Ich glaube ich werde nie vergessen, wie er mich ansah. So besorgt und schockiert. Ich weiß nicht, was für eine Antwort er erwartet hatte, aber diese ganz sicher nicht.
Langsam gewann er seine Fassung zurück:"Hast du vor, dein Leben zu beenden?" Sollte ich ihm antworten? Er war mein Lehrer, nicht mein Psychologe. Er kannte mich doch nicht einmal wirklich! Andererseits wirkte er wirklich interessiert.
"Warum fragen sie das?", wollte ich wissen."Sie wissen nichts über mich, sehen mich nur vier Stunden pro Woche und sollten sich nur für meine Mathenoten interessieren!"
"Ich sehe dich zwar nur viermal pro Woche, aber ich spüre trotzdem, dass du anders bist. Die Art, wie du redest, dich bewegst,... Du bist etwas Besonderes!"
Ich denke, das war der Moment, in dem ich beschloss, es ihm zu erzählen. Vielleicht konnte er ja helfen und wenn nicht, hatte ich es mir wenigstens von der Seele geredet. Ich wollte ihn zwar nicht damit belasten, aber ich hatte gemerkt, dass ich Hilfe brauchte und alleine nicht aus dieser Situation herauskommen würde. Ich wusste nur nicht, wie ich anfangen sollte.
Es klingelte. Die Stunde war vorbei.
"Ich möchte dich so nicht nach Hause lassen. Können wir uns nach der Schule nochmal unterhalten?", fragte er mich.
"Okay, ich komme dann zum Lehrerzimmer.", sagte ich und ging zurück ins Klassenzimmer. Es waren noch 3 Stunden bis Schulschluss. Konzentrieren konnte ich mich nichtmehr. Sollte ich nach der Schule wirklich dort hingehen? Und warum hatte er das Treffen überhaupt vorgeschlagen? Warum dachte er, ich sei etwas Besonderes? Naja, vielleicht meinte er auch nur besonders hässlich und bescheuert. Dem würde ich zustimmen.
"Roya. Roya! Bist du noch wach?" Meine Erdkundelehrerin! War ja klar, dass ich keine ganze Stunde unbemerkt träumen konnte.
"Ja, ich bin noch wach. Ich war nur kurz in Gedanken. Entschuldigung. Was haben sie gefragt?"
"Die hat doch bestimmt von einem heißen Date mit einer Klinge geträumt!", sagte Bryan. Konnte er nicht ein Mal seine Klappe halten?
Sein Nebensitzer Jannik musste natürlich auch noch seinen Senf dazugeben:"Bestimmt! Aber so wie ihre Arme aussehen, hatte sie in letzter Zeit schon zu viele solcher Dates!"
Die ganze Klasse lachte und ließ sich von Frau Benz auch nicht wieder beruhigen.
Ich fing an zu weinen, lief aus dem Zimmer und schloss mich in einer Toilettenkabine ein. Wieder zog ich die Klinge durch meine Haut und spürte sofort die Erleichterung. Weinend und blutend blieb ich noch bis zum Klingeln dort sitzen. Dann ging ich in den Unterricht zurück. Es gab keine weiteren Vorfälle mehr.
Um 12:50 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Lehrerzimmer.


© SameButDifferent


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Beschreibung des Autors zu "Der Tanz mit der Klinge 2"

Der zweite Teil meiner Geschichte über Mobbing und Selbstverletzung.




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