Unruhe. Keine Befriedigung. Kein Rat, keine Hoffnung. Kein Leben, alles tot. Das Leben ist falsch. Gespielt, alles künstlich. Ich möchte ihn nicht mehr. Seine Nähe möchte ich nicht mehr ertragen müssen. Seine Angst nicht in meiner spüren. Flüchten, aber wohin? Er sitzt da am Wohnzimmertisch. Zündet sich seine Zigarette an. Er merkt nicht, dass es mich stört. Warum sitze ich hier? Ich kann hier nicht atmen. Meine Hände verkrampfen. Er sagt nichts. Diese Stille. Unerträglich. Ich beobachte ihn. Er zündet die nächste Zigarette an. Hält auf seinem Schoß ein Notebook. Er tippt. Das Geräusch füllt den Raum. Mein Atem wird lauter. Warum tut er das? Warum tat er das? Er atmet aus. Jeden Tag atmet er. Sein Atem ist dunkel. Er hört nicht auf an der Zigarette zu ziehen. Er legt seinen Finger um sie. Damals ist er gegangen. Ich wollte ihn bei mir haben. Wollte ihn nicht gehen lassen. Aber er ist gegangen. Nach Afghanistan. Wochenlang hockte ich hier. Ich war einsam. Hatte gehofft, dass er zurückkommt. Aber er kam nicht. Jemand anderes kam zu mir. Der Mann, der vor mir sitzt. Ich kenn ihn nicht. Was ist nur mit ihm geschehen? Sein Blick schweift nach oben. Starrt mich an. Mein Herz klopft. Wer schaut mich da an? Sein Mund öffnet sich. Er wird etwas sagen. Der Vorhang geht auf. Die Bühne erscheint. Die Show kann beginnen. „Wir waren lange nicht mehr zusammen aus.“ Der Akteur hat gesprochen. Die zweite Darstellerin kommt auf die Bühne. Sie spricht nicht. Ihr Gesicht verzieht sich. Ich schmecke die Zigarette. Ich atme es ein. Ihn. Jeden Tag. Warum spricht er nicht von Ehrlichkeit? Gekrümmt sitze ich auf dem Sofa. Finde keine Beschäftigung. Die einzige, die ich habe, ist ihn anzustarren. Seine blauen Augen. Seine eiskalten, blauen Augen. Sie sahen eine andere Welt. Sie sahen etwas, was ihn kaputt machte. Sie töteten. Ich kann nicht mehr. Ich will das nicht. Nichts ist echt. Er will es nicht wahrhaben. Keine Berührung, kein Wort. Nichts ist mehr Liebe. Ich verachte ihn. Seine Hand auf meinem Körper ekelt mich. Die Hand, die Menschen umgebracht hat. Was soll ich sagen? Die Schauspielerin spricht nicht. Wo ist die Souffleuse? Der Regisseur hat es geschrieben. Ich kenne keine Antwort. Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Ich kann nicht ignorieren. Die Wärme der Zigarette umhüllt seine Kälte. Die Dritte. Er hat getötet. Auf Menschen eingeschlagen. Immer weiter. Immer mehr. Er raucht sie nicht zu Ende. Seine Munition ist leer. Er zerdrückt die Zigarette auf dem Boden des Aschenbechers. Aggressiv. Gewalttätig. Drückt fester drauf. Dabei ist die Zigarette schon längst aus. Warum hat er nicht aufgehört auf den Menschen einzuschlagen? Was hat ihn so zerstört? Was hat ihn so verändert? Was hat den Stein zwischen uns gelegt? Er starrt mich an. Tut so, als würde es mir nichts ausmachen. Seine Zeit in Afghanistan liegt zwischen uns. Er ist nicht mehr derselbe. Nicht mein Freund. Alles nur Show. Wie lange wird er dieses Theater noch spielen? Warum beendet er es nicht? Warum ist er nicht ehrlich? Ich möchte ehrlich sein. Afghanistan hat ein Tier aus ihm gemacht. Er ist kein Mensch mehr. Nicht dieser, den ich liebte. Er schlägt weiter drauf ein. „Hör auf!“, schreie ich. Die Vorhänge schließen sich. Der Regisseur hat versagt. Ich kann nicht mehr“, Meine Stimme bebt. „Ich möchte deine Hand nicht mehr auf meinem Körper spüren. Ich kann dich nicht mehr lieben.“ Seine Augen füllen sich mit Tränen. Sein Gesicht wird nass. „Afghanistan ist vorbei“ flüstert er. Ich schlucke. „Das Schauspiel muss auch beendet werden.“ Er wird mich nun fragen, wovon ich rede. Was ich meinen würde. Aber er tut es nicht. Er sieht mich an. So wie er mich zuletzt vor Afghanistan angesehen hat. „Wir lieben uns doch und das ist alles was zählt. Wir schaffen das.“ Ich schüttle den Kopf. Kann keine Tränen mehr zurück halten. „Du schaffst gar nichts. Du ziehst dich raus. Das ist nicht mehr das Wahre und du bist nicht der Mensch, den ich mal geliebt habe. Der, der damals fort gegangen ist. Er ist gegangen und geblieben.“ Ich kann sein Schluchzen hören. Seine Wut spüren. Er verlässt das Haus. Verlässt mich schon wieder. Diesmal vielleicht für immer. Aber ich kann ihn nicht aufhalten. Ich kann ihm nicht mehr helfen. Zu lange haben wir uns etwas vorgespielt. Zu lange war ich Teil des Stückes. Zu lange hatte ich die Bilder vor meinen Augen. Die Bilder, der Zigaretten, die er raucht. Die er zerdrückt.


© Jolly


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Beschreibung des Autors zu "Alles nur Show"

Immer wieder kommt es vor, dass Soldaten psychisch nicht mit ihren Kriegserfahrungen umzugehen wissen.
Diese Geschichte beschreibt, wie eine Lebenspartnerin, das von ihrem Freund zu spüren kriegt und wie unerträglich eine Beziehung sich anfühlen kann, wenn sie keine Liebe mehr ist.

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