Die Bomben fallen vom Himmel wie Schnee. Es riecht nach Brandgeruch. Aus den zerplatzten Metallzylindern kriecht der Tod. Er rafft die Menschen dahin. Sie verbrennen! Seht doch, wie sie sterben! Sie schreien und wimmern vor Schmerzen. Man könnte glauben, die Welt liegt in den letzten Atemzügen.

***

Später, viel später...


„Hey aufwachen, McCorney!“

Im Schlafzimmer war es dunkel. Die Stimme kam von irgendwo her.

„Wer ist da? Wie spät ist es? Wo bin ich überhaupt?



McCorney versuchte verzweifelt herauszufinden, wo er sich eigentlich befand. Er war vom Schlaf verwirrt. Er wähnte sich immer noch in seinem Schlafzimmer.



„Wer ruft da?“ fragte er schließlich.

„Ich, McCorney! - Siehst du mich nicht? - Hier bin ich!“

McCorney saß jetzt in seinem Bett und starrte ängstlich in die Dunkelheit hinein. Seine Gedanken wirbelten im Kreis herum.

„Wo?“

Plötzlich sah McCorney einen kleinen Lichtpunkt am anderen Ende des Zimmers. Er kam näher und näher. Dann wurden die Umrisse einer schattenhaften Gestalt sichtbar. Das Licht schwenkte rauf und runter, als würde jemand schnell auf ihn zu gehen.

„McCorney?“

„Ja, hier! Ich sitze in meinem Bett.“

Der helle Lichtkegel fingerte unruhig über den kalten Fußboden. Dann leuchtete McCorney jemand direkt in die Augen.



„Ach hier steckst du!“

„Ja! – Ich kann nichts sehen. Bitte halte deine Taschenlampe nicht in mein Gesicht! Mir tun die Augen weh.“

„Oh, entschuldige McCorney! Ich wusste nicht, wie empfindlich du geworden bist. - Rücksichtslosigkeit liegt mir eigentlich nicht!“

McCorney konnte auf einmal die Gestalt deutlich ausmachen. Sie stand direkt vor ihm, eingehüllt in einen langen, wallenden Umhang. Sie war schlank, sehr groß und hatte ein seltsam weißes Gesicht.

McCorney bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte nach seiner Frau Mary rufen, aber seine Stimme versagte.

Dann krächzte er: „Wer bist du? Was willst du von mir?“


„Ja, ja, der alte Haudegen McCorney. Früher warst du cooler. Dachte ich’s mir doch! – Liegt hier in seinem warmen Bett und schläft sich gemütlich ins Vergessen.“

Die Gestalt kam noch näher. Eiskalt war der Hauch ihres Atem.

„Kannst du dich denn wirklich nicht mehr an mich erinnern? Ich war doch schon öfters bei dir.“

McCorney wollte aus seinem Bett springen und aus dem Zimmer rennen, doch seine Beine waren wie gelähmt.

„Tu mir nichts, bitte!“ schienen seine weit aufgerissenen Augen zu schreien.

Dann packte ihn die Gestalt, griff mit ihren langen, knöchernen Fingern nach seinem Hals und wollte ihn brutal zu sich heranziehen.

„Hilfe! So helft mir doch!“ schrie McCorney wie wahnsinnig.

Er schlug plötzlich wild um sich, traf mit seinen zusammengeballten Fäusten das fahlweiße Knochengesicht der modrig stinkenden Gestalt und trat es mit den blanken Füßen. Dann rammte er, ohne es überhaupt richtig zu bemerken, seinen rechten Ellbogen in den holen Magen des Unbekannten, umklammerte dabei instinktiv mit der linken Hand die hölzerne Bettkante und hielt sich mit aller Kraft daran fest.

Die Gestalt in dem langen Gewand zerrte weiter an ihm herum, aber McCorney ließ die Bettkante nicht mehr los.

„Aah..., helft mir doch! Bitte...!“

„Sieh mich an, McCorney! Ich bin’s doch nur, Gevatter TOD! Mich schicken deine Napalmopfer zu dir, die du mit deinen schrecklichen Brandbomben im Krieg so grausam verstümmelt hast. Sie lassen mir einfach keine Ruhe und drängeln mich unablässig dazu, dich zu holen.“

McCorney ließ sich nach hinten zurückfallen, griff plötzlich zum Kissen und presste es vor sein schweißnasses Gesicht. Tränen liefen über seine faltigen Wangen. Bald schüttelte er sich vor hilflosen Weinkrämpfen.

Wieder dieser schreckliche Albtraum, dachte er voller Entsetzen.

Dann ging auf einmal das Licht im Schlafzimmer an. Seine Frau Mary stand in der Tür. Ihr weites Nachthemd wehte wie eine weiße Fahne im Durchzug leicht hin und her.

„Was ist denn mit dir los, Steve? Mein Gott, du bist ja kreidebleich im Gesicht. Hattest du wieder einen deiner schlimmen Albträume?“


McCorney hatte jetzt das Kopfkissen ganz fallen gelassen. Er blickte verstört zu seiner Frau rüber und nickte mit dem Kopf.

„Mary, der Traum, ich hatte einen schrecklichen Traum..., einfach fürchterlich! ER war hier..., der TOD..., hier in meinem Schlafzimmer.“

Seine Frau Mary kam jetzt zu ihm herüber, setzte sich auf die harte Bettkante und streichelte ihren Mann über die nass geschwitzten Haare. Dann küsste sie ihn zärtlich auf die Stirn und umarmte ihn dabei.

„Es tut mir leid Steve, aber es ist kein Traum...“ sagte sie auf einmal mit seltsam flüsternder Stimme, während sie sich langsam in die modrige Gestalt des kalt hauchenden Todes verwandelte.

Steve McCorney zuckte wie von einem Donnerschlag getroffen zusammen. Sein trockener Mund öffnete sich zu einem lautlosen, verzweifelten Schrei, dann sackte er wortlos in sich zusammen.


Sterbend röchelte McCorney nach Luft. Sein Körper verkrampfte sich wie zu einem zuckenden Fragezeichen. Noch einmal riss er die Augen weit auf, dann schloss er sie für immer.



Die vielen grässlich verbrannten Männer, Frauen und Kinder, die sich unterdessen an seinem Totenbett versammelt hatten und gierig nach seiner von Schuld beladenen Seele griffen, bemerkte er nicht mehr.



Ende

(c)Heiwahoe


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Beschreibung des Autors zu "Albtraum eines Bomberpiloten"

Jede böse Tat wird geahndet und zur Verantwortung gezogen.

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