen."
Ich überlegte kurz, als der Fahrstuhl mit dem selben Geräusch wie vorhin vor mir auftauchte und seine Türen aufzog. "Ja okay.", antwortete ich verhalten und stieg in den Fahrstuhl ein - mit gesenktem Blick.
"Ich bin so ca in 15 Minuten bei dir. Okay?", fügte ich noch hinzu. Die Beklemmung die darin mitschwang war kaum zu überhören. Und obwohl ich mir absolut sicher war das Monique das mitbekommen hatte, schwieg sie und legte schließlich auf. Wahrscheinlich wollte sie mich darauf nicht am telefon ansprechen, sondern liber ein unter-vier-Augen-gespräch mit mir führen. dann könnte ich ihr endlicha lles erzählen, was mich bedrückte. In mir herrschte das reinste Chaos. Ein Teil in mir wollte nichts lieber als ihm morgen wieder einen Besuch abzustatten, doch der andere Teil wollte das genaue Gegenteil. Ihn nie mehr wiedersehen...

Bei Monique angekommen, welche etwa ein Häuserblock weiter weg von mir wohnte, drückte diese mir erst einmal eine schöne warme Tasse vanille-Himbeer-tee in die Hände, obwohl ich noch nicht einmal meine schuhe ausgezogen, noch die Tür hinter mir richtig geschlossen hatte. geschweige denn meine jacke an einen der Kleiderhacken zu hängen, welche immer ziemlich rar waren, da sie von Moniques jacken und Mäntel nur so dominiert wurde.
"Hallo Schnecke, schön das du vorbeikommen konntest.", begrüßte sie mich herzlich und gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange. "Warum hat es denn so lange gedauert? warst du gar nicht zu Hause?"
bei dieser Frage stellten sich auf meiner Haut alle noch verbliebenen Haare auf, welche ich bei meiner letzten Rasur noch nicht entfernt hatte. Unweigerlich musste ich an Martin denken, wie er da so elend, jedoch friedlich schlafend in dem Krankenhausbett lag.
Langsam ließ ich die Wohnungstür ins schloss fallen, in dem ich sachte mit dem Fuß dagegen drückte und ging mit gesenktem kopf in Richtung Wohnzimmer. Im Gegensatz zu mir hatte Monique eine 2-raum-Wohnung, ein Überbleibsel von ihrer letzten Beziehung mit einem Mann, der Videospiele anscheinend interessanter fand, als mal hinaus in die rale Welt zu gehen und sich mit seiner Freundin zu amüsieren. Anfangs hatte er sich ihr gegenüber wie ein Gentleman gezeigt, doch später, nachdem sie bereits nach 2 Monaten beschlossen hatten zusammenzuziehen änderte sich alles. Ich hatte sie auch noch davor gewarnt so schnell mit jemandem unter einem Dach zu wohnen, doch sie hatte ja nicht auf mich hören wollen. "Ihm hat man die Wohnung gekündigt. Soll er auf der Straße leben? ich liebe ihn und ich weiß das es gut gehen wird."
Hatte sie damals ihre feste Meinung vertreten und ich hatte es akzeptiert. schließlich war ich es ja nicht die sich das antun musste, sondern sie. Und das Ende vom Lied war, das er sie, nachdem sie einen Monat zusammen gewohnt hatten, für eine andere verlassen hatte.
Super.
"Was ist denn los, hm? Du siehst so bedrückt aus. Hast du Kummer. Du weißt du kannst mit mir über alles reden.", sagte sie und schaute mich erwartungvoll an, während sie sich aufs Sofa plumpsen ließ und es sich im Schneidersitz gemütlich machte. Seufzend setzte ich mich ebenfalls neben ihr nieder und atmete tief ein und wieder aus. Ich wusste gar nicht wo ich anfangen sollte zu erzählen.
"Ich war heute im Krankenhaus.", sagte ich schließlich ein wenig benommen und stierte in meine dampfende Teetasse. Ein verlockender Duft von Vanille und Himbeere stieg mir dabei in die Nase. Lecker.
"Was, auch du meine Güte!",stieß sie gleich aufgeregt hervor. "ist was passiert? hgehts deiner Familie gut, deinem Vater??? Deiner Mutter???" Sie war so aufgebracht darüber, so dass ich sie kaum wieder beruhigen konnte.
"Ist schon gut, keine Sorge, es geht nicht um meine Familie.", versicherte ich ihr eindringlich und hob beschwichtigend meine Hand nach oben. "Es ist jemand anderes im Krankenhaus.Den kenn ich noch...von früher..."
"Aha, und wer?",fragte Monique daraufhin neugierig und machte große Augen. Seufzend senkte ich meinen Kopf und schloss für eine Sekunde meine Lider, um mich zu sammeln.
"Er heißt Martin.", sagte ich schließlich mit trauriger Stimme. "Er wurde letzte Nacht schlimm verprügelt und man hat ihm mit einem Messer bedroht. Und ihn sogar verletzt, aber nicht lebensgefährlich. Er wird wieder gesund, sagt der Arzt."
"Aha.",stieß Monique skeptisch hervor und hob fragend ihre Augenbrauen. "Und wer ist dieser Martin? Warum kenne ich ihn nicht? Ich kenn doch sonst alle deine Freunde."
Ich schluckte kaummerklich den dicken Kloß in meinem Hals hinunter, ehe ich weitersprechen konnte. "Martin ist...ein Freund aus der Mittelschule. Wir hatten uns das letzte mal vor 5 Jahren gesehen. Nach Abschluss zehnte Klasse. Dann haben wir uns aus den Augen verloren.", gab ich leise von mir und nahm anschließend einen kräftigen Schluck Tee.
"Ach so. Hm...irgendwie hab ich das Gefühl das er in der Schule nicht "nur" ein Kumpel oder so etwas für dich war. Wenn du von ihm sprichst dann haben deine Augen so ein seltsames Blitzen.", bemerkte Monique scharf und schielte mich hoffnungsvoll an. Anscheinend hoffte sie, das ich ihr mehr über den Mann erzählte, der meine Augen gleichermaßen zum Leuchten brachte, als auch meine Seele in ein tiefes Loch zu stoßen.
Es war komsich, wenn ich an ihn dachte war ich traurig und glücklich zugleich.
"Und?", hackte sie nach, nachdem ich ihr immer noch nicht genau erläutert hatte, in welcher Beziehung ich und dieser Martin zueinander standen. Damals. Damals in der Mittelschule.
"Willst du mir nicht erzählen wie ihr euch kennen ... und lieben gelernt habt?"
Wie ein honigkuchenpferd grinste Monique über das ganze Gesicht, woraufhin ich mir auch ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
"Na gut. Ich erzähle die die Geschichte, wie wir uns kennenlernten. Aber ich sag dir gleich, sie wird dir bestimmt einen Tick zu schmalzig ausfallen." Ich lächelte sanft und stellte dann die halb leere Teetasse auf den hellbraunen Couchtisch ab.
"Ach, ich denke so schlimm wird es nicht werden.",gab Monique lachen von sich und starrte mich voller Vorfreude total gespannt an. "Und wenn doch, dann kann ich ja immer noch wegrennen. oder dich rausschmeißen."
"Nun gut...Dann will ich mal anfangen...", begann ich leicht nervös, schloss die Augen und ging tief in mein Innerstes, kramte einige Bilder meiner Vergangenheit hervor, die mit Martin und mir zu tun hatten, und sogar einige Empfindungen, wie Abscheu, Hass, Liebe, Vertrauen ... und Verzweiflung.
Und dann begann ich sie zu erzählen, die Geschichte meines Lebens, die mich wohl für den Rest
meines Daseins geprägt hatte. Meine ganz persönliche Liebesgeschichte.



* * * *

Nun brauchte er nur noch abzuwarten, darauf das sein Plan aufging.
Ausgefuchst wie er war hatte er es irgendwie geschafft, das sie ihrem Liebsten im Krankenhaus doch noch einen Besuch abgestattet hatte - wenn auch wiederwillig. Aber zumindest war so schon einmal der Köder ordentlich ausgelegt, nun musste sie und ihr hell lilastrahlendes Licht, welches ihn immer wieder aufs Neue blendete und seinen Verstand raubte, nur noch in die Falle laufen und dann würde er sie zuschnappen lassen. Dann wäre sie wie ein wunderschöner farbenfroher Schmetterling, welcher in einem leeren Glas,ohne müde zu werden,stundenlang gegen die Unterseite des Deckels flatterte.


© Rahnfeld, Kristin


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