Sie saßen gemeinsam auf der Couch. Links Ella, rechts Paul. Auf dem Tisch vor ihnen Bier, Schnittchen und Cola. Es war Mittwochabend, kurz vor 19:00 Uhr. Der Fernseher lief. Beide spitzten die Ohren, denn nun war es wieder soweit. Die Lottofee lächelte Ihnen zu. „Guten Abend meine Damen und Herren, herzlich willkommen zur Lottoziehung“, grüßte sie in immergleicher Manier, um dann in einem gespielt ernsten Tonfall fortzufahren: „ Heute wird es besonders spannend, denn im Lotto 6 aus 49 hat sich ein 8-Millionen-Jackpot aufgebaut. Starten wir also direkt mit der Ziehung der Gewinnzahlen“. Die erste Zahl war eine 9. Paul schaute auf seinen Lottoschein und stupste Ella lächelnd an. „Na, das geht ja gut los!“ Die zweite Zahl war eine 10. Paul stutzte. Die dritte Zahl war eine 24. Paul staunte. Die vierte Zahl war eine 2. Paul griff nervös nach der Bierflasche. Die fünfte Zahl war eine 41. Paul fing an, unkontrolliert zu zittern. Die sechste Zahl war eine 21. Pauls Herz drohte zu explodieren. Ella riss ihm den Lottoschein aus der Hand. Verglich die Zahlen. Schnappte nach Luft. Fing an zu schreien. Hielt inne. Schaute noch einmal auf den Lottoschein. Und dann herüber zu Paul. „Wir haben gewonnen!“ japste sie. Paul starrte wie vom Blitz getroffen. „Das gibt es doch nicht, ich habe gewonnen“, wiederholte er, ihr beiläufig den Lottoschein aus den Händen fischend. Er fing an, die Zahlen immer wieder leise vor sich her zu beten, so, als müsse er sich selbst Glauben zusprechen. Eine ganze Weile ging das so, bis sie auf einmal beide anfingen, lauthals zu lachen. Sie fiel ihm weinend in die Arme. Er stieß einen Schrei aus, viel lauter als sie es von gemeinsamen Fußballabenden gewohnt war. Eng umschlungen, genossen sie den Augenblick. Dann ging sie Sekt holen, während er den Lottoschein in der Schublade verschwinden ließ. Kaum, dass er die Schublade wieder geschlossen hatte, kam sie auch schon aus der Küche gelaufen, zwei Sektgläser in der Hand. Sie stießen an. „Ich liebe dich“, sagte sie, fast schon betrunken vor Glück. „Ich liebe dich auch“, erwiderte er. Ihr kullerten die Tränen von der Wange. Dann küssten sie sich. So innig, dass niemand, der dabei gewesen wäre, jemals vermutet hätte, dass die letzten Wochen schwierig waren.

Weit nach Mitternacht lagen sie endlich im Bett. Ella kuschelte sich noch in Pauls Arm und schon war sie eingeschlafen. Paul lag mit offenen Augen wach. Sein Arm drohte einzuschlafen. Also rollte er Ella mit gewohnter Technik zur Seite. Von dieser Last befreit, begann er, die Decke anzustarren. „So viel Geld“, dachte er. „Nie wieder arbeiten“, dachte er. „Endlich frei sein“, dachte er, wobei er seinen Kopf leicht in Richtung Ella drehte. Stunden lag er noch wach. Dann endlich übermannte ihn der Schlaf.

Der Wecker klingelte wie gewöhnlich um 7:00 Uhr. Paul blinzelte auf die andere Bettseite, doch da lag keiner mehr. Kaffeegeruch durchströmte das Schlafzimmer. Jemand stupste die Tür auf. Da stand Ella mit einem großen Tablett in der Hand. „Frühstück im Bett“, sagte sie, „zur Feier des Tages!“ Paul guckte verdutzt, lächelte dabei höflich. Doch plötzlich erstarrte das Lächeln und Worte bahnten sich den Weg tief aus seinem Innersten, die er nicht mehr aufzuhalten vermochte. „Ella“, begann er stotternd, „ich habe die ganze Nacht nachgedacht. Das mit mir und dir, das funktioniert schon seit Langem nicht mehr.“ Ella schaute ihn so entgeistert an, dass Paul das Gefühl hatte, noch irgendetwas hinzufügen zu müssen. Also schob er ein „Findest du nicht auch?“ hinterher. Er hatte kaum ausgesprochen, da hörte er schon das Geschirr vom Tablett poltern. Schnell hielt Ella das Tablett wieder gerade, stellte es dann hastig auf den Tisch und verließ schweigend den Raum. Aus dem Badezimmer hörte Paul sie schluchzen. Zügig zog er sich an. Während er daran dachte, dass das Zähneputzen wohl heute ausfallen wird, nahm er sich noch ein Brötchen vom Tablett und sputete sich, die Wohnung zu verlassen. An der Badezimmertür machte er halt. Er klopfte. „Du, ich muss jetzt zur Arbeit“, sagte er, „wir können dann vielleicht heute Abend reden.“ Er hatte noch nicht ausgeredet, da überkam ihn dieses mulmige Gefühl, gerade alles falsch zu machen. Und auch mit dem nächsten Satz war er im Nachhinein mehr als unzufrieden. „Du musst ja auch nicht sofort ausziehen.“

Auf der Arbeit angekommen, war alles wie immer, aber dennoch anders. Die Empfangsdame winkte ihm freundlich zu, so wie sie es die zurückliegenden 10 Jahre jeden Morgen zu tun pflegte. Paul war schon vor Jahren vom Zurückwinken aufs Zurücknicken umgestiegen. Und so tat er es auch an diesem Morgen. Er mochte sie. Nur geredet hatten sie nie miteinander. Im Fahrstuhl war es so voll wie immer und gleichzeitig auch so still wie immer. Ein paar Bürokollegen waren auch mit eingestiegen. Man lächelte und schwieg. Der Geruch von kaffeearomatischem Mundgeruch, billigem Parfum, Schweiß und der einen oder anderen Flatulenz widerte Paul so an, dass er froh war, in der dritten Etage aussteigen zu dürfen. Erst jetzt kam das Gespräch in Schwung. Bürokollege Erwin klopfte ihm von hinten auf die Schulter. „Und?“, frage er, „gestern Glück gehabt?“ Die Gesprächseröffnung erinnerte Paul daran, dass heute Donnerstag war. Jeder Tag hatte seine eigene Formel. Montags hieß es wahlweise entweder „Scheiß Spiel, oder?“ oder „Geiles Spiel, oder?“ Dienstags hieß es „Die Frage hätte ich aber auch beantworten können!“ Mittwochs: Endlich Bergfest, was?“ Und Freitags schließlich: „Und, was geht am Wochenende?“ Paul reagierte wie immer sehr wortkarg. Nur mit dem Unterschied, dass er sich diesmal dazu gezwungen sah, zu lügen. „Wieder nichts“, entgegnete er freundlich, dabei den Schritt leicht beschleunigend, um das Gespräch nicht vertiefen zu müssen. Im Büro angekommen, wurde ihm das erste Mal so richtig klar, wie sehr er seinen Job eigentlich hasste. Er hasste dieses Großraumbüro. Er hasste seinen Schreibtisch. Er hasste die darauf befindlichen Aktenordner. Und vor allen Dingen hasste er seine immergleiche Arbeit. Formulare bearbeiten. Formulare abstempeln. Formulare archivieren. Formulare vernichten. Paul war Sachbearbeiter in einer Versicherung. Und er hasste diesen Job. Während er durch das Büro schlenderte, fiel ihm allerdings auf, dass er an diesem Morgen nicht nur Hass, sondern gleichzeitig auch ein großartiges Gefühl von Freiheit empfand. Genauso, dachte er, muss sich ein Gefangener fühlen, der das letzte Mal vor seiner Entlassung zum Rundgang geschickt wird. Sein eigener Rundgang führte ihn zunächst einmal zur Kaffeemaschine und endete an seinem Platz hinten links in der Ecke. Er setzte sich. Der Stapel Aktenordner auf seinem Schreibtisch war mittlerweile so hoch, dass er zu kippen drohte. Sein Entschluss stand spätestens in diesem Moment fest. Gedankenverloren streckte er seinen Zeigefinger aus und berührte damit den Stapel. Zu seiner eigenen Überraschung knallten gleich mehrere Ordner zu Boden. Der Krach ließ die Kollegen aufblicken. Einer kam hinzugeeilt, um beim Aufsammeln der herumfliegenden Zettel zu helfen. Nachdem alles wieder an seinem Platz war, nahm sich Paul den obersten Ordner zur Hand und tat so, als würde er darin lesen. Doch seine Gedanken galten an diesem Morgen nicht irgendwelchen Versicherungsfällen. Seine Gedanken galten dem großen Knall, mit dem er seine Arbeit irgendwann im Laufe dieses Tages beenden würde. Zehn lange Jahre hatte ihn sein Chef schikaniert. Zehn Jahre längst fällige Gehaltserhöhungen vorenthalten. Zehn Jahre, die langweiligsten Fälle zugewiesen. Auf keinen Fall wollte er jetzt einfach so gehen. Zehn Jahre hatte er geschwiegen, heute sollte sein Schweigen ein Ende haben. Genüsslich malte er sich aus, wie ihn sein Chef nach Versicherungsfall XY fragen würde. „Ach der“, würde er sagen, „mit dem war ich gerade auf Klo, mir den Arsch abwischen“. Sein Chef würde ausrasten. Er hingegen würde nur grinsen, sich in aller Ruhe eine Zigarette anzünden, ihm den Rauch ins Gesicht blasen und dann einfach gehen. „Vielleicht etwas in der Art“, murmelte Paul, so in Gedanken, dass er seinen Chef gar nicht kommen sah. „Guten Morgen Paul, wie geht’s“, fragte ihn dieser freundlich. „Danke, viel zu tun“, entgegnete Paul, wobei er das zweite Mal an diesem Morgen log. „Das freut mich natürlich zu hören, dass hier keinem langweilig ist! Können Sie mir den Versicherungsfall 223 bis heute Mittag fertig auf den Schreibtisch legen?“ Paul spürte, dass nun seine große Stunde gekommen war. Er hatte Feuer in den Augen. Er öffnete seinen Mund. Und schon schoss es aus ihm heraus: „Bis heute Mittag? Gerne, das schaffe ich gut!“ Sein Blick senkte sich wieder. „Danke“, sagte sein Chef. Er wollte gerade Kehrt machen, da hielt er noch einmal kurz inne. „Paul, ist bei Ihnen alles in Ordnung?“ Paul lächelte. „Danke, mir geht es gut!“ Sein Chef nickte aufmunternd und verschwand. Paul atmete tief durch. Irgendwie hatte er sich dieses Gespräch anders vorgestellt. Er dachte kurz daran, seinem Chef hinterherzulaufen, besann sich aber eines Besseren und öffnete stattdessen sein Mailprogramm. Mit leicht erhöhtem Pulsschlag schrieb er:

Sehr geehrter Herr Peters,
aufgrund privater Veränderungen, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich hiermit meine Arbeitsstelle kündige. Ich bitte Sie herzlich, mich für die verbleibende Zeit freizustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Paul Michalke

Dann drückte er auf „Senden“, beeilte sich anschließend, den Computer herunterzufahren und verließ wortlos das Büro.

Unten auf dem Bürgersteig fühlte er sich das erste Mal an diesem Tag so richtig beschwingt. Ohne groß zu überlegen, was er denn nun mit seiner neugewonnenen Freiheit anstellen sollte, war er instinktiv schon unterwegs ins nächstgelegene Kaffeehaus. Die Kellnerin war außergewöhnlich hübsch. So hübsch, dass Paul inständig hoffte, man könne ihm sein Reichtum irgendwie ansehen. Nett war er, keine Frage. Doch die meisten Frauen bevorzugen eine Kombination aus nett und reich. Er musste an Ella denken. Die hatte sich immer damit begnügt, dass er nett war. Ihn überkam Wehmut. Schade, dass sie sich auseinandergelebt hatten. Schade überhaupt, dass die Zeit immer alles kaputt macht. Nun musste er an Hermann Hesse denken. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, murmelte er vor sich hin, scheinbar so laut, dass die Kellnerin, die ihm gerade seinen Kaffee servieren wollte, aufhorchte. „Haben Sie etwas gesagt?“, frage sie mit charmanter Stimme. „Ach nein“, sagte er, „ich habe nur laut gedacht.“ Sie stellte den Kaffee auf den Tisch, doch statt zu gehen, nahm sie zu Pauls großer Überraschung den Gesprächsfaden wieder auf. „Es ist noch früh am Morgen, müssen sie heute gar nicht arbeiten?“ „Nein, heute habe ich frei“, erwiderte Paul, sich dabei wünschend, er wäre in solchen Momenten spontaner. Aber da er das nicht war, blieb ihm nur, verlegen an seinem Kaffee zu nippen. „Sie Glücklicher“, lachte die Kellnerin, „ich habe noch 5 Stunden vor mir und mir tun jetzt schon die Beine weh“. Sie setzte sich kurz hin und es entwickelte sich eines dieser 5-Minuten-Gespräche, in denen man stichpunktartig die Eckdaten des jeweiligen Lebens durchgeht. Paul vermied es dabei allerdings tunlichst, auf seinen Lottogewinn zu sprechen zu kommen, was dem Gesprächsverlauf möglicherweise gut getan hätte. So aber schallte es nach kurzer Zeit von irgendwoher „Bezahlen“, wodurch sich die Kellnerin veranlasst sah, sich wieder von ihm abzuwenden. Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, wollte dann auch Paul zahlen. „Das macht 3,50€“, sagte die Kellnerin auf ihre typisch charmante Art. Paul fing an, in seinem Portemonnaie zu kramen. Ein plötzlicher Impuls ließ ihn nach dem 50-Euro-Schein greifen. „Ich hab’s nicht kleiner, stimmt so“, sagte er, wobei er sich alle Mühe gab, nicht arrogant zu klingen. Statt sich zu freuen, guckte ihn die Kellnerin irritiert hat. „Ich weiß gar nicht, ob ich das annehmen darf“, reagierte sie in kühlem Ton, „da muss ich erst fragen gehen“. Sie durfte. Also bezahlte Paul und ging.

Während er die Straße entlang marschierte, fing Paul an, nachzudenken. Der Lottoschein, den er sich gestern Abend noch in die Tasche gesteckt hatte, sagte ihm, dass er reich war. Doch irgendwie fühlte sich das so wenig real an. Er könnte ihn einlösen gehen, doch was würde das ändern? Keiner würde ihm einen Koffer mit Geld überreichen. Stattdessen müsste er einen Haufen Angaben machen, um dann auf eine Transaktion zu warten, die sich wahrscheinlich Tage oder Wochen hinziehen würde. Nein, dachte er, den Lottoschein könnte er genauso gut morgen einlösen. Heute wollte er feiern. Sein Leben genießen. Den Traum von Reichtum und Wohlstand leben. Doch was genau war eigentlich sein Traum? Angestrengt dachte er nach. Dann plötzlich begannen seine Augen zu leuchten. Zielstrebig bog er rechts ab und folgte dem Schild „Hauptbahnhof“.

Auf dem Weg dorthin sah er einen Obdachlosen sitzen, direkt gegenüber der Sparkasse. Die erinnerte ihn daran, dass er noch Geld fürs Zugticket benötigte. Am Geldautomat angekommen, hob er 100€ ab. Als er die Geldkarte gerade wieder einstecken wollte, fiel sein Blick abermals auf den Obdachlosen. So ein Pechvogel, dachte er. Ach Quatsch, so ein Glückpilz, korrigierte er sich, schob daraufhin die Geldkarte ein zweites Mal in den Automaten und hob weitere 1000€ ab. Betont beiläufig steckte er diese dem Obdachlosen zu, um sich daraufhin lässigen Schrittes zu entfernen.

Die Zugfahrt dauerte ca. 20 Minuten. Danach hatte er noch einen halbstündigen Fußmarsch zu bewältigen, bis er endlich am Ziel ankam. Von Weitem sah er schon das goldene Emblem mit dem stolzen Pferd leuchten. Glücksgefühle durchströmten seinen Körper. Als Kind hatte er bereits davon geträumt, Porsche zu fahren. Als Erwachsener ein separates Konto angelegt, um sich diesen Traum irgendwann einmal erfüllen zu können. Doch so sehr er sich auch zu sparen bemühte, mehr Geld als für einen Reifen, hatte er bisher nicht zusammenbekommen. Heute jedoch war alles anders. Heute trug er ein Dokument bei sich, welches ihn auswies, Millionär zu sein. Das allerdings war auch schon alles an ihm, was ihn wie einen Millionär wirken ließ. Besorgt schaute er an sich herunter. Sein Jackett wirkte auf einmal so ranzig, dass er kurz davor war, umzukehren, um sich erstmal einen neuen Anzug zu kaufen. Als er einen Augenblick später jedoch die heiligen Hallen des Autohauses betrat, waren alle seine Sorgen wie weggeblasen. Da standen sie in Reih und Glied, einer schöner als der andere. Doch der Schönste von allen, der stach aus der Masse heraus wie ein Diamant aus einem Haufen Glasperlen. Er war schwarz. Er war schneidig. Er war von atemberaubender Schönheit. Ehrfürchtig ging Paul auf ihn zu. Er fühlte seine Formen, tätschelte zärtlich seinen Kotflügel. „Du bist es!“, flüsterte er, so verzaubert, dass er den Autoverkäufer gar nicht kommen sah. „Ein hübsches Auto, oder?“, fragte ihn dieser. Paul zuckte zusammen. Mit Mühe schaffte er es, seine Augen vom Auto weg auf den Verkäufer zu lenken. „Sie haben Recht, das ist ein tolles Auto, es hat etwas Magisches“. Der Verkäufer roch Morgenluft. Er blinzelte neckisch. „Und das Allerbeste ist, es ist noch zu haben!“ Das Verkaufsgespräch war eingeläutet. Paul ließ sich über Motorleistung uns Ausstattung aufklären und verlangte anschließend die Schlüssel für die obligatorische Probefahrt. Als er den Motor aufröhren hörte, befiel in Gänsehaut. Dann gab er mit zitternden Knien Gas. Der Verkäufer schaute mit einem mulmigen Gefühl zu, wie Paul um die Kurve bog. Eine Viertelstunde voll Bangens und Zitterns verging, da sah er den Porsche auch schon wieder durch die Einfahrt rollen. Zu seiner großen Erleichterung, ohne erkennbaren Schaden. Paul stieg aus. Voll von Glückshormonen und Adrenalin wankte er dem Verkäufer entgegen. „Ich kaufe ihn!“ rief er ihm zu. Der Verkäufer strahlte. Im Büro kam das Gespräch zu dem kritischen Punkt, den der Verkäufer aus Höflichkeit und Geschäftseifer so lange hinausgezögert hatte. Mit ernstem Blick nahm er Paul argwöhnisch in Augenschein. Seiner Frage ging ein Räuspern voraus: „Ich gehe davon aus, dass Sie sich dieses Auto auch leisten können?“ Paul rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Ihm war klar, dass nichts an seiner Erscheinung darauf hindeutete, dass er zu den Menschen gehört, die normalerweise einen Porsche fahren. Also beschloss er, in die Offensive zu gehen, und den Verkäufer in seine Situation einzuweihen. Hastig zog er den Lottoschein aus der Tasche. „Sie werden es nicht glauben“, setzte er an, „aber ich habe gestern im Lotto gewonnen! Hier ist der Lottoschein. Wenn ich ihn einlöse, kann ich mir das Auto zehnmal leisten!“ Der Verkäufer schaute ihn erstaunt an. „Sie haben im Lotto gewonnen? Das gibt es doch gar nicht!“ Ungläubig nahm er den Lottoschein zur Hand. „Und Sie haben sich auch nicht verguckt? Sie haben wirklich 6 Richtige?“ Paul nickte. „In dem Fall“, fuhr der Verkäufer mit nun wieder besonnener Stimme fort, „bleibt mir nur noch, Ihnen zu gratulieren. Bitte entschuldigen Sie mich kurz, damit ich den Kaufvertrag aufsetzen kann“. Eine Unterschrift später war Paul stolzer Besitzer eines nagelneuen Porsche 911 Carrera.

Es war Abend geworden, als Paul wieder zu Hause ankam. Nervös lauschte er an der Wohnungstür, ob Ella da war. Er konnte nichts hören. Also wagte er es, den Schlüssel umzudrehen. In keiner Weise war er auf diese Situation vorbereitet. Was sollte er ihr sagen? Wie sollte er sie angucken? Und vor allem, wie würde sie auf dieses Aufeinandertreffen reagieren? Leise schlich er in die Wohnung. „Ella?“, rief er zögerlich. Keine Antwort. Ella war nicht da. Erleichtert ließ er sich ins Sofa plumpsen. Es war kurz vor 19:00 Uhr. Er schaltete den Fernseher ein. Die Nachrichtensendung hatte gerade begonnen.

„Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur heute Sendung!“
Paul stellte den Fernseher lauter.
„Beim Lotto am Mittwoch kam es gestern Abend zu einer folgenschweren Panne. Eine Kugel war hängengeblieben und nicht mit in die Lostrommel gerutscht. Den Verantwortlichen blieb nichts anderes übrig, als die Lottoziehung für ungültig zu erklären. In einer Stellungnahme hat sich die Lottogesellschaft bereits entschuldigt und tiefes Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, falsche Hoffnungen geweckt zu haben“.

Mit offenem Mund glotzte Paul in den Fernseher. Er fühlte sich wie betäubt. So als ob ihm jemand einen Schlag verpasst hatte, aber der Schmerz noch nicht angekommen war. Ohnmächtiges Entsetzen befiel ihn. Er wollte sich bewegen, doch er konnte es nicht. Er konnte nur dasitzen und mit weit geöffnetem Mund in die Leere starren.


© Benni


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Beschreibung des Autors zu "Der Lottogewinn"

Was macht man, wenn man erfährt, 8 Millionen Euro reicher zu sein?

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Kommentare zu "Der Lottogewinn"

Re: Der Lottogewinn

Autor: Heiko Denker   Datum: 03.07.2013 23:49 Uhr

Kommentar: Interesante Geschichte. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne - kenne ich nur von Hesse, hat BB das auch irgendwo gebraucht?

Re: Der Lottogewinn

Autor: Benni   Datum: 04.07.2013 9:55 Uhr

Kommentar: Weia, und ich hatts extra noch gegoogelt :-) Danke!

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