73. Schritt


Abseits allen Nicht-Sorgenmachens stehe ich mitten neben dem Leben und horche, völlig abgelascht, in mir herum. Alles andere als himmelhoch jauchzend, oder auch zum Tode betrübt, versuche ich keine Angst vor meiner Hinrichtung zu haben, denn ich habe gesündigt: ich wurde geboren!

Was ich alles nicht tun dürfte ist mir bekannt. Unbekannt ist mir warum es trotzdem keinen Sinn hätte, dies zu unterlassen. Leider weiß ich mir keinen anderen Rat als zu sein wie man einfach nicht sein sollte: so wie ich = dämlich!

Dämlich im Sinne von unvernünftig, unvernünftig im Sinne von nachdenklich, nachdenklich im Sinne von philosophisch, und philosophisch im Sinne von Lösungen-finden-die-auch-Lösungen-sind!

Denn solche Lösungen sind offiziell keine Lösungen! Anerkannte Lösungen beseitigen keine echten Probleme, Probleme, die den Gewinn schmälern – so etwas ist unklug, weil damit nicht genüge getan ist: dem Status Quo!

Und der besagt: Alles muss bleiben wie es ist, weil wir uns sonst auf nichts mehr verlassen können! Wenn irgendwer so geschickt spinnt, daß er damit z.B. ein gutes Abgeordneten-Gehalt einstreichen kann, dann ist das vorbildhaft! Sage dagegen…: nichts!

Die Katastrophen liegen in der Vergangenheit begraben! Heutzutage widmet sich alles der immerwährenden Bewältigung der Vergangenheit. Das ist ungefährlich für Ganoven der Gegenwart. Das ist leicht zu bewältigen. Sonst ist nichts zu bewältigen!

Im Gestern und Vorgestern liegen sie doch zuhauf, die Leichen der einzigen wahren Verbrecher. Verurteilt sie, schlagt sie töter als tot und bedauert zum 1000 Mal was sie getan haben, damit es uns so nicht wieder passieren kann. Und damit uns das so nie wieder passieren kann, buddeln wir sie 1000 und einmal aus und züchtigen sie nachträglich…post mortem, heißt das wahrscheinlich. Harharr! Dabei ist es ganz egal wie es heißt. Sicher ist, daß hinter unseren Rücken, unbekannterweise großes Gelächter herrscht!

Die nachträgliche Bestrafung der Leichen ermöglicht den Lachern eine von uns geheiligte Narrenfreiheit für existierende Mörder. Das ist gleich für 2 Parteien bequem. Einerseits müssen wir nicht extra nach- oder gar vorausdenken und die Existierenden dürfen ungestraft wüten. Die wir als vielgeschmähte Verbrecher erkannt haben, sind gottseidank, bzw. leider schon tot. Da können wir uns tonnenweise Asche aufs Haupt werfen – die Alten bringt nichts mehr zurück, damit wir ihnen ihre Verfehlungen vorhalten können. Die neuen sind zwar da, aber sie dürfen nicht erkannt, sprich angeklagt werden! Das ist dann wieder Sache späterer Generationen (wenn überhaupt).

Sie fallen uns nicht auf, weil sie andere Uniformen tragen. Schon allein deshalb können sie doch nichts mit den Früheren gemeinsam haben, nichtwahr?! Auf feinen Anzügen steht schließlich nicht „Aufseher“ oder dergleichen geschrieben und die bemitleidenswerten Gesichter der Armut verraten uns auch nicht, ob demnächst Verfolgungen anstehen oder nicht – oder doch? Wir hören ja gar nicht hin!

Was wir hören ist nur das Dröhnen in den Ohren, das durch die Geldzählmaschinen entsteht, die überall auf den Rücken der bemitleidenswerten Armutsgesichtern fest installiert werden sollen. Ist das nun eine brisante Mischung? Die toten Aufseher von früher können uns darauf keine Antworten geben – da können wir so viel bezahlen wie wir wollen! Sie schweigen, heute wie damals!

Sogar die Kreuzigungen im Alten Rom geben nach 2000 Jahren einfach nicht preis wo die Pontiusse und Pilatusse heute mit ihren Pila-Tussen sitzen, die, alle zusammen, zu verantworten haben, was sie nicht verantworten wollen. Denn noch sind sie nicht tot! Wenn sie es einmal sind können spätere Genartionen sie immer noch ausgraben und sie auspeitschen, solange sie möchten.

Das macht den richtigen Spaß! Da kommt man keinem in die Quere, da muss keiner beleidigt sein, oder sich hinter der Schutz-Schale seiner Mode-Ein-Bildung verletzt fühlen. Das ist einfach erlaubt, so wie es immer schon erlaubt war zu tun was eben erlaubt ist und zu unterlassen was eben nicht erlaubt ist.

Nachdem heute keine Hinrichtungen hierzulande mehr stattfinden, Leute welche es gewagt haben eine „Freie Meinung“ zu äußern aber trotzdem, wie durch ein Wunder, rechtzeitig umzukommen pflegen, kann man ruhig sein in den Vater- und Mutterländern, bei denen beide Elternteile unbekannt sind und wieder mal alles schleifen lassen. Der Herrgott wird’s schon richten – hin-richten!

Denken wir einfach! Wer in einem teuren Anzug steckt kann nicht dumm sein! Ebenso wenig wie ein Armer schlecht sein kann. An irgendwas muss man sich doch noch orientieren können!! Wir dürfen schließlich nicht unsere Zeit durch langwierige Ermittlungen vergeuden, bei denen eventuell dann Gegenteiliges bewiesen werden würde. Das ist irrational!

Das überlassen wir am besten ganz allein mir. Da ist es gut aufgehoben und gut aufgeschoben, denn ich werde ja lieber wahnsinnig, öffne dem Wahnsinn Tür und Tor, weil ich eben nicht begreifen will, wie klug die Menschen im Grunde doch sind – als Werkzeuge Gottes versteht sich! Denn der schreibt die Stücke, verteilt die Rollen und lässt die Schauspieler in den entsprechenden Kostümen auftreten. Wir sind bloß aufgerufen lachend zu applaudieren (und das, obwohl wir mit auf der Bühne stehen)!

Ich bin leider kein guter Schauspieler! Deshalb geht bei mir ja auch nichts vorwärts, deshalb habe ich den Eindruck, daß wir insgesamt vorsätzlich immer blöder werden und deshalb versinke ich in schonungslosen Betrachtungen, melancholisch, bedrückt, in einer, nur von mir aus gesehen, ausweglosen Situation. Die Angst vor meiner Hinrichtung ist die Angst vor der Hinrichtung schlechthin, denn die Hinrichtung ist eigentlich gar keine Richtung, nur die Verrichtung eines Werkes ohne Zielrichtung. Warum lache ich denn nicht einfach mit?

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: axel c. englert   Datum: 08.03.2015 18:23 Uhr

Kommentar: Voltaire – er hatte halt doch recht:
Vernunft im Wahnsinn – ist echt schlecht…

LG Axel

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor:   Datum: 08.03.2015 20:15 Uhr

Kommentar: Ja, warum lachen die anderen nicht? Weil du ihre Lieblingsentschuldigung
bloßstellst.

Du hast hier ein Thema angeschnitten, welches mir thmeatisch sehr am Herzen liegt.
Man vermag sich schriftstellerisch noch heute hervortun, was die anderen in Diktaturen
hätten tun müssen. Solche Literatur ist nicht mal zum Hintern abwischen tauglich.
Das ist Moral die von der Moral lebt, mit der man sich nachträglich aus seiner privilegierten
mediengelobten Bestsellerliste wie ein Heiligenschein schmücht.

Des Kaisers neue Kleider!

Ich liebe Märchen. Sie sind wahrer als alles was Religion und Statuskarrieren
in ihrer Korruptheit verdrehen. Neusprech, Euphemismen, nu positiv denken,
alles Unangenehme fernhalten, Hauptsache,
es trifft die anderen.

Diesen Text von dir liebe ich ganz besonders.

Der Wahnsinn darin wird dir das Paradies der Selbstgerechten
verwehren, wo du all die Leute findest, die dich schon auf Erden hassten.
Welch ein Verlust... ;D

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: Alf Glocker   Datum: 09.03.2015 9:34 Uhr

Kommentar: Danke Euch -
bin momentan leicht überarbeitet, deshalb nur wenig Worte.
Viele Grüße

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: possum   Datum: 10.04.2015 2:23 Uhr

Kommentar: Gott sei Dank kann ich nur sagen,
dass du kein Schauspieler, deine Worte haben die Ehrlichkeit pur in sich!
Danke dir lieber Alf!

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