Ein Mensch entdeckte einmal an einem Fensterbrett eine Spinne, die ihr Netz spann. Verblüfft blieb er stehen und begann, welch Seltenheit, sich Gedanken zu machen.
„Unglaublich, wie stabil eine kleine Spinne ihr Netz zu spinnen vermag“, dachte er und brachte sein Gesicht näher an das, was er da als Wunder pries. Ein leichter Atemhauch und die Spinne verschwand in einer Ecke des Fensterbretts, wo sie nicht mehr zu sehen war. Dem Mensch, der stehen geblieben war, kam es beinahe wie Scham vor. „Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“, dachte er, „Jeder staunt über die Nester der Vögel und sagt, sie seien große Baukünstler, aber die viel filigraneren Netze der Spinnen finden keine Bewunderer, ganz im Gegenteil; kaum entdeckt man sie, werden sie schon zerstört. Es ist ganz unglaublich, wie stark diese Fäden sind, sie tragen Fliegen und Spinnen und manche Blätter, die der Wind in die Netzte trägt. Die meisten Menschen wissen das einfach nicht zu würdigen... Sie würden der armen Spinne einfach ihr Werk nehmen.“ Er griff an ein paar Spinnenfäden, die die Spinne wohl zur Stabilisierung gesponnen hatte; sie verbanden den oberen Rand des Netzes mit der Wand; und kappte sie. Das Netz schwankte nicht einmal. „Menschen sind von Natur aus wohl zerstörerisch. Warum sonst sollten sie so etwas Schönes kaputt machen, einfach so? … Wie schlau durchdacht diese Konstruktion ist! Man kann vermutlich auch die unteren Fäden durchtrennen, ohne dass etwas passiert“ Er dachte es und tat es bereits. Recht gehabt hatte er schon, nur wurde das Netz nun nur noch von ein paar Fäden aufrecht und in Form gehalten. Es sah nicht so aus, als würde es den nächsten Windhauch unbeschadet überstehen.

Mit einem Schulterzucken entledigte sich der Mensch des Problems, indem er das Spinnennetz mit einer Handbewegung wegfegte.
Und wenn ihn irgendwer später auf die Sache mit dem Spinnennetz ansprechen und ihn fragen würde, warum er das getan hätte, würde er wohl sagen, er sei nun einmal ein Mensch und könne es nicht ändern.


© Stefanie T.


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