Heute kommt der Nikolaus. Grosseltern, Onkel und Tanten sind alle da, um mit der kleinen Erna das erste Mal den Besuch des heiligen Mannes zu erleben. Erna freut sich. Seit kurzem lernt sie Querflöte spielen. Was sie bereits kann, möchte sie dem Nikolaus vorspielen. Die Querflöte liegt griffbereit zum Spielen parat. Und für den Nikolaus steht ein bequemer Fauteuil bereit.

Die Verwandtschaft ist versammelt. Halt, einer fehlt: Onkel Hans! Wo bleibt er bloss. Hoffentlich ist er rechtzeitig zurück vom Zahnarzttermin. Erna würde es bedauern, wenn er ihren grossen Auftritt vor dem Nikolaus verpassen würde. Immer wieder rennt sie abwechselnd zur Tür und zum Fenster.

Da, plötzlich ein feines Klingeln im Treppenhaus. Habt ihrs auch gehört? Das ist Sankt Nikolaus! Jetzt wird Erna ganz still und schmiegt sich an Vater. Mutter öffnet die Tür und lässt Nikolaus herein. Er ist allein. Kein schwarzer Geselle begleitet ihn. Da fasst Erna rasch Vertrauen und streckt Nikolaus die Hand zur Begrüssung entgegen. Ruhig steht sie vor ihm und mustert ihn genau. Das ist ein lieber und gütiger Mann, der jetzt im Fauteuil Platz nimmt. Er spricht mit ruhiger wohltönender Stimme und lobt Erna für ihr fleissiges Üben der Querflöte.

Erna trägt dem Nikolaus ihre zwei Stückchen vor. Sie spielt gut und freut sich ob dem Lob des Nikolaus. Sie erhält ein Säckchen mit Nüssen und Süssigkeiten und zur Aufmunterung für weiterhin fleissiges Üben ein Magnet mit Querflöte, das sie in ihrem Zimmer an den Heizkörper klicken kann.

Nachdem sich der Nikolaus verabschiedet hat, setzen sich alle an den mit Tannästen und Kerzen gedeckten Tisch, essen Grittibänze, Nussen und Mandarinen. Alle lachen und freuen sich, wie Erna den Besuch des Nikolaus gut gemeistert hat. Am fröhlichsten ist Erna. Ihr hat der Nikolaus besonders gut gefallen.

Da endlich kommt Onkel Hans. Er setzt sich in die fröhliche Runde und isst mit. Erna erzählt ihm, was er alles verpasst hat. Onkel Hans möchte noch einiges wissen zum Nikolausbesuch. Da sieht ihn Erna plötzlich seltsam an: „Onkel Hans, du hast genau dieselbe Stimme wie der Nikolaus!“ Onkel Hans erstickt beinahe am Stückchen Grittibänz. Die Tanten können kaum das Lachen unterdrücken. Nur Vater gibt sich Mühe, das drohende Verhängnis aufzuhalten: „Das meinst du jetzt nur, weil du Onkel Hans auch sehr gern hast!“ Erna akzeptiert dies, aber sie schaut immer noch skeptisch.

Wie lange kann man dieses kluge Kind hinhalten? Denn etwas hat es bereits heute gemerkt: Liebe und Güte kann man nicht hinter einer Maskerade verstecken.


© Pia Koch-Studiger


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