Das Geschenk

Was schenkt man einer Frau, die alles hat?
Blumen? CD`s? Nein das ist alles viel zu abgedroschen. Wir glaubten, das perfekte Geschenk gefunden zu haben. Doch niemals wären wir auf den Gedanken gekommen, mit unserem Präsent, das uns so begeisterte, ja geradezu beflügelte, eine Lawine loszutreten. Noch heute überkommt uns ein mulmiges Gefühl, wenn wir daran denken. Jede von uns ist noch immer froh darüber, dass sie damals nicht allein war.
Wir fanden die Idee mit dem Horoskop grandios. Das ist etwas ganz Besonderes, was Individuelles, das hat nicht jeder.

Im Telefonbuch suchten wir nach einer Astrologin. Wir durchforsteten die Anzeigen in verschiedenen Zeitungen, recherchierten im Internet.
Letztendlich hatten wir eine auserkoren und vereinbarten einen Termin mit der Dame.

Neugierig betraten wir, meine Freundinnen und ich, die Wohnung der Seherin. Vermutlich erwarteten wir eine Glaskugel, in einem schummerigen Raum, daher waren wir schon ein wenig enttäuscht, dass dies nicht so war. Es handelte sich um ein schönes, helles, aufgeräumtes Büro.
Wir erklärten ihr, was wir vorhatten. Ein persönliches Horoskop für unsere Freundin Jenny. Gleichzeitig schoben wir ihr ein Blatt mit Jennys Geburtsdatum über den Tisch.
Sie warf einen kurzen Blick auf unseren Zettel.
„Nein, das langt nicht! Ich brauche schon ein paar Informationen mehr. Sie müssen mir schon sagen, wo Ihre Freundin geboren wurde und um welche Uhrzeit“, meinte die Dame trocken.
Wir sahen uns an, Ratlosigkeit machte sich breit.
„Keine Ahnung!“, sagte Gabi, die sich besonders angesprochen fühlte.
„Wir fragen ihre Mutter!“, riet Jutta.
Wir bedankten uns artig bei der Astrologin, machten einen neuen Termin und zogen von dannen.

Gesagt getan, so schneiten wir bei Jennys Mutter herein. Schließlich kannten wir die alte Dame schon seit unserer Kinderzeit. Wieder einmal erklärten wir unser Vorhaben.
„Mh“, machte sie und fuhr fort, „ ich kann Euch den Ort sagen, ja auch das Krankenhaus, mehr auch nicht. Wisst Ihr, es war eine sehr schwere Geburt, ich bin während der Niederkunft ins Koma gefallen. Daher weiß ich auch nicht die Uhrzeit. Mein Mann war damals auf Dienstreise und überhaupt, früher waren die Männer nicht bei einer Geburt dabei.“ Sie lächelte verschmitzt.
„Was ist mit der Geburtsurkunde?“, regte Jutta an während sie mit den Händen ein Viereck beschreibt, „da steht das doch drauf!“
„Das kann sein, aber ich habe keine Geburtsurkunde von Jenny“, stellte die Mutter fest, „ nur den Eintrag im Stammbuch.“ Sie sah uns nacheinander an.
„Macht nichts, es gibt Ämter!“, meinte Gabi und sprang auf.

Also alles kein Problem, nichts wie hin ins Amt. Eine freundliche, ältere Dame fragte, was sie für uns tun könnte. Wieder einmal erklärten wir unser Vorhaben und unterbreiteten ihr unser gesammeltes Wissen.
Jenny Meier, geboren am 24.09.1959, in Frankfurt, im Marienstift
„Gut“, meinte die Freundliche zuvorkommend, „dann gehe ich mal in das Archiv. Es dauert ein bisschen.“
„Kein Problem“, sagte ich. Und schon war Beamtin verschwunden.
Unterdessen übten wir uns in Geduld. Es war ohnehin sehr hilfsbereit von der Dame, alles so zügig für uns zu erledigen. Insgeheim sehen wir uns nach einer Kaffeekasse um.
Nach etwa einer halben Stunde erschien Sie wieder.

„Ich fürchte ich werde Ihnen nicht sehr helfen können“, gab sie etwas betreten von sich.
„Wieso? Ist die Geburtszeit hier auch nicht hinterlegt?“, wollte ich wissen.
„Schon, nur …Also, sie fragten nach Jenny Meier, Tochter von Bertram und Helga Meier. Wohnhaft am Bergkamm 18, oder?“
„Ja, genau! Da wohnen sie noch heute!“, freute sich Jutta.
„Mh, ja. Das ist so. Die Jenny Meier, die ich unter dieser Adresse habe ist am 24.09.1959, um 8 Uhr 50 geboren …“
„Genau, das ist doch das was wir wissen wollen!“, jubelte Gabi.
„Ja, ich weiß, aber leider ist das Kind um 9 Uhr 15 gestorben“, vermittelte uns die Freundliche.
Da sitzen wir, wie die Hühner auf der Stange mit heruntergefallenem Unterkiefer, der Dame gegenüber.
„Das kann nicht sein! Wir sind seit Jahren miteinander befreundet und Jenny ist ziemlich lebendig!“, machte ich klar, „wahrscheinlich liegt hier eine Verwechslung vor.“
„An diesem Tag wurde in dieser Klinik nur ein Kind geboren, daher können wir eine Verwechslung ausschließen“, sagte die Dame, traurig aber bestimmt.

Wir verließen das Amt wie geprügelte Hunde. Die Tatsache, dass Jenny nicht Jenny ist, oder vielleicht nicht ist und überhaupt keine Geburtsurkunde hat, weil sie schon tot ist, warf Fragen auf. Viele Fragen, die wir nicht zu beantworten vermögen.
Noch einmal gingen wir zu Frau Meier. Nicht, dass wir der alten Dame erzählen wollten, was vorgefallen war, nein wir wollten in erster Linie in ihrer Nähe sein.

„Und seid Ihr jetzt klüger“, empfing sie uns.
„Leider nein“, log Jutta, „die konnten die Urkunde nicht finden.“
„Gab es denn so viele Geburten an dem Tag, das die in dem Gedränge untergegangen sein kann?“, fragte Gabi.
„Nein, nur zwei! Eben Jenny und noch ein Kind. Das habe ich aber nie gesehen, weil ich auf der Privatstation lag“, lachte Frau Meier. Sie beugt sich zu uns hinüber und flüstert: „Ich glaube das andere Kind wurde unehelich geboren.“
„Oh!“, sagten wir fast schon im Chor.
Wie zu unseren Kinderzeiten servierte uns die alte Dame Kakao und Kuchen. Wir scherzten und lachten mit ihr. Insgeheim aber überlegte jede von uns, wann wohl der richtige Zeitpunkt wäre, die Geschichte Jenny zu erzählen. Oder ist es besser zu schweigen?


© IDee


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Beschreibung des Autors zu "Das Geschenk"

Was schenkt man jemandem der alles hat? Aus einer pfiffigen Idee wird eine niederschmetternde Erkenntnis ...

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