Endlich war Ruhe eingekehrt. Nach den vielen Jahren der Bürgerkriege in Rom, hatte der junge Octavian seine Rivalen bezwungen. In Jerusalem hatte sich Herodes durchgesetzt. Es herrschte eine Ruhe wie über Gräbern hier in Jerusalem, der „Heiligen Stadt“ des Gottes Israels. Das Volk war von den Römern geknechtet nachdem Pompeius das Land in den römischen Herrschaftsbereich eingegliedert hatte. Die Juden probten zwar regelmäßig einen Aufstand, doch brachten sie die Besatzungsarmee nie in ernsthafte Probleme.
Simeon, ein Schreiber war im Tempel und verrichtete sein Gebet, diese alten Worte, indem er seinen Gott um ein Eingreifen in den Lauf der Welt anflehte. Plötzlich war es geschehen, obwohl überhaupt nicht genau wusste was geschehen war. Er blickte um sich, aber alles war ganz normal. Die Priester opferten und reichten Gott die Gaben dar. Die meisten Anderen konzentrierten sich auf das Allerheiligste und flehten Gott auch um nichts weniger an, als dass er in den Lauf dieser Welt eingreifen möge. Simeon spürte sowas wie eine unsichtbare Hand sich auf seine Schultern legen und eine tiefe Gewissheit und Geborgenheit breitete sich in Simeon aus: Er würde die Erhörung seines Gebets tatsächlich noch sehen! Doch was hieß dies? Gott konnte – sollte tatsächlich eingreifen in die Not seines Volkes, um dem Volk seine Unterstützung zugeben zur Verherrlichung seines Namens. Doch hatte sich tatsächlich etwas geändert? Die Römer pressten weiterhin das Volk aus, Herodes baute weiter wie wenn Geld keine Rolle spielte und misstraute allen und jedem. Simeon aber konnte dieses Erlebnis weder einordnen noch als nicht geschehen abtun. Es war Teil seiner Biographie. In passenden und unpassenden Momenten meldete sich die Erinnerung. Es war ihm, als ob sich an diesem Eingreifen die Zeiten teilen sollten. Simeon begann in der Erwartung zu leben.
Als Erwartender, konnte er sein Erlebnis nicht für sich behalten. Seine Frau Sara war sehr erstaunt und freute sich darüber, was für einen gesegneten Mann sie abbekommen hatte. Sie wollte sich aber nicht tiefer in die Sache einlassen. Und das Warten dauerte lange, so dass Simeon wirklich Zeit hatte, über die Natur dieses Eingreifens zu vertiefen. Endlich berichtete er auch der Witwe Hannah von dem Versprechen. Die war davon so angetan! Sie konnte Simeon stundenlang zuhören, wenn er berichtete. Sie hatte Zeit dazu, war sie doch schon fünfundsiebzig Jahre alt und hatte nur einen kleinen Haushalt zu versorgen. Die meiste Zeit verbrachte sie im Tempel.
Abends war sie oft bei Simeon in seinem Haus und gemeinsam malten sie sich aus, was das Eingreifen Gottes für eine Sache werden würde. Simeon, als Schreiber und Hannah, als fleißige Gottesdienstbesucherin, waren sich schnell einig, dass dies Eingreifen Gottes ein Mensch, ein Gesandter Gottes sein müsste. Sie diskutierten oft darüber, ob dieser Gesandte vielleicht ein König sein könnte. Als König mit Macht und Herrlichkeit würde er auf einem Thron sitzen, mit dem Zepter in der Hand und der Gesetzesrolle in der Anderen. Auf seinem Haupt müsste ein goldenes Diadem sein und sein Umhang aus dichtem Zobelpelz. Aber er könnte auch ein Feldherr sein, einer mit starken Muskeln und mit einer glänzenden Rüstung. Wenn er durch die Tore Jerusalems ziehen würde, dann mit seinem siegreichen Schwert. Die Römer würden sich fürchten und zusammenschrecken, wenn sie nur seinen Namen hörten. Ja, so könnte es sein. Oder es könnte auch ganz anders sein. Es könnte aber auch so sein, dass dieser Gesandte ein reicher und weiser Mann sein würde. Einer, der sein Geld einsetzen würde, dass niemand mehr in Armut leben müsste oder in Schuldknechtschaft darben. Ein Mann, der verhindern würde, dass jemand seine Frau und Kinder in Sklaverei zurücklassen müsste, die er in den Jahren seiner Schuldversklavung bekommen hatte.
Es würden auf alle Fälle die herrlichen Segenszeiten anbrechen, welche das ganze Volk herbei sehnte, herbei hoffte, herbei glaubte; die Heilszeit vom „Hügel des HERRN“. So freuten sich und rätselten die Freunde viele Abende bei Kerzenschein. Aus Wochen wurden Monate, Monate wurden zu Jahren. Sie beobachteten die Geschicke der Menschen, die Zeichen der Natur, doch nichts geschah mit der mit der Verheißung. Doch es kamen neue Freunde hinzu und sie alle bestärkten sich gegenseitig in der Erwartung.
Nach weiteren 5 Jahren war Simeon eines Abends allein in seinem Haus. Plötzlich war in dem Raum ein Engel sichtbar. Simeon erschrak, doch der Engel fing seinen Spruch an: „Hab keine Angst, Simeon! Ich bin gekommen, um einiges zu erklären. Es könnte sonst sein, dass Ihr den Auserwählten Gottes nicht erkennen würdet.“ „Nun“, sagte Simeon, „er wird bestimmt ein König sein und aus seinem Palast herrschen.“ Der Engel sah seltsam traurig aus: „Nein, er wird kein Herrscher sein. Er wird in einem Stall geboren werden. Wenn er dann die Schule beendet haben wird, wird er als Bauhandwerker arbeiten, wie sein Vater.“ Simeon fragt verunsichert nach: „So ganz ohne Glanz?“ „Ja, so ganz ohne äußeren Glanz“, bestätigte der Engel. Simeon erkundigte sich weiter: „ Dann wird er bestimmt reich sein, eine große Villa bewohnen, viele Häuser besitzen und sein Volk unterstützen.“ Wieder schüttelte der Engel den Kopf: „Auch hier wirst Du enttäuscht sein. Er wird keine Villa besitzen, ja, nicht einmal ein Haus. Er wird aufhören mit seiner Bauarbeit um ein Wanderprediger zu werden. Ein Wanderprediger, der angewiesen sein wird, dass Andere ihn unterstützen, ihm etwas abgeben von ihren Vorräten oder ihn einladen zum Essen oder Übernachten. Wenn sie es nicht tun wird er hungern und im Freien übernachten müssen“. Die anfängliche Begeisterung wich immer mehr einem beklemmenden Gefühl. Er würde weder ein König noch ein Wohltäter seines Volkes sein. Aber es gab ja noch die dritte Möglichkeit. „Wird er dann wenigstens ein erfolgreicher Prediger, ein feuriger Redner sein, einer der sein Volk anreizt und anführt zum Sieg über die Römer?“ Jetzt blickte der Engel sowas von traurig aus: „Nein, sei jetzt nicht zu sehr traurig! Der Gesandte Gottes wird das Volk nicht gegen die Römer anführen. Nein, es wird sogar so sein, dass er an einem Kreuz sterben wird und die Römer werden das Volk weiterhin auspressen.“ Jetzt war alles aus für Simeon. Der Gesandte Gottes, das Eingreifen Gottes sollte der Reinfall der Geschichte sein! Er sollte am Kreuz elendig verrecken, schlimmer als ein Vieh! Er sollte den Sklaventod erleiden! Gott sollte sich als nutz- und harmlos erweisen! Simeon schwebte zwischen tiefer Trauer und feuriger Wut. Innerlich schäumte er, konnte aber „weder Gift noch Galle speien“, seine Kehle war wie zugeschnürt. Sollte er umsonst gehofft haben? Umsonst gewartet? Stimmte es also doch: „Hoffen und Harren hält viele zu Narren.“
Der Engel trat näher an Simeon heran, legte ihm seinen Arm um die Schulter und flüsterte in sein Ohr: „Unser HERR wusste, dass dies schwer sein wird für Dich. Darum hat ER auch mich geschickt um dich zu trösten, um es Dir zu erklären, damit Du wieder mutig hoffen und harren kannst. Hoffen und Harren macht nur die zu Narren, die auf Grund falscher Voraussetzungen hoffen.“ Simeon sah den Engel wie durch einen Tränenschleier an. Der Engel erklärte weiter: „Der Gesandte wird nicht tot bleiben. Wenn alles hoffnungslos und zu spät erscheint, dann greift Gott ein. Der Gesandte wird auferstehen. Er wird nicht einfach weiterleben sondern auferstehen mit einem Ewigkeitskörper, wie dem Meinen. Er ist dann nicht mehr an diese Erde gebunden sein. Er wird den Thron zur Seite Gottes einnehmen und von da aus herrschen und ein König sein über alle Cäsaren dieser Erde. Er wird auch nicht irgendwann vergessen sein, die Nachricht seines Lebens wird weitererzählt werden. Es wird keinen Landstrich geben indem man nicht von ihm berichtet wird. Er wird aber auch gegen einen viel mächtigeren Feind siegen, gegen die Sünde. Alle diese schrecklichen Auswirkungen – diesen alten Teufelskreis aus bösem Gedanke wird zum bösen Wort wird zur bösen Tat wird zur zerstörerischen Reaktion – wird er zerbrechen. Er wird Frieden machen zwischen Gott und den Menschen, zwischen dem einen Menschen und seinem Feind. So wird er aus alten Gegnern und Feinden neue Freunde und gute Brüder machen. Auf diese Weise wird er das neue Reich beherrschen. Er will die Römer nicht hinaus werfen. Er will aus Römern und Juden Freunde machen die sich vertrauen, die sich gegenseitig helfen.“ Mit diesen Worten war der Engel so plötzlich verschwunden wie er auch erschienen war.
Simeon erzählte in dem kleinen Kreis von der Begegnung mit dem Engel. Die Freunde waren genauso erstaunt, wie er es auch war. Nach einiger Zeit des Nachdenkens und Redens lobten sie Gott dafür, dass er sogar noch tiefer eingreifen würde, als sie es sich ausgemalt hatten.
Nach weiteren Jahren, Simeon war endzwischen vierundsechzig, war er mit der alten Hannah im Tempel um dort zu beten. Nach seiner Gewohnheit blickte er hinüber zu den jungen Familien, welche ihren Erstgeborenen, nach den Geboten Gottes, auslösten. Und wieder war es ihm so als würde eine Stimme zu ihm sagen: „ Siehst Du die junge Frau mit ihrem schon etwas älteren Mann? Ihr Kind - das ist er!“ Simeon ging so schnell er konnte zu der Familie und lachte sie an. Die Eltern lachten zurück als erkannten sie sich. Hannah war ihm gefolgt, und ihr wurde das Kind in die Arme gelegt. Hannah strahlte das Kind an und gab es an Simeon weiter. Das Kind auf dem Arme haltend, fragte Simeon die Eltern nach ihre Namen. „Josef, Maria und Jesus“, war die Antwort. Leise flüsterte Simeon, den Kopf nach oben, gerichtet: „Jetzt kann ich sterben.“ Laut redete er zum Volk über den Gesandten, das Eingreifen Gottes mit diesem Kind. Zur Mutter sprach er viel von den Schmerzen, die sie mit dem Kind erleben würden, war der Familie doch kein leichter Weg beschieden. Maria lächelte schwer: „Ich weiß, aber … auch ich habe SEIN Versprechen.“


© Albrecht Wörz


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Beschreibung des Autors zu "Das Versprechen"

Erzählung nach einem Motiv aus Lukasevangelium 2. Kapitel

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Kommentare zu "Das Versprechen"

Re: Das Versprechen

Autor: ullam   Datum: 19.10.2012 2:45 Uhr

Kommentar: Hallo,Albrecht sehr schön geschrieben,allerdings ein paar Rechtschreibfehler. ullam

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