Ohne Alternative

Am 13.12.2011 um 15.30 lernte ich Mikail in seinem Zuhause kennen, ich wurde begleitet von Beate (Kinderhospizdienst) die Mika und mich im Hintergrund betreuen wird.
Uns erwartete eine mehr als herzliche Familie....neben Papa( der von Mika's Mama geschieden ist) sein Opa der wie ein Baum mitten in der Familie steht und Stärke ausstrahlt und einer liebevollen mütterlichen Oma...die die Familie mit viel Liebe und Fürsorge führt.
Mikail selbst,wie soll ich ihn beschreiben ;-)

Er hat mich sofort gefangen genommen mit seiner einnehmenden Art. Ein 13 Jahre junger Mann der zwischen Kindsein und Erwachsensein steht und immer einen frechen Spruch auf den Lippen hat. Er erinnert mich an meinen Sohn Michael, mittlerweile 23 Jahre alt und schon mitten im Leben stehend....aber eben diese Jahre ,auf der Schwelle zum Erwachsen werden...sind für mich rückblickend die spannendsten Jahre mit meinem Jungen.

Wir reden an dem ersten Nachmittag darüber wie es Mika zur Zeit geht und was ich im Notfall zu tun habe wenn ich mit ihm alleine bin. Mikail hat einen Hirntumor und die Diagnose ist mehr als schlecht. Ich hör hin und bin doch immer wieder abgelenkt von Mikail, er fragt mir Löcher in den Bauch über mein Smartphone ,er fachsimpelt mit mir ob nun mein Samsung Galaxy das bessere Handy oder eben doch sein hochgelobtes I-Phone das er sich so sehr wünscht ( sein Vater hat dieses Modell) .Er spielt an meinem Handy rum und lässt sich alles erklären und probiert alles aus. Zwischendurch kommt seine Omi rein und bringt selbstgebackenes türkisches Gebäck

Nach 1,5 Stunden verabschieden wir uns von Mika ,ich erklärte ihm das ich leider weg muss....da ich abends noch zu Bülent nach Mannheim fahren will. Da flippt er total aus....und ist fast traurig das er nicht mitkommen kann. Ich sage ihm das ich Fotos machen werde für ihn und ihm alles beim nächsten Besuch erzählen werde.

Ich fahre an dem Abend mit Freunden zu dieser Vorstellung in Mannheim und muss die ganze Fahrt über an den kleinen Mann denken, an seine strahlenden Augen , sein offenes und herzliches Wesen, die unbarmherzige Diagnose, an Dinge die ihm genommen werden . Er wird nicht erwachsen werden, er wird seine Schule nicht zu Ende machen dürfen , er wird seine erste Liebe nicht kennen lernen , keinen ersten schüchternen Kuss erleben dürfen, er wird sich nicht für einen Beruf entscheiden dürfen und darf sich nicht über den Führerschein und sein erstes Auto freuen ,keine Familie gründen und erfahren dürfen wie wundervoll und erfüllend es ist ein Kind aufwachsen zu sehen. Das alles wird diesem jungen Menschen genommen durch diese entsetzliche Krankheit.
An diesem Abend ,auf dem Rücksitz im Auto meiner Freunde...weine ich das erste Mal um Mikail und habe ein wenig Angst vor dem was ich mir vorgenommen habe.
Dann beruhige ich mich selbst in Gedanken wieder und sage mir selbst, dass ich das schon hinbekommen werde. Denn schließlich wurde ich ja ein Jahr lang auf diese Aufgabe vorbereitet und weiß auf was ich mich einlasse und welcher Weg mich erwartet mit einem schwerkranken Kind .Aber hätte es nicht einfach “ nur” ein mehrfach schwerst behindertes Kind sein können, warum gerade ein Kind das aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr lange leben darf. Dann wieder bin ich erleichtert das Beate gerade mich auserwählt hat um Mikail und seine Familie zu begleiten. Die Chemie stimmte vom ersten Augenblick an, auch Beate hat das sofort gespürt das Mikail und ich bestimmt ein gutes Team werden. Sie sagt mir noch, das sie fest daran glaubt das Gott sie führt in ihren Entscheidungen wen sie zu welchem Kind zur Begleitung schickt ;-)

Als wir in Mannheim ankamen, hab ich dann erst mal beschlossen meinen Abend mit Bülent und meinen Freunden zu genießen und hab versucht nicht an meinen neuen Freund zu denken....nur manchmal ganz leise....hat er sich dann doch noch an dem Abend in meine Gedanken geschlichen .

4 Tage später am 17.12.2011 besuche ich Mikail das erste Mal alleine ohne Beate.Ein wenig aufgeregt bin ich ob wir uns auch bei unserem 2. Treffen so gut verstehen werden.. Zuerst war er ein bissel schüchtern, möchte nicht aus dem Badezimmer kommen um mich zu begrüßen, als er sich dann aber doch traut ist das Eis schnell gebrochen. Thema Nummer 1.....mein Samsung Galaxy und das I-Phone seines Papas.
Aber auch von seiner Schule erzählt er mir und vom Fußball spielen.. Er beklagt sich auch über das “doofe Krankenhausbett “ das er jetzt in Omas Wohnzimmer stehen hat. Er sagt er schläft lieber auf der Couch, er mag dieses Bett nicht wirklich .
Sein Papa ist auch zeitweise bei uns und er spricht mit mir über seine Hoffnung. Der Hoffnung das alles wieder gut wird , das die Ärzte in Homburg Kollegen in Berlin kontaktiert hätten. Diese würden jetzt prüfen , ob es die Möglichkeit einer OP für Mika gibt. Bei dieser Behandlung bekäme er Spritzen in seinen Kopf, müsste dafür aber nach Berlin in die Charite .Als ich das höre, keimt auch in mir Hoffnung auf.....wenn die Ärtze noch Hoffnung haben...warum sollte es keine Hoffnung geben ?

Mikails Tumor ist ein besonders bösartiger ..er ist wie ein Spinnenetz das sich um sein Gehirn spannt und sich wie Klebstoff darin festbeisst...Mika bekommt Medikamente um das Wachstum aufzuhalten.. Viele Medikamente muss der kleine Kerl jeden Tag schlucken und zwischendurch immer wieder Termine zur MRT um zu kontrollieren wie der Tumor sich verhält. Mika redet am Anfang nicht viel über seine Krankheit. Er beklagt sich nur manchmal über die vielen Medikamente die er einnehmen muss. Bei
einem Besuch nahm er meine Hand und sagt zu mir: Steffi ich hab doch gar nichts Böses getan....warum muss ich so krank sein ? Ich hab Mika dann fest in den Arm genommen und ihm erklärt das seine Krankheit keine Strafe ist für etwas was er getan hat. Das es einfach keine Antworten gibt ....warum es gerade ihn getroffen hat. Wir reden über Gott ( Mika und seine Familie sind Moslems ) und ich merke schnell das es keine allzu großen Unterschiede gibt, zwischen Christentum und moslemischen Glauben. Wir sind uns einig das wir an den selben Gott glauben unseren Glauben halt ein wenig anders leben.

Mein Glaube ist sehr stark und ich fühle ,egal wie man glaubt.....die Liebe,die Hoffnung .der Zweifel und auch die Angst....all das bleibt gleich.

Warum lässt Gott zu das ein junger Mensch eine solche Last auf den Schultern trägt ?
Viele denken es sind Prüfungen die Gott auferlegt. Ich glaube das nicht ! Ich glaube das Gott den Weg ,und sei er noch so schwer und steinig, mit uns geht, ich glaube das er uns trägt und uns auch erlöst wenn die Last für uns nicht mehr tragbar ist.

Ich besuche nun Mikail öfter und unsere Beziehung wird immer herzlicher, näher und auch emotionaler. Irgendwie ist es auch für die Familie normal das ich immer wieder mal vorbeikomme und mit Mika Zeit verbringe....mal ist es nur eine halbe Stunde mal verbringe ich Stunden bei ihm. Ich geh zur Zeit nicht arbeiten, habe ein paar Wochen Auszeit und verbringe meine Zeit gern mit ihm. ich mag seine freche unbekümmerte Art auf Dinge zuzugehen und auch Dinge wegzulächeln hat er sehr gut drauf.

Im Januar werde ich informiert das Mika in der Uniklinik auf der Kinderkrebsstation liegt. Ich bin geschockt und verfalle direkt in Alarmbereitschaft....was passiert nun....was erwartet mich wenn ich zu ihm gehe. Ich weiß nur von den letzten Besuchen das Mika wohl gehäuft epileptische Anfälle hatte .Das schockt zum einen und zum anderen bekam die Familie auch noch die Absage von den Berliner Ärzten. Diese wollen nicht operieren, Mika hat laut ihnen keine Chance.

Ich fahre also in die Uniklinik und besuche Mika auf der Kinderkrebsstation. Als ich die Tür zur Station öffne, habe ich das Gefühl eine andere Welt zu betreten . Eine farbenfrohe, bunte Station erwartet mich.....und dennoch ist diese teuflische Krankheit überall gegenwärtig. An den Wänden hängen Bilder von ehemaligen kleinen und jungen Patienten, die meisten mit Dankschreiben der Eltern oder der Kinder. Es sind aber auch Bilder dabei, auf denen nichts steht....ich frage mich in Gedanken ob es diese Kinder nicht geschafft haben. Ich gehe zum Schwesternstützpunkt und stelle mich als Mitarbeiterin des Kinderhospizdienstes vor und frag nach der Zimmernummer von Mika.. Als ich das Zimmer betrete finde ich Mika in seinem Bett am Fenster vor, Kindervorhänge am Fenster machen das Zimmer bunt .Mika sieht bleich aus und irgendwie anders. Ich gehe zu ihm und frage ihn ob ich ihn mal umarmen und einen Kuss geben darf. Er hält mir seine Wange hin und lacht, ich küsse ihn auf die rechte Wange und er dreht den Kopf damit ich ihn auch auf die linke Wange küssen kann.. Ab diesem Tag machen wir das immer so....er hält mir grinsend und irgendwie gönnerhaft rechte und linke Wange zum Kuss hin. Es ist mittlerweile unser Begrüßungsritual....ich empfinde das als sehr wertvolle Geste....denn ich weiß nur zu gut von meinem Sohn, das dies im Teenageralter nicht so gern von den Jungs hingenommen wird.

Mika hat auch in der Klinik immer wieder mal epileptische Anfälle und er wird auf neue Medikamente eingestellt. Ich hab von der medizinischen Seite keine Erfahrung und auch keine Ahnung. Ich bekomme das nur so am Rande mit. Dann am 17.01.2012 steht eine Op an....Mika soll ein Ventil eingesetzt bekommen damit der Druck im Kopf nachlässt. Wie schon gesagt ,ich habe von der medizinischen Seite keine Ahnung...ich kann es nur so wiedergeben wie sein Papa es mir erklärt hat.

Am Tag der OP sind wir alle in der Klinik, auch seine Mama lerne ich an dem Tag kennen. Mika hat laut seiner Aussage keine Angst ,aber ich spüre das er aufgeregt ist. Ich frage ihn ob seine Haare abrasiert werden, er sagt nö...das hätte mir Dr.Graf ja mitgeteilt.

Mika wird dann mit seinem Papa zusammen mit dem Krankenwagen abgeholt und in eine benachbarte Klinik gefahren und dann heißt es warten. Eigentlich sollte die OP nach 60 - 90 Minuten vorbei sein, aber es hat dann doch viele Stunden gedauert bis wir Mika zurückbekamen. Beate ist auch da und geht auch noch kurz mit nach oben und verabschiedet sich dann. Auch ich gehe nur noch kurz zu meinem kleinen Freund und begrüße ihn zurück auf der Station. Das erste was mir auffällt ist das seine Haare abrasiert wurden. Er liegt kraftlos in seinem Bett und ist sehr müde. Seine Mama und ein Onkel sind da und er macht Fotos von Mika und seiner Mama. Mika will das Foto sehen und in dem Moment fällt ihm auf das seine Haare abrasiert wurden .Mika ist total geschockt und wirft das Handy weg und beschwert sich das ihm das keiner vorher gesagt hat. Er beruhigt sich aber schnell wieder. Der Pfleger und die Schwester kommen rein um nach ihm zu sehen und er fängt an Witze zu reißen und rumzuflachsen. So kenne ich ihn, immer einen frechen Spruch auf den Lippen und zu allem Schabernack bereit.

Ich verabschiede mich von dem tapferen jungen Mann und verspreche ihm wiederzukommen .

So geht es weiter....die Zeit ist voller Hoffnungen und dann wird einem der Boden wieder unter den Füßen weggerissen. Totales Achterbahn fahren.

In meinem Umfeld hat sich längst rumgesprochen das ich Mika begleite....ich bin stolz auf ihn und was wir miteinander erleben und fühlen. Ich werde immer wieder gefragt ,wie ich das aushalten kann. Woher ich denn die Kraft nehme, den Weg mit ihm zu gehen. Ich lächle dann immer und sage, das es gar nicht so schwer ist....ich bekomme ja so unendlich viel zurück ...von Mika und seiner Familie.

Das sage ich.....aber wenn ich alleine bin ....sieht die Welt anders aus....ich bin unendlich traurig und falle manchmal ins bodenlose ;-)

Aber ich kann das niemanden zeigen ....noch nicht mal meinem Gerold. Das vereint sich nicht mit meinem selbst auferlegten Perfektionismus den ich mir in den letzten Jahren zu eigen gemacht habe. Denn schließlich bin ja Profi....ich muss die Familie stützen in ihrem Leid....ich darf nicht leiden....jedenfalls soll es keiner mitbekommen.

Ich finde mich irgendwann in selbst auferlegtem Aktionismus wieder....!
Mikail liebt Bülent...also rufe ich beim Kulturbüro von Bülent an und erzähle der Frau von Mikail....von seiner Krankheit...der Aussichtslosigkeit und sie schickt meinem kleinen Freund ein Päckchen...mit DVD, T-Shirt und Autogrammkarte.Er hat sich irre gefreut...(die DVD kennt er jetzt auswendig vom immer und immer wieder angucken )

Das hat mir aber nicht gereicht....da Bülent nach Saarbrücken kommt, habe ich mich an Salue gewandt ob es nicht eine Möglichkeit gäbe das Mika zur Vorstellung kann und Bülent vielleicht mal die Hand schütteln darf.

Ich bekam eine supernette Mail von Salue zurück mit der Telefonnummer von einem jungen Mann der mir dann zusagte das Mika mit seinen Eltern reservierte Plätze ganz vorne in der Vorstellung haben wird und danach zur Autogrammstunde von Bülent in der ersten Reihe steht .Ich wurde herzlichst zu dem Abend mit eingeladen.

Ich bin mir nicht sicher ob die Verantwortlichen wissen welch großes Geschenk sie mir damit machten, diesen letzten schönen Abend mit Mika und seinen Eltern gemeinsam erleben zu dürfen.

Ich muss nicht erwähnen das Mika total aus dem Häuschen war als er erfuhr das er zu Bülent eingeladen war....;-)

Aber bis dahin war noch Zeit.....

Mika hatte noch einen weiteren kleinen Wunsch, er wollte mein Zuhause kennen lernen. Er wollte wissen wie ich lebe, er wollte Gerold kennen lernen und die Katzen und den Garten sehen.

Bis jetzt hab ich Mika ja immer nur zuhause oder in der Klinik besucht. Ich hatte ein bissel Angst vor der Verantwortung ihn abzuholen, schon allein die Autofahrt mit ihm macht mir Angst. Was ist wenn was passiert....wenn ich mit ihm alleine bin...was ist wenn zuhause was passiert...ich konnte nächtelang nicht schlafen vor lauter Aufregung.

Gerold war so lieb....er hat alles mit vorbereitet und geplant. Wir wollten grillen mit und für Mika...er hat ihm die Liege rausgestellt. (Mika musste mittlerweile im Rollstuhl sitzen, er ist auf der linken Seite total schwach und kann sich nicht mehr wirklich auf den Beinen halten...er kippt immer wieder um )

Sandra unsere Mieterin und meine Freundin bot sich an mit mir gemeinsam zu Mika zu fahren um ihn abzuholen. Sie kannte ihn bis dato nur vom erzählen.

Sandra hat vor ein paar Monaten einen gemeinsamen Bekannten von uns auf seinem letzten Weg begleitet....bis ins Hospiz nach Saarbrücken ...bis zu seiner letzten Minute. Ich hab sie damals ein wenig unterstützt ....hab viele Stunden mit ihr zusammen am Bett von Kurt gesessen und die letzte Nacht mit ihr an seiner Seite verbracht.....2 Stunden bevor er starb musste ich ins Büro. Diese Stunden und viele Gespräche und Tränen um Kurt haben uns in einer besonderen Art miteinander verbunden .

Wir holten Mika also gemeinsam ab und es war einfach nur ein wunderbarer Nachmittag.

Mika lag in unserem Garten in der Sonne auf einer weichen Decke auf der Liege, zugedeckt mit einer Daunendecke und ließ sich von der Sonne wärmen.(er nannte es "chillen" ) Er sah Gerold beim grillen zu und nahm irgendwann meine Hand und bedankte sich. Ich fragte ihn wofür er sich bedankt. Er meinte für alles was Du und Gerold für mich tun.. Ich wehrte ab und sagte ihm das es nix zu danken gibt das wir ihn gern haben und das gern tun und den Tag mit ihm genießen. Er nahm meine Hand noch fester in seine Hand, schaute mir ernst in die Augen und meinte: Steffi , das hat was mit Respekt zu tun....darum danke ich für alles was ihr tut.

Hab ich schon erwähnt das Mika ein ganz besonderer junger Mann ist ?

Vielleicht liebt Gott ja diese besonderen Kinder ganz besonders und hat was ganz besonders Schönes mit ihnen vor und will sie ganz nah bei sich haben ?

Irgendwann gehen wir rein in die Stube und legen uns auf die Couch....wir kuscheln miteinander und schauen fern. Wir essen gemeinsam und irgendwann kommt Sandra noch ein bissel mit ihren Zwillingen runter und Mika genießt den Tag in vollen Zügen. Als es Zeit wird nach Hause zu fahren fragt Mika ob er bei uns schlafen darf. Ich erkläre ihm das dies heute leider nicht möglich ist ,Panik mach sich bei mir breit...diese Verantwortung will ich nicht tragen...nicht über Nacht. Was wäre wenn die Stunde Null hier bei einer Übernachtung kommt ? Ich kann hier nicht ausziehen ,es ist Gerolds Elternhaus....ich kann nicht einfach einpacken und die Erinnerung zurücklassen und anderswo neu anfangen .Wir müssten damit leben...das könnte ich nicht und will es auch nicht !

Später als Mika wieder daheim ist, rede ich lange mit Gerold ,ich danke ihm für den schönen Tag ,den er maßgeblich mit getragen hat sonst hätten wir ihn nicht erleben können.
Erinnerungen werden bei ihm wach...er hat seinen Papa hier im Haus gepflegt und auch er saß am Schluss im Rollstuhl.

Ich merke das ich auch eine Verantwortung Gerold gegenüber habe...ihn bedrückt das Ganze auch ...aber er stützt mich trotzdem...welch wunderbaren, tollen Mann ich doch habe.

Ich rede in diesen Tagen auch viel mit Sabine und Kerstin. Sie kennen mich ,wie nur beste Freundinnen einen kennen. Sie hören zu ,trösten, bauen auf und ich weiß das sie mich am Ende auch auffangen werden.

Gerold, Sandra, Sabine, Kerstin und Peter sind mir der allergrößte Halt in der Zeit und halten viel aus ....ich merke auch das sie Angst um mich haben .Für sie bin ich in der ganzen Tragödie das Wichtigste ,aber ich kann diese Angst und die Sorge die sie um mich haben nicht an mich ranlassen .ich lächle sie weg wie alles in dieser Zeit .
Ich muss ja "Profi" sein ! Das glaube ich jedenfalls.

Ein paar Tage danach telefoniert Mikas Papa mit mir und teilt mir mit das sie in der Klinik waren und die Ärzte gesagt habe das es nun immer schlechter um Mika steht und er nicht mehr lange leben wird.. Er solle jeden Tag mit seinem Kind genießen....die geplante Röntgenuntersuchung wurde abgesagt.

Ich frage ihn ob Mika Bescheid wüsste....er meinte Nein....er wüsste auch nicht wie er es ihm sagen sollte.

Es habe wohl schon ein Gespräch mit dem Iman gegeben ( im moslemischen Glauben hat er wohl die Funktion wie bei uns Christen der Priester) und er habe Mika erklärt das er keine Angst zu haben braucht. Gott liebt ihn ganz besonders !

Mich wühlt dieses Telefonat mit Mikas Papa sehr auf ,ich muss reden ...versuche Beate zu erreichen sie geht nicht an ihr Handy...aber sie ruft immer zeitnah zurück..
Ich will Gerold nicht noch mehr belasten und gehe hoch zu Sandra. Sie liegt im Bett und ich leg mich zu ihr und wir rauchen und reden ;-) Wir reden über den gemeinsamen Tag mit Mika und reflektieren ihn .

Endlich das Telefon klingelt und Beate ist dran, ich rede mit ihr ...erzähle ihr von dem Gespräch des Arztes mit Mikas Papa. Beate hat eine wunderbare warme und mütterliche Art an sich. Sie hört mir zu und wärmt mich mit ihrer lieben ,sanften Art.

Ich frage sie ob ich alles richtig mache ,ob ich mich richtig verhalte und ob es nicht besser wäre mit Mika zu reden ,ich mag ihn nicht anlügen. Er muss doch wissen wie es um ihn steht und er vertraut mir doch .

Beate meint ich mach alles richtig und so wie ich bin, ist es alles gut..... ich soll mich jetzt einfach auf den Abend mit Mika bei Bülent freuen und diesem Abend genießen. Es wäre unser Abend den ich ihm ermöglicht habe....das wäre etwas ganz Besonderes .

Bei dem Gespräch kommen mir das erste Mal im beisein von anderen die Tränen...sonst weine ich immer heimlich um meinen kleinen Freund.

Nach dem Telefonat sagt Sandra zu mir . Steffi Du musst nicht immer stark sein....wir sind für Dich da...Du darfst auch traurig sein und weinen.

Ich erkläre ihr das dazu jetzt keine Zeit ist....wenn die Stunde Null da ist...dann werde ich Sie brauchen aber zur Zeit muss ich noch irgendwie funktionieren .

Was mich besonders belastet ist die Tatsache, das sich die verdammte Welt einfach weiterdreht .Der ganze verdammte Alltag geht weiter.....!

Ich würde die Welt zu gerne für einen Moment anhalten ....!

Ich muss jeden Tag ins Büro.....muss lachen und freundlich sein.....wenn ich einkaufen gehe ....denke ich manchmal....die ganzen Leute hier um mich rum...lachen....und leben ihr Leben weiter als sei alles normal...während dessen kämpft Mika um sein junges Leben.

Einmal die Welt anhalten können....ein unerfüllbarer Wunsch ;-(

Gerold und ich pflanzen ein Kirschbäumchen für Mika ! So nah an unserem Haus das ich ihn vom Fenster aus sehen kann. Mika weiß von dem Bäumchen...er hat sich die Frucht ausgesucht. Er steht draußen und trägt schon Blüten...er wächst und gedeiht. Er soll Früchte für uns und Mikas Familie tragen...Mika soll weiterleben in diesem kleinen Baum...er wird wachsen....groß werden...Früchte tragen...der Stamm wird an Stärke zunehmen...an Umfang zunehmen. ...jedem Wetter trotzen und die Faust zeigen. Er wird sich im Sturm biegen, aber nicht brechen ! Er wird in jeder Jahreszeit ein anderes Kleid tragen und er wird uns Mika nie vergessen lassen. Meine Lieblingsbank wird seinen Platz an diesem Bäumchen bekommen, damit dieser Platz auch ein Ort der Stille, Einkehr, Besinnung und Erinnerung wird.

Bei jedem Besuch merke ich das Mika schwächer wird....sein Körper gehorcht ihm immer weniger....er verbringt die meiste Zeit in seinem verhassten Krankenbett, muss Windeln tragen ,behält kaum noch Essen bei sich. Ich mach mir Sorgen das er den Tag bei Bülent nicht erleben wird !

Doch dann ist er endlich da ...unser Freitag ...der Tag an dem wir zu Bülent fahren.

Als ich auf dem Weg vom Büro nach Hause bin, ruft Beate an und sagt mir das Ismail mit ihr telefoniert hat. Mika weiß jetzt ganz genau wie es um ihn steht, er habe mit seinem Papa gesprochen und ihm gesagt das er keine Angst zu haben braucht...er gehe ins Paradies und da ist alles gut.

Ich bin erleichtert...und freu mich auf unseren Abend.

Das erste was mir auffällt an Mika an diesem Abend...ist sein veränderter Blick. er schaut mich anders an ....man sieht es ihm an das er es weiß und es ihm bewusst ist. Ich kann es nícht beschreiben...in seinen Augen liegt Tiefe und Wissen...ich merke das er mich immer wieder so seltsam von der Seite aus anschaut.

Bei Bülent ist es einfach nur klasse !

Wir werden schon an der Tür abgeholt und werden den ganzen Abend durch von Bülent's Team begleitet. Wir haben tolle Plätze ,werden nach der Show abgeholt und zur Autogrammstunde gebracht.
Während der Show ....wirkt Mika immer wieder kraftlos, ich frage ihn dann ob er lieber heim will....dann geht ein Ruck durch den kleinen Körper und er richtet sich wieder auf. Nein er will nicht heim, er will zu seinem Bülent zur Autogrammstunde ;-) zwischen durch streichelt er meine Hand oder über meine Gesicht...es ist seltsam...vorher hab ich ihn immer berührt und gestreichelt. Ich hab das Gefühl er will mich trösten und aufrichten. Er ist ein bemerkenswerter junger Mensch.

Bülent lässt nur noch eine begrenzte Anzahl von Fans zur Autogrammstunde...sonst müsste er Stunden damit verbringen nach der Show noch Autogramme zu schreiben.

Ich nehme mich zurück ,beobachte das ganze und lasse diesen Moment nur der Familie....den Eltern und Mika. Bülent ist wunderbar, er umarmt Mika ,schreibt Autogramme für ihn und seine Eltern ,signiert auch noch das Poster das er ihm geschenkt hat und ist ihm nah.

Nachdem sie sich von Bülent entfernen gehe auch ich zu Bülent und gebe ihm die Hand. Ich danke ihm für den wundervollen Abend .Er legt seine linke Hand um meine Hand die in seiner rechten Hand liegt und sagt nur : Ich weiß Bescheid !

Er ist der Botschafter eines stationären Kinderhospizes in Mannheim und ich spüre warum gerade er diese Aufgabe hat. Sein Blick spricht Bände !

Danke Bülent !

Als wir nach draußen gehen, geht es Mika sehr schlecht. Er erbricht und zittert am ganzen Körper.

Zuhause liege ich noch lange wach und weiß das dieser Abend ein besonderes Geschenk war. Er wird mir mein Leben lang in Erinnerung bleiben, eine Erinnerung an Mika ,die mir niemand mehr nehmen wird. Nur seine Eltern und ich durften diese Stunden mit ihm erleben....sein größter Wunsch ging in Erfüllung und ich hatte das Glück dabei sein zu dürfen .ich bin unendlich dankbar und traurig !

Den nächsten Tag rufe ich Mika an....er weiß nicht mehr das er bei Bülent war. Ich sende ihm die Bilder auf sein Handy und verspreche ihm ein Album von dem Abend anzulegen.

Die Erinnerung kommt ein paar Tage später wieder zurück...;-)

Dieser verfluchte Tumor !

Ich besuche Mika immer wieder zuhause, er wird immer schwächer ! Mika wünscht sich von mir noch mit meinem Auto mitfahren zu dürfen. ( ich habe einen BMW E 36, tief und breit ...er liebt mein Auto )
Also hole ich ihn ab ,wir packen den Rollstuhl in den Kofferraum und fahren los. Seinen Sitz haben wir so eingestellt das er fast liegt und er genießt jede Sekunde. Wir machen einen Stop bei mir zuhause damit er sein Bäumchen sehen kann..Im Rollstuhl fahre ich ihn durch unseren Garten , er kann sein Bäumchen sehen und sich von der Sonne streicheln lassen. Nach ein paar Minuten muss ich ihn schon wieder ins Auto setzen ,weil er sich nicht in seinem Rollstuhl halten kann....;-(

Wir liegen beide im Auto.......das Schiebedach offen und schauen in den Himmel .Ohne zu reden....wir liegen einfach nur da. Irgendwann kommt unsere Katzendame Sisi uns im Auto besuchen und legt sich schnurrend zu Mika auf den Bauch.

Mika ist glücklich !

Bei jedem Besuch merke ich das Mika immer schwächer wird. Er liegt nur noch im Bett , er schläft viel ,versucht zu essen ,erbricht wieder alles und hat nur noch wenige "Wachphasen"

Ich biete der Familie an das ich eine Nacht der Wache übernehme, damit sie mal eine Nacht ohne Angst um ihn schlafen können .

Ich schmuse viel mit ihm , streichele ihm sein Gesicht...das mag er ,ich creme und öle ihn ein, massiere ihn und beobachte ihn stundenlang.

Am 30. April abends gegen 21 Uhr ruft Mikas Opa an, er wurde mit dem Notarzt in die Klinik gebracht. Ich fahre sofort zu ihm und finde ihn kraftlos in seinem Bett, Medikamente laufen über Infusionen in seinen Körper. Er ist wach....seine Omi und sein Opa sind da und er kuschelt mit den beiden . Ich beschließe die Nacht da zu bleiben. Papa und Stiefmama haben ein Appartment im Ronald Mc Donald's Haus in unmittelbarer Nähe der Kinderkrebsstation. Ausserdem steht noch ein weiteres Bett in Mikas Zimmer.Ich darf bei Mika im Zimmer schlafen .Papa fragt Mika wer bei ihm im Zimmer bleiben soll und er möchte das ich bei ihm die Nacht verbringe.

Ich geh noch mit seinem Papa nach unten vor die Türe ,wir reden und rauchen .
Dr. Graf kommt grade die Tür raus, er hat Feierabend und bleibt noch kurz bei uns stehen und redet mit Ismail. Ismail erklärt ihm das er es zuhause nicht mehr packt mit der Pflege und sie alle Angst haben und er sich entschlossen hat das Angebot anzunehmen das Mika die Zeit die ihm noch bleibt in der Klinik bleibt .Er fragt den Arzt wie lange der Junge hat. Dr. Graf kann keine Prognose stellen ,er sagt nur das Mika schon "sehr weit weg ist" .

Die Nacht bei Mika ist sehr ruhig , ich liege einfach nur im Bett neben ihn und betrachte ihn und bin einfach nur da. Er wacht 2 mal auf , nur dann stehe ich auf und kuschele mit ihm ,ich streichle sein Gesicht ,küsse und schmuse mit ihm...so wie er es mag.

Mir ist vor Tagen schon einmal aufgefallen, das Mika nie weint....nur manchmal steht in seinem Augenwinkel ein kleines Tränchen .Er ist unglaublich tapfer und "erträgt" im wahrsten Sinne des Wortes.

Auch in dieser Nacht fällt mir nur 2 mal ein Tränchen auf ,das ich ihm dann wegtupfe.

Er schaut mich mit großen, fragenden Augen an...er hat wunderschöne Augen . Ich sage ihm das er keine Angst zu haben braucht, ich bin bei ihm und es wird alles gut werden .Das verspreche ich ihm und ich erinnere ihn daran das ich jedes Versprechen das ich ihm je gegeben habe immer eingehalten habe.Er sich auf mein Wort verlassen kann.

Heute morgen um 5 Uhr fahre ich nach Hause


© Stefanie Dörr


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